Wirtschaft | Äpfel

Der Saft des Landesrates

Landesrat Thomas Widmann ist durch Selbstverschulden in eine Geschichte geraten, die zeigt, wie Südtirol funktioniert. Aber auch wie unfrei die Obstbauern heute sind.
WIdmann, Thomas
Foto: real
Thomas Widmann muss lachen: „Erfolg erzeugt in diesem Land eben auch Neid“. 
Es ist eine Feststellung ohne Groll. Der SVP-Politiker scheint Land und Leute zu kennen.
Thomas Widmann wurde acht Tage zuvor offiziell zum Landesrat für „Gesundheit, Breitband und Genossenschaftswesen“ ernannt. Damit wird der 59-jährige studierte Agronom, ehemalige Direktor der Südtiroler Bauernbundes, Ex-SVP-Landessekretär und langjährige Wirtschaftslandesrat auch zum politischen Oberaufseher über Südtirols Genossenschaften.
Die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet in diesem Bereich jetzt dem amtierenden Landerat Ungemach droht. Es ist eine absurde Geschichte, bei der Thomas Widmann einiges an Selbstverschulden hat, weil er sich offensichtlich nicht an die Spielregeln gehalten hat. Es ist auch eine Episode, die zeigt, wie Südtirol funktioniert.
Die Südtiroler Apfelbauern werden durch die neuen Clubsorten zwar reich, gleichzeitig geraten sie in ein noch nie dagewesenes Abhängigkeitsverhältnis zur Agrarindustrie.
Vor allem aber ist die Geschichte eine Art Zustandsbeschreibung der Südtiroler Apfelbauern, die durch die neuen Clubsorten zwar reich werden, gleichzeitig aber in ein noch nie dagewesenes Abhängigkeitsverhältnis zur Agrarindustrie geraten.
 

Der Werbestar

 
Thomas Widmann hat – noch vor seinem Einstieg in die Politik – Anfang der 90er-Jahre von der Kurie in Afing in der Gemeinde Jenesien den „Widum Baumann“ gekauft. Widmann lebt mit seiner Familie seit fast drei Jahrzehnten auf dem denkmalgeschützten Hof, und er betreibt und bearbeitet dort auch die Landwirtschaft. Widmann hat dabei auf rund 1.000 Meereshöhe mehrere Hektar Äpfelbäume angelegt, aus denen er Apfelsaft erzeugt.
Rund 40.000 Flaschen Bio-Apfelsaft erzeugen und vermarkten Thomas Widmann und seine Frau jährlich. Der „Apfelsaft vom Widum Baumann“ räumt dabei nicht nur in Südtirol seit Jahren Preise ab, das Produkt und sein Erzeuger haben es auch im Ausland zu besonderer Bekanntheit gebracht.
Der Grund: Anfang November 2018 startete die deutsche Einzelhandelskette „real“ eine neue PR-Kampagne im deutschen Fernsehen. “Die aktuelle Kampagne nimmt den Zuschauer mit auf die Reise zum Ursprung besonderer Produkte, erzählt deren Geschichte und stellt nachhaltig wirtschaftende Erzeuger in den Fokus der Kommunikation”, heißt es in der Vorstellung.
 
Das Widmann-VideoReise zum Ursprung besonderer Produkte.
Protagonisten der drei Spots sind der irische Rinderfarmer Gordon Kilgallen, der Winzer Friedrich Groebe aus Westhofen in Rheinhessen – und “der Bergapfelbauer Thomas Widmann aus Südtirol”. Thomas Widmann ist der Star eines professionellen, fünf Minuten langen Werbespots, der zeigt, wie der SVP-Politiker auf seinem Hof „Bioland-zertifizierten Bergapfelsaft“ herstellt.
Fast gleichzeitig erscheint unter dem Titel “Apfelsaft für Götter” in „FINE – Das Magazin für Genuss und Lebensstil“ ein mehrseitiges Porträt über Widmann und seinen Apfelsaft. Das Magazin wird als Beilage der renommierten „Süddeutschen Zeitung“ vertrieben.
 

Anonyme Anzeige

 
Die Werbeoffensive dürfte Widmanns Apfelsaftproduktion nochmals einen entscheidenden Schub geben, gleichzeitig hat sich der SVP-Politiker damit aber selbst ein Ei gelegt.
Denn in dem Werbefilm und in dem Artikel ist nicht nur vom Apfelsaft die Rede, den Widmann aus verschiedenen Apfelsorten zusammenmischt, sondern auch von sogenannten „reinsortigen Säften“. Seit einigen Jahren stellt Widmann auch Apfelsäfte aus den Äpfeln Topaz, Pinova oder Kanzi her, die auch die Namen dieser Sorten tragen. Diese Apfelsäfte werden in FINE auch fotografisch abgebildet.
Und genau hier liegt das Problem.
Kanzi ist der Markenname des Apfels Nicoter, einer Kreuzung aus Gala und Braeburn, der von der Universität Lueven und einer belgischen Baumschule entwickelt wurde und seit 2002 als Clubsorte geschützt ist. Das heißt: Das belgische Unternehmen entscheidet letztlich über den Verkauf von Bäumen und die Vermarktungswege der Äpfel.
Im Dezember 2018 ging bei „Greenstar Kanzi Europe“ (GKE NV) im belgischen Borgloon eine schriftliche Eingabe aus Südtirol ein. Der anonymen Anzeige beigelegt waren – nach Informationen von salto.bz – Auszüge und Fotos aus den Berichten über den Apfelsaft von Thomas Widmann.
 
Die entscheidende Frage dabei: Der Markenname „Kanzi“ ist geschützt; darf der SVP-Politiker und Landesrat die Marke überhaupt für seinen Apfelsaft verwenden?
Die Antwort aus Belgien ist klar: Nein.
Bei Widmanns Kanzi-Apfelsaft handelt es sich - streng genommen - um die illegale Verwendung eines geschützten Markennamens. Denn zur Nutzung des Namens „Kanzi“ bedarf es einer Genehmigung des belgischen Sortenmanagers, und der Nutzer muss an das Mutterhaus sogenannte Royalties zahlen.
Demnach wurde die GKE NV im Fall Widmann umgehend tätig.
 

Das Einschreiten

 
In Südtirol werden jährlich rund 15.000 Tonnen Kanzi produziert. Die Exklusivpartner des belgischen Sorteninhabers sind in Südtirol die VOG und die Vinschger VIP. Sie haben nicht nur die Verkaufsrechte für Kanzi, sondern über die „VOG Products“ in Leifers auch die exklusiven Verarbeitungsrechte – etwa für Apfelsaft – der belgischen Clubsorte für Südtirol.
Weil auch im belgischen Borgloon klar ist, dass es sich bei Thomas Widmann nicht um einen einfachen Bauern handelt, sondern um einen hohen amtierenden Landespolitiker, informierte man die VOG. Nach Informationen von salto.bz wurde VOG-Obmann Georg Kössler persönlich bei Thomas Widmann vorstellig, um diesen über das juristische Problem zu informieren.
 
Thomas Widmann reagierte umgehend. „Ich habe die Produktion und den Vertrieb des Kanzi-Apfelsaftes eingestellt“, sagt der Landesrat zu salto.bz. Widmann redet nicht lange herum: „Es war mein Fehler“.
Vor zehn Jahren habe er auf rund einem halben Hektar Kanzi-Bäume gepflanzt. Wie bei Clubsorten üblich, hat er dafür die Rechte und Bäume gekauft und einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet. „Ich hätte den Vertrag besser lesen sollen“, sagt er heute. Denn dort steht genau das, was er nicht darf.


Das Problem

 
Dabei geht die Problematik weit über den Einzelfall Thomas Widmann hinaus. Denn bei Widmann geht es vordergründig um die Verwendung des Namens „Kanzi“ auf den Flaschen.
Gleichzeitig geht aus dem Vertrag aber auch hervor, dass er die Kanzi-Äpfel auch nicht für seinen gemischten Apfelsaft verwenden darf. Denn in den Verträgen für den Verkauf der Clubsorten-Bäume steht weit mehr. Die Bauern verpflichten sich, alle Äpfel der VOG zu liefern. Auch das Fallobst oder beschädigte Kanzi. Denn nur die „VOG Products“ darf in Südtirol diese Äpfel zu Apfelsaft oder Konzentrat verarbeiten.
Damit aber wird das Problem weit größer. In Südtirol gibt es rund 20 kleinere oder mittlere Apfelsaft-Produzenten. Viele von ihnen verwenden auch beschädigte Äpfel von Clubsorten wie Kanzi. Nach Informationen von salto.bz wurde die neue VOG-Products-Führung bereits bei einigen dieser Apfelsaft-Produzenten vorstellig, um darauf hinzuweisen, dass sie die Clubsorten nicht mehr verwenden dürfen.
Thomas Widmann ärgert sich über diese Entwicklung. „Damit ist der Bauer mehr Leibeigener als Unternehmer“, beschreibt der SVP-Politiker die absurde Situation.
Thomas Widmann ist als Landesrat jetzt auch für die Genossenschaften zuständig. Weil er selbst betroffen ist, wird er die VOG wohl kaum zurückpfeifen können.
Deshalb werden hier der Landesrat für Landwirschaft oder die Landesregierung ein Machtwort sprechen müssen.
Damit sich der Hausverstand durchsetzt.
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Markus Lobis Di., 12.02.2019 - 08:42

Endlich kommt das Thema mal auf den Tisch! Ich sehe das schon seit Jahren als ein großes Problem, dass durch die Einführung der Clubsorten der Bauer immer mehr zum Hilfsarbeiter auf dem eigenen Grund und Boden wird. Es kommt soweit, dass er zwar die Bäume kaufen muss, ihm die Äpfel aber strenggenommen gar nicht gehören und er dafür Royalties bezahlen muss. Hier pervertiert die Dominanz von Marken.

Di., 12.02.2019 - 08:42 Permalink
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maximilian kollmann Di., 12.02.2019 - 09:52

Antwort auf von Markus Lobis

Nein, hier wird gar nichts pervertiert. Kein Bauer ist gezwungen eine Clubsorte zu kaufen. Wenn er das aber tut hat er neben »Rechten« wie z. B. den besseren Auszahlungspreis logischerweise auch »Pflichten«. Das ist ganz normale Marktwirtschaft und hat mit »Hilfsarbeiter« gar nichts zu tun. Gerade den Bauern ist der Schutz des Eigentums ein sehr verständliches Anliegen, aber da gehört das geistige halt auch dazu.
Dass die Genossenschaften bestimmte Rechte für sich behalten und nicht an ihre Mitglieder weiterreichen ist ein anders Thema.

Di., 12.02.2019 - 09:52 Permalink