Gesellschaft | Sanität

Der Aufschrei der Ärzte

100 Südtiroler Hausärztinnen und Hausärzte lancieren in einem offenen Brief einen Appell an die Bevölkerung und rechnen mit den Verantwortlichen in der Sanität ab.

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Foto: Pixabay
Seit Beginn der Pandemie stehen wir ununterbrochen und unter vollem Einsatz in der vordersten Linie. Noch größer als die Angst vor einer Ansteckung ist die anhaltende Belastung durch das täglich wachsende Arbeitspensum, das von vielen - besonders den älteren Kollegen - kaum mehr zu bewältigen ist.
Seit Monaten ersetzen wir zumindest teilweise Facharztvisiten, das INAIL und nicht zuletzt den völlig überforderten und häufig weder für den Bürger noch für uns Ärzte erreichbaren Hygienedienst. Unser Arbeitstag dauert praktisch zwölf Stunden, und wir sind wohl die einzigen Ärzte, die für den Bürger noch irgendwie erreichbar sind. Denn selbst wenn wir einen Anruf nicht sofort entgegen nehmen können, rufen doch die allermeisten von uns verlässlich zurück. Bei zig Patientenkontakten am Tag (Visiten, Telefon, Mail, WhatsApp, SMS...) ist dies aber für den einzelnen Hausarzt bald nicht mehr zu stemmen.
Als Hausärzte haben wir kein gesetzliches Anrecht auf Urlaub oder Krankenstand, und einen Vertreter für die eigene Praxis zu finden ist aufgrund des Hausärztemangels im Land nahezu unmöglich. Wir haben ehrlich Angst um unsere Gesundheit und befürchten zudem einen Domino-Effekt, wenn die ersten Kollegen zusammenbrechen und die Last auf noch weniger Schultern verteilt werden muss.
Daher appellieren wir an die Bürger: Bitte verstehen Sie, dass wir es mit einer noch nie dagewesenen medizinischen Ausnahmesituation zu tun haben.
Daher appellieren wir an die Bürger: Bitte verstehen Sie, dass wir es mit einer noch nie dagewesenen medizinischen Ausnahmesituation zu tun haben. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt den Hausarzt wegen der jährlichen Cholesterin-Messung, der Verschreibung für eine Thermalkur oder ähnlich aufschiebbare Dinge zu kontaktieren. Bitte fragen Sie sich selbst: "Kann mein Problem noch etwas warten?" und kontaktieren Sie uns bitte erst dann, wenn Sie diese Frage ehrlich mit "Nein" beantworten können.
Haben Sie Geduld, wenn wir Ihre Anrufe nicht sofort entgegennehmen oder gleich zurückrufen können und bitte haben Sie Verständnis, wenn wir müde sind. Und abschließend: Bitte unterschätzen Sie das Coronavirus nicht, schützen Sie sich und Ihre Nächsten durch gewissenhafte Beachtung der allgemein bekannten Maßnahmen!
Die andere Bitte ergeht an die Verantwortlichen in Politik und Sanitätsbetrieb: Wenn Sie schon im vergangenen Jahr nie die Zeit gefunden haben, uns Hausärzten für unseren unermüdlichen und essentiellen Einsatz Ihren Dank und Anerkennung auszusprechen, möchten wir Sie zumindest darum bitten, uns bei der Versorgung der Bevölkerung nicht weiter zu behindern.
 
 
Unsere Bitte an die Verantwortlichen in Politik und Sanitätsbetrieb: Wir möchten Sie zumindest darum bitten, uns bei der Versorgung der Bevölkerung nicht weiter zu behindern.
 
Verbessern Sie endlich die landesweite Meldeplattform mit ihren zahlreichen Schwächen, wie wir es schon seit Monaten fordern! Organisieren Sie endlich die Abholung des gefährlichen Sondermülls aus unseren Praxen, worum wir Sie ebenfalls schon seit Monaten ersuchen!
Geben Sie uns endlich klare Protokolle, damit wir den Bürgern bei Fragen zu Quarantänen u.ä. verbindlich Auskunft geben können! Lösen Sie das Versprechen der digitalen Vernetzung von Krankenhäusern und Hausärzten ein, die in weiten Teilen des Landes immer noch nicht gegeben ist!
Und am Wichtigsten: Besetzen Sie die Primariate für Basismedizin mit Hausärzten, welche Ahnung von den Herausforderungen unseres beruflichen Alltags haben!
Wenn Sie uns immer mehr Aufgaben aufbürden, ohne uns gleichzeitig bei der Arbeit zu unterstützen, riskieren Sie nicht weniger als den Zusammenbruch der medizinischen Grundversorgung im Land.
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Profil für Benutzer Josef Ruffa
Josef Ruffa Fr., 12.02.2021 - 11:17

"Verbessern Sie endlich die landesweite Meldeplattform mit ihren zahlreichen Schwächen, wie wir es schon seit Monaten fordern! Organisieren Sie endlich die Abholung des gefährlichen Sondermülls aus unseren Praxen, worum wir Sie ebenfalls schon seit Monaten ersuchen!
Geben Sie uns endlich klare Protokolle, damit wir den Bürgern bei Fragen zu Quarantänen u.ä. verbindlich Auskunft geben können! Lösen Sie das Versprechen der digitalen Vernetzung von Krankenhäusern und Hausärzten ein, die in weiten Teilen des Landes immer noch nicht gegeben ist!
Und am Wichtigsten: Besetzen Sie die Primariate für Basismedizin mit Hausärzten, welche Ahnung von den Herausforderungen unseres beruflichen Alltags haben!
Wenn Sie uns immer mehr Aufgaben aufbürden, ohne uns gleichzeitig bei der Arbeit zu unterstützen, riskieren Sie nicht weniger als den Zusammenbruch der medizinischen Grundversorgung im Land."

Frage: Wann wird der Sanitätslandesrat demütig zurücktreten? Beim Fußballspiel muss auch der Trainer gehen, wenn die Leistung nicht stimmt!

Fr., 12.02.2021 - 11:17 Permalink
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Profil für Benutzer Luis Spath
Luis Spath Fr., 12.02.2021 - 11:50

In der Sanität hat sich so einiges aufgestaut in vergangener Zeit. Beispielsweise die Forderung nach digitaler Vernetzung von Krankenhäusern und Hausärzten: Wär ja schon viel, wenn in den Krankenhäusern selbst mal ein wenig Entbürokratisierung stattfände! Was dort Zettel hin- und hergetragen werden, von einer Abteilung in die nächste geschickt, Ordner gewälzt, an Papieren herumgeklaubt, alles unglaubliche und in heutiger Zeit völlig unnötige Zeitfresser... Wer nach einer Auslandstätigkeit in einem Krankenhaus, beispielsweise in der Schweiz, wieder in ein Südtiroler Krankenhaus zurückkommt, sieht sich hinsichtlich Bürokratie um Jahre zurückgeworfen.
Da können gewichtig professionell inszenierte Pressekonferenzen von Landesrat und Sanitätsspitze nicht darüber hinwegtäuschen: einiges liegt im Argen. Aber nicht alles ist deswegen schlecht, keineswegs. Und es lassen sich auch viele Beispiele von gut Gelungenem aufzählen.
Dennoch: Der offene Brief der Hausärzte und Hausärztinnen ist nicht nur deshalb wichtig, weil er einen Blick auf Baustellen in der Sanität freilegt. Sein Wert besteht auch darin, dass sich die Unterzeichner überhaupt getrauen etwas zu sagen. Obrigkeiten zu kritisieren, mit denen man in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis steht, dieser Mut ist den Südtirolern nicht gerade angeboren...

Fr., 12.02.2021 - 11:50 Permalink
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Heinrich Zanon Fr., 12.02.2021 - 12:24

Ein erschütternder Hilferuf in klaren Worten und ohne Bosheiten irgendwelcher Art, was in diesen auch durch die sozialen Medien verseuchten Zeiten besondere Anerkennung verdient! Ein Kompliment den Verfassern!
Jetzt müssen wir - zum Wohl der Allgemeinheit - nur hoffen, dass die Hunde nicht die letzten beißen.

Fr., 12.02.2021 - 12:24 Permalink
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Günther Schwei… So., 14.02.2021 - 07:31

Was muss man hören und auch lesen?
Man soll nicht mehr zum Hausarzt gehen, für Dinge, für die man halt zum Hausarzt geht, weil dieser mit Meldungen von Kontaktpersonen beschäftigt ist?
Armes Südtirol!
Wann will man endlich das Contact-Tracing auf die Reihe kriegen? Dafür braucht es nun wirklich nicht die Hausärzte!

So., 14.02.2021 - 07:31 Permalink