Kultur | Salto Afternoon

Überleben und Leichtigkeit im Lager

Zwei gänzlich unterschiedliche Lagererfahrungen bedingen zwei ebenso verschiedene Ausstellungen, die Erinnerung zugänglich machen. Zu sehen in der Stadtgalerie Bozen.
Labyrinths
Foto: Privat
Eine männliche und eine weibliche Perspektive, das Vernichtungslager Auschwitz und das Durchgangslager Bozen, eine Bewältigung der Traumata und eine Bewältigung des Alltags, einmal danteske Visionen der Hölle auf Erden, einmal der Widerstand gegen den Faschismus mit Humor, da die erdrückende Schwere des Unbegreiflichen, dort eine unbegreifliche Leichtigkeit… Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, so unterschiedlich sind die Ausstellungen von Werken des polnischen Künstlers Marian Kolodziej und jene der Veroneser Partisanin Aurelia „Aura“ Pasa. Beiden gemein ist der rote Winkel, sie waren „politisch“ Inhaftierte. Wen eine der beiden Ausstellungen nicht anspricht, dem sei empfohlen, sich zumindest mit den Werken der anderen zu konfrontieren und der Galerie nicht fern zu bleiben.
 

Marian Kolodziejs „Labyrinth“

 
Im oberen Stock sind in einer vom Stadtarchiv kuratierten Auswahl Werke Marian Kolodziejs zu sehen, der 1921 in Raszków, Polen geboren wurde. Am 14. Mai 1940 wurde er in Krakau verhaftet, am 14. Juni mit dem ersten Gefangen-Transport nach Auschwitz verschleppt, wo er mit der, in seinen Werken wiederholt auftauchenden, Nummer 432 markiert wurde. Seine Gefangenschaft im Lager dauerte, mit Verlegungen ab Ende des Jahres 1944, nach Gross Rosen, Buchenwald, Sachsenhausen, Mauthausen und schließlich Ebensee bis zur Befreiung von letzterem am 6. Mai 1945. Kolodzeiej, war, vor seiner Pensionierung, Bühnenbildner, sprach fast 50 Jahre nicht von dem Erlebten und konfrontierte sich künstlerisch mit seiner Erfahrung nach einem Schlaganfall in von den Schrecken der Erinnerung besessen, verstörenden Bildern.
Gesichter, die Lagerinsassen gehören reihen sich neben solche, die nur mehr ein Hauch auf dem Papier sind, zu verschwinden scheinen. Es sind die Bilder gleichermaßen Zeugnisse des Erinnerns und des, vielleicht gnädigen, vielleicht noch erschreckenderen, Vergessens. Allein die räumliche Aufteilung von gezeichneten Leibern und eingefallenen Gesichtern nebst Totenköpfen auf großformatige, fast plakative Arbeiten, die da an ein Bühnenbild, dort an eine sakrale Abbildung oder das Triptychon eines Altars erinnern, macht das Grauen dechiffrierbar. Es fällt schwer die, in den Schwarz-Weiß gehaltenen Werken auftretenden Kontraste nicht als ein Abbild der Hölle zu verstehen - ein, wenn auch in der Gegenüberstellung dicker und monströser Leiber zu albtraumhaften Leibern, neben im Hunger verschwinden Leidenden alptraumhaft groteskes - doch für Kolodziej reales Bild.
 
 
Die Nähe zu religiösen Motiven, mag neben persönlichem Glauben auch auf der Begegnung mit dem von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochenen Franziskaner Minoriten Maximilian Maria Kolbe fußen. Dieser, in den Werken wiederzufinden, hatte 1941 den Platz des Häftlings Franciszek Gajowniczek im „Hungerbunker“ eingenommen. Als Pater Kolbe diesen überlebte, wurden er mit den verbliebenen Häftlingen im Bunker mittels Giftspritze ermordet. Zweifellos ist in den Bildern auch der Glaube, persönlich, wie er ist, als „Hoffnungsschimmer“, ein göttliches Licht, das aus einem Winkel oder dem Zentrum ins Bild drängt, zu sehen.
Nun lässt sich viel von den Gräueln schreiben, begreiflich machen lassen sie sich nicht. Ein ausführliches, in der Galerie in Schriftform aufliegendes Interview welches 2004, Pater Stoj des Franziskanerklosters von Harmęże mit Kolodziejs führte, kommt in Worten dem Erfüllen dieser unlösbaren Aufgabe näher, als es meiner Generation möglich wäre. Die Schilderung auf 15 Seiten verstört, ist fast mehr, als wir ertragen können.
Die Ausstellung, ein verhältnismäßig kleiner Auszug aus der Dauerausstellung im Kloster in Harmęże verliert bei der Übertragung auf zwei kleine Räume den Labyrinthcharakter, das räumliche, welches auch auf der offiziellen Webseite betont wird. Werden wir hier auch nicht in gleicher Form von den Bildern bedrängt und umzingelt, so können wir uns den einzelnen Bildern nach einem Blick doch nicht entziehen.
 

Aura Pasas Späße

 
Der Kontrast, der sich bietet, wenn man über die Treppe ins Untergeschoss die zweite Ausstellung „Menestrella nel Lager - Gedichte im Lager“ betritt, könnte kaum größer sein. Großformat wechselt mit Kleinformat, ein obsessiv alles ausfüllender, sich in Details verlierender Strich tauscht mit einem leichten, der Freiflächen zulässt. Zuvor die hatte bei der Eröffnung anwesende Tochter Pasas, Giuliana Zampieri, berührend von ihrer Mutter erzählt. Zampieri war es, die die Notizbücher und Briefe der Mutter der ANED (Associazione Nazionale Ex Deportati nei Campi Nazisti) zur Verfügung stellte, welche nun die Ausstellung organisierte. Es ist dies, abgesehen von einer, wie man selbst zugab „wenig wahrgenommenen“, Publikation in Buchform, das erste mal, dass Pasas Zeugnisse aus dem Durchgangslager Bozen ausgestellt sind. Gegen Jahresende soll, so kündigte man an, eine historische Publikation zur 1907 in Mel im Belluno geborenen Frau folgen.
Die Chronologie der Jahre 1944 bis 1945 wird an drei der vier Wände mit kommentierten Nachdrucken der datierten Zeichnungen und in vierzeiligen Quartetten geschriebenen Gedichten abgedeckt, in der Mitte ein Schaukasten mit Originalen, der im Lager durch ihre Seltenheit, heute durch ihren Inhalt wertvollen Papiere. Von großer Kraft zeugt der Umgang mit Gefangenschaft und Zwangsarbeit mit Humor. Auch Briefe, beginnend beim ersten an die Eltern, zeugen von dieser, vielleicht absurden, sicherlich aber notwendigen, selbstauferlegten Rolle der Schaustellerin und Unterhalterin. Hier ein Auszug:
 
Vi ricordo spesso, ma non sempre. Non abbiatevi a male ma e troppo interessante per me questa vita…
 
Um die eigene Situation in der Schneiderei des Lagers als „interessant“ zu erleben braucht es eine beachtliche ironische Distanz zum eigenen Schicksal. Aura Pasas Reaktion kann aber nicht nur als Selbstschutz, sondern auch als soziale Geste gewertet werden, waren die Späße der, sich selbst, als auf einem Besen Gitarre spielenden „Menestrella“ (ein Wort für welches es im Deutschen keine deckende Übersetzung gibt) darstellenden Partisanin doch ein Lichtblick im gleichförmig gnadenlosen Alltag.
Überlebt haben von ihren Bemühungen des innerlichen Widerstands die „einfachen“ Reime (die nicht einfach zu schreiben sein konnten) und Zeichnungen, die in der Reduktion auf Wesentliches, wie auch in der Verwendung von Sprechblasen etwas fast anachronistisch Comichaftes haben. Die kurzen Begleitteste geben - wo möglich - den Abgebildeten, Tätern wie Opfern, einen Namen zu geben und informieren knapp über die Schicksale, mit welchen Pasa in Berührung kam. So etwa beim Tischler-Tenor, der in der Schneiderei mit „Che gelida manina“ aus der Bohème die im Raum anwesenden „erfreut“, vielleicht Enno Trivellin aus Verona, der für Reparaturen aus der Tischlerei des Lagers kam und später nach Mauthausen deportiert worden war.
 
 
Pasa selbst ist in den Zeichnungen selten zu sehen, Sie dokumentiert was aus ihrer Sicht wert ist festgehalten zu werden, diesen und weitere Lichtblicke, die in ihrer Positivität ebenso beeindrucken wie das Wenige, welches sich „privat“ nennen ließe, etwa ein Gänseblümchen mit den Worten „sì“ und „no“ unter der Frage „uscirò?“. Auch Gewalt, die im oberen Stockwerk in psychologischer Form allgegenwärtig ist, sucht man hier vergebens: Ein Versuch von körperlicher Züchtigung durch die berüchtigten Aufseherinnen „Tigre“ Hildegard Lächert und „Tigrina“ Anne Schmidt, der scheitert, kommt dieser noch am nähesten. Aura Pasa erfüllte ihren „Dienst“ als Haus- und Hofsängerin mit einem Gefühl von Solidarität, die rührt und ja, sogar schmunzeln lassen könnte, wären die Umstände andere.
 
 
Die Doppelausstellung, die noch bis zum 31. Januar besucht werden kann, bildet den leicht verzögerten Abschluss der Rolle Bozens als „Città della Memoria 2022“. Kulturstadträtin Chiara Rabini kündigte jedoch auch an, dass dieser würdige Abschluss keineswegs ein Ende der eigenen Gedenkarbeit bedeute.