Wirtschaft | Steuern

Die verschwiegene Rechnung

Seit Monaten protestiert die Wirtschaft gegen die Erhöhung der Wertschöpfungssteuer IRAP. Dabei hat das Land allein in vier Jahren auf 220 Millionen Euro verzichtet.
Tasse
Foto: upi
Der Sturm bricht Ende Oktober los und hat sich bis heute nicht gelegt.
Am 26. Oktober 2021 beschließt die Landesregierung, den Hebesatz der Wertschöpfungssteuer IRAP für die Betriebe von 2,68 auf 3,9 Prozent zu erhöhen. Der Sinn der Maßnahme: Das Land will sich damit 60 Millionen Euro an Steuern aus den Betrieben holen.
Es ist momentan der falsche Moment für Steuererhöhungen. Die Politik sollte einen Stopp für neue Belastungen bis Ende 2023 einführen“, poltert unmittelbar danach hds-Präsident Philipp Moser. Alle Wirtschaftsverbände und -vertreten ergreifen daraufhin das Wort. Von Federico Giudiceandrea, über CNA-Präsident Claudio Corrarati bis hin zu Handelskammerpräsident Michl Ebner.
Der Inhalt ist immer derselbe: Was erlaubt sich die Landesregierung da nur?
 
 
 
Selbst innerhalb der SVP-Fraktion gingen die Wogen in dieser Frage hoch. Lange versuchte man, diesen Vorschlag noch zu kippen. Das gibt jetzt auch der Präsident des Unternehmerverbandes, Heiner Oberrauch zu, wenn er in seiner offiziellen Neujahrsbotschaft schreibt: „Die IRAP-Erhöhung, gegen die wir uns mit allen Kräften eingebracht haben.“
Im Aufschrei der Wirtschaftsverbände ging ein gewichtiger Teil der Wahrheit allerdings verloren: Denn das Geplärre ist unangebracht. Das machen die nackten Zahlen deutlich.
 

Der Hebesatz

 
Die regionale Wertschöpfungsteuer IRAP wurde in Italien mit 1. Januar 1998 eingeführt. Es handelt sich um eine lokale Steuer, die auf gewerbliche Tätigkeiten, welche auf dem Landesgebiet ausgeübt werden, eingehoben wird. Der Regionen bzw. die Länder legen ihren Hebesatz dabei autonom fest. Das gesetzliche Maximum liegt bei 4,82 Prozent.
2008 senkte der Staat den Regelsatz der  IRAP von ursprünglich 4,25 auf 3,90 Prozent, Südtirol ging damals um weitere 0,5 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent nach unten. Noch unter Luis Durnwalder senkte das Land die Wertschöpfungssteuer 2013 dann auf unter 3 Prozent.
Seit 2015 liegt der Hebesatz in Südtirol unverändert bei 2,68 Prozent. Das ist, gemeinsam mit dem Trentino, der tiefste Steuersatz unter allen italienischen Regionen. Das heißt, die Landesregierung Kompatscher ist sechs Jahre lang der Wirtschaft entgegengekommen und hat auf viel Geld verzichtet.
 

Die Zahlen

 
Um wieviel es dabei geht, zeigen die genauen Zahlen der letzten vier Jahre.
2018 hat das Land Südtirol von Unternehmern und Freiberuflern 147,7 Millionen Euro an IRAP eingenommen. Hätte man bereits damals den staatlichen Hebesatz von 3,90 Prozent angewandt, wären es 214,9 Millionen Euro gewesen. Das heißt, das Land hat allein 2018 auf 67,2 Millionen Euro an Wertschöpfungssteuer verzichtet. Berechnet man das Ganze auf den höchstmöglichen Steuersatz von 4,82% sind es sogar 117,9 Millionen Euro, die man den Unternehmern in der Brieftasche ließ.
2019 lagen die IRAP-Einnahmen bei 148,7 Millionen. Bei einem Hebesatz von 3,9% hätte man 67,7 Millionen Euro mehr eingenommen. 2020 sanken die IRAP-Einnahmen des Landes auf 80,2 Millionen. Im Vergleich zum staatlichen Hebesatz hat Südtirols Wirtschaft immerhin 36,5 Millionen weniger gezahlt.
 
 
 
Im abgelaufenen Jahr 2021 belaufen sich die Einnahme des Landes aus der regionalen Wertschöpfungssteuer auf 106,9 Millionen Euro. Hätte das Land bereits damals die 3,9%-Regelung angewandt, wären es 155,6 Millionen Euro gewesen. Das heißt: Auch hier hat man 48,7 Millionen Euro weniger eingehoben.
Konkret heißt das: Dass die Landesregierung allein in den vier Jahren von 2018 bis 2021 durch den niedrigen Hebesatz auf 220,1 Millionen Euro an Steuern verzichtet und diese Geld der Wirtschaft gelassen hat.
 

Vergessliche Wirtschaft

 
Die lautstark protestierende Wirtschaft verschweigt aber nicht nur diese Tatsachen, man vergisst auch zwei weitere Punkte, die das öffentlich Jammerbild doch deutlich stören würden.
Seit rund zehn Jahren können Unternehmen die eigenen Personalkosten von der Bemessungsgrundlage der regionalen Wertschöpfungssteuer abziehen. Diese Bestimmung schwächt die IRAP-Steuerlast im Vergleich zu früher enorm ab.
Zudem hat der Staat mit 1. Jänner 2022 die IRAP für Einzelunternehmen und Freiberufler abgeschafft. Tausende selbstständig Erwerbstätige und kleine Unternehmer ersparen sich damit viel Geld. Auch sie gehören zur Wirtschaft.
Nur haben sie keine Verbände und Institutionen hinter sich, die gegen die Landesregierung poltern.