Gesellschaft | Jugendarbeit

Krimi unterm Schlern

Die ungewisse Zukunft der Jugendarbeit im Schlerngebiet zieht immer weitere Kreise. Um ein Umdenken der Gemeindepolitik zu erwirken, beruft man sich auf Arno Kompatscher.
Isola-Insel
Foto: Allesclub

Warum? Bleiern wie die schwarzen Wolken draußen am dämmrigen Himmel hängt die Frage am Mittwoch Abend im Völser Kultursaal. Geduldig warten die zahlreichen Jugendlichen und viele Erwachsene bis der Bürgermeister und seine Referenten über Aktuelles aus der Gemeindepolitik berichtet haben. Den meisten, die zur Bürgerversammlung gekommen sind, brennt ein Thema ganz besonders unter den Nägeln: die Jugendtreffs im Schlerngebiet.
Seit knapp zwei Wochen sind die vier Räume geschlossen. Weil die Gemeinden Kastelruth und Völs die Konvention für die Führung nicht verlängert haben. Und es nicht sicher ist, ob die Jugendtreffs, wenn sie wieder aufsperren, noch dieselben sind.

Das Klima ist aufgeheizt, sogar von auswärts sind Vertreter der Offenen Jugendarbeit und ehemalige Vereinsmitglieder nach Völs gekommen, um für die Beibehaltung einer eigenständigen Jugendarbeit im Schlerngebiet zu plädieren. “Das habt ihr euch verdient”, betont Tobe Planer, selbst langjähriger Jugendarbeiter mit Wurzeln in Völs und inzwischen Grüner Gemeinderat in Bozen. “Entscheidet nicht über die Köpfe der jungen Menschen hinweg”, mahnen ehemalige Ehrenamtliche in einem Schreiben, das verlesen wird, “denn wie sollen junge Menschen später Verantwortung übernehmen, wenn es ihnen heute verwehrt wird?”.
Am Ende des Abends bleiben ratlose, aber positiv gestimmte junge Menschen, um Verständnis ringende Eltern, versöhnlich wirkende Politiker zurück – und dennoch viele Fragen.

 

Was ist wirklich los?

 

Die Geschichte ist inzwischen zu einem Krimi verkommen, in dem es schwer fällt, sich einen Durchblick zu verschaffen: ein Jugend- und Kulturverein, der – das gesteht die Politik ein – jahrelang gute ehrenamtliche Arbeit geleistet und eine eigenständig funktionierende offene Jugendarbeit aufgebaut hat – zu den Vorgängen im Hintergrund aber nach wie vor schweigt; Jugendarbeiter, die für viele Jugendliche zur Bezugsperson geworden sind – sich aber ebenso in Schweigen hüllen; zwei Gemeindeausschüsse, die die Führung der Jugendräume an den Jugenddienst Bozen-Land übergeben wollen und sich querstellen – dafür aber keineswegs die Unterstützung der jeweiligen Gemeinderäte haben.

“Was wird dem Vereinsvorstand vorgeworfen?” Es ist die Mutter einer der Vorstandsmitglieder des Allesclub, die die Frage aufwirft. Die Erklärungsversuche der Völser Gemeindepolitik hören sich wie Ausflüchte an. Man versucht es mit Kirchturmpolitik – vor allem die Gemeinde Kastelruth sei der Auffassung, dass die Jugendarbeit im letzten Jahrzehnt “nicht so funktioniert hat wie sie funktionieren sollte”, die “Völser Jugend” sei im Verein nicht ausreichend vertreten. Den Schwarzen Peter schiebt man von sich: Es sei der Dachverband für Offene Jugendarbeit, das “so genannte n.e.t.z.”, das sich Versäumnisse zu Schulden hat kommen lassen und dem Jugendverein “keine Hilfestellung” geleistet habe, etwa bei der Erstellung der Bilanzen, die von den Gemeinden beanstandet werden. Es sei der Verein Allesclub selbst, der sich wenig gesprächsbereit gezeigt und wenig Transparenz an den Tag gelegt habe. Und dann ist da noch die Zusammenarbeit mit der Mittelschule, die “nicht funktioniert”.

 

Offene Ohren statt offene Fragen

 

Bei vielen der Anwesenden entsteht der Eindruck: Das Bild, das im Völser Gemeindeausschuss von Jugendarbeit und insbesondere von Offener Jugendarbeit herrscht, muss zurecht gerückt werden. Niederschwellig, offen für alle, ohne Zwang bietet Offene Jugendarbeit einen geschützten Raum, einen Rückzugsort. “Jugendarbeiter sind nicht vordergründig Sozialbetreuer. Sie begleiten Jugendliche und wenn Probleme auftreten, sind sie an der Schnittstelle zu den zuständigen Einrichtungen”, erklärt Tobe Planer. Auch die Schule habe in der Jugendarbeit eigentlich nichts zu suchen, betont eine der Anwesenden: Hausaufgabenhilfe? Nachmittagsbetreuung?  “In ihrer Freizeit wollen die Jugendlichen nichts mit der Schule zu tun habe, sondern kommen in den Jugendraum, gerade auch um über Probleme in der Schule zu reden.”

“Die Jugendarbeit im Schlerngebiet wird völlig anders sein, wenn der Jugenddienst übernimmt”, ist die Befürchtung vieler. “Konventionell, konfessionell geprägt”, bringt es einer auf den Punkt.
Eigenständigkeit ist wichtig. Das ist auch im neuen Leitbild für die Jugendarbeit festgehalten. Es ist gut, wenn Jugendliche und junge Erwachsene selbst als Träger die Aufgabe übernehmen”, ist sich Tobe Planer sicher.

 

Inseln als Oasen

 

Es geht um Vertrauen, um Verantwortung und auch darum, Fehler zu machen, machen zu dürfen. Darin habe auch der ehemalige Völser Bürgermeister die Jugendlichen immer bestärkt. “Fehler machen und daran wachsen”, seien die Worte von Arno Kompatscher gewesen, berichtet ein ehemaliger Ehrenamtlicher. Kompatscher war selbst lange in der alternativen Jugendkultur und im Völser Jugendtreff Insel-Isola aktiv. Er fühle sich “mit dem Jugendzentrum immer noch eng verbunden. Gleichzeitig versuche ich mich in die Tätigkeit des Jugendzentrums aber nicht allzu sehr einzumischen. (…) Gerade diese Autonomie zeichnet doch ein unabhängiges Jugendzentrum aus, in dem offene Jugendarbeit stattfindet”, meinte Kompatscher im fernen Jahre 2009 als er soeben sein Amt als Bürgermeister angetreten hatte.

 

“Von ihm haben wir Freiheit und Vertrauen bekommen”, erinnern sich die damals Jungen neun Jahre später. Nichts anderes und nichts mehr wünschen sich die jungen Menschen auch heute. Vielleicht ein Entgegenkommen, eine Hilfe, wenn die Bilanz nicht ganz stimmt.
Kommende Woche sollen die Gespräche, bei denen Landesrat Philipp Achammer als Vermittler auftritt, fortgesetzt werden. In Völs ist der dringende Wunsch am Mittwoch Abend unüberhörbar angekommen. Und in Kastelruth, wo der Widerstand gegen die Beibehaltung der Jugendarbeit wie bisher am Größten zu sein scheint, wird er wohl auch vernommen werden. Der dortige Kirchturm liegt immerhin nur zehn Kilometer entfernt.