Gesellschaft | Kultur

Wir haben die Wahl

Wir haben die Wahl.
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die wahl
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Wir können entscheiden, ob wir uns als Menschen und Gesellschaft zurückentwickeln wollen oder ob wir uns für ein besseres Leben motivieren, indem wir uns auf das Gute konzentrieren. Was ist gut? Das wird offensichtlich, sobald wir begriffen haben, was nicht gut ist. Mir ist völlig unverständlich, wie Menschen an so absurde Theorien wie die des Virus glauben können, das im Labor als Waffe gegen den Westen gezüchtet wurde. Oder an die Theorie vom Komplott der Nationen, die uns Nanotechnologie unter die Haut spritzen wollen, um uns in willenlose Sklaven zu verwandeln. Ich stehe fassungslos vor Leuten, die tatsächlich überzeugt sind, dass es nie eine Mondlandung gegeben hat, die aber felsenfest zu wissen glauben, dass Außerirdische uns ausspionieren und sich mit einer amerikanischen Alien-Regierung verbündet haben, um die Alleinherrschaft über die Welt anzustreben. Ein gewisser Teil der Leser, die sich Zeit für diese Zeilen nehmen, ist davon überzeugt, dass uns die Wissenschaft die Wahrheit über das Virus verheimlicht. Solche faszinierenden Theorien und Fantastereien werden von „Alternativen“ in die Welt gesetzt, die in der Vorstellung schwelgen, im Besitz einer Wahrheit zu sein, die offensichtlich viel interessanter ist als langweilige, wissenschaftlich nachweisbare Fakten. Es sind Pessimisten, die zu einer besseren Welt nicht beitragen, weil sie davon überzeugt sind, dass Schlechtes nur noch schlechter werden kann. Dabei gelten sie oft sogar als intelligenter als die Optimisten und legen sich sogar noch jede Menge Anhänger zu, die es offensichtlich toll finden, wie hier alles und jedes in Misskredit gebracht wird, wie alle immer verdächtig und schuld sind, wie Misstrauen und Zweifel grundsätzlich angebracht sind.

Ihnen allen ist ein Mangel an echtem Wissen gemein. Dass sich solche Theorien so ungehindert verbreiten, liegt auch an daran, dass der hochspezialisierten Wissenschaft die Worte fehlen, um sich dem störrischen Volk verständlich zu machen. Wenn sich Ahnungslosigkeit derart vervielfacht, dann ist das aber nicht nur problematisch. Es ist gefährlich. Nihil sub sole novi, nichts Neues unter der Sonne: Wer glaubt, er könne sich zu komplexen Themen eine fachliche Meinung bilden, indem er Tweets liest, Facebook-Posts ansieht und vielleicht noch eine einzige Tageszeitung oder die Regionalnachrichten im Fernsehen verfolgt, der wird seine eng umgrenzte, kleine Welt nie verlassen können. So wie es die Kultur der Menschen nicht schafft, mit der rasant schnellen Fortentwicklung der Technologie Schritt zu halten, so ist auch die Politik damit überfordert, einer immer schneller sich wandelnden, komplexen Welt zu folgen. Unsere Regierungen werden den Zauberstab daher nicht schwingen können; das zu erwarten, wäre naiv.

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts glaubten die Menschen, dass Lesen schlecht wäre für Kinder und dass Romane den menschlichen Charakter verdürben. Kultur ist gefährlich; die totalitären Systeme wussten das ganz genau. Doch der Mensch hat die Pflicht, sich um seine Fortentwicklung zu bemühen, innerlich wie äußerlich, und sich dabei nicht von der Angst vorm Scheitern vereinnahmen zu lassen. Wir können uns selbst dazu erziehen, das Schöne wahrzunehmen. Die ersten Sommerschwalben in den Dolomiten zu bestaunen, ganz bewusst die Gipfel und Zacken der Bleichen Berge anzusehen, denen unser tägliches Treiben so vollkommen gleichgültig ist. Es ist gut möglich, dass die Menschen aussterben werden, wie viele andere Gattungen auch. Dass wir aber weiter versuchen müssen zu überleben, indem wir uns anpassen, flexibel sind. Das menschliche Genie, der Wissensdurst des Menschen und seine Fähigkeit zu schneller Reaktion, zum Finden von Lösungen für schwierige, unlösbar erscheinende Probleme zeigt doch, dass wir viel schaffen können.

Noch in den 1980er-Jahren galten 40% der Weltbevölkerung als extrem arm; heute sind es nur noch 9%. Bis in die 1960er-Jahre starben jedes Jahr rund zwei Millionen Menschen an den Masern. Wir haben Heilmittel gegen Polio, Diphterie und Malaria gefunden, gegen Cholera und Tuberkulose, und in der Zukunft wird die Medizin auch Mittel gegen Tumore und Aids finden. Heute sterben viel weniger Menschen in Kriegen als noch vor 50 Jahren, und wenn es immer noch zu viel Gewalt gibt auf unserem Planeten, so ist unsere Welt doch deutlich weniger despotisch als früher. Bis 2050 werden wir zehn Milliarden Menschen sein auf diesem Planeten und es wird gewaltige Krisen in allen möglichen Gebieten geben. Doch die Erde wird nicht an Überbevölkerung zugrunde gehen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg besaßen die Frauen in Italien kein Wahlrecht und niemand hätte sich darüber gewundert, wenn bei einem Treffen ein Stuhl für eine Frau gefehlt hätte. Die Städte Italiens haben seit der Zeit Dantes ungeahnte Veränderungen erfahren; die Geschlechtertürme, die wir heute bewundern, befanden sich früher im Krieg gegeneinander. Doch diese Zeiten haben den Humanismus hervorgebracht. Die geschwächten Aristokraten wankten unter dem Ansturm der neuen Klassen, und das florierende Bürgertum wurde das neue Herzstück des Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts. Quälende Bürgerkriege waren fast schon Dauerzustand, und das, ohne dass die Menschen den psychologischen Notdienst zur Hilfe rufen konnten. Heute arbeiten Architekten an Entwürfen für die perfekte Stadt. Für Städte, die schöner sind, lebenswerter.

Damals gab es auch theologische Auseinandersetzungen. Dominikaner, die den Franziskanern Konkurrenz machten. Man stritt, wer die stärkere Kirche hätte. Heute interessiert sich die Kirche für Finanzinvestitionen ohne gute oder schlechte Seele. Sie setzt sich aber auch stärker für die Aufklärung von Pädophilieverbrechen ein.

In Dänemark entsteht gerade eine künstliche Insel, die erneuerbare Energien für drei Millionen Familien erzeugen soll. Nach Sardinien sind die Gänsegeier zurückgekehrt. Noch immer schwimmt viel zu viel Plastik auf unseren Meeren, doch das Ozonloch schließt sich wieder. Viel Zeit haben wir nicht mehr, um uns in Sicherheit zu bringen. Für eine Marslandung braucht es noch viel Zeit. Doch unsere Rettung heißt Hoffnung.

Hoffnung heißt, sich täglich aktiv zu bemühen. Nicht einfach auf dem Sofa zu sitzen, fake news auf Facebook zu konsumieren und Waren per Amazon um die Welt zu schicken, denn Amazon & Friends könnten tatsächlich irgendwann die Welt beherrschen. Unsichtbare Diktaturen, die sich unserer aller Ressourcen bedienen, ohne irgendwas dafür zu bezahlen. Noch sehen wir in ihnen vor allem intelligente Lösungen, doch in einer gar nicht allzu fernen Zukunft könnten sie große Schuld an unserem Unbehagen tragen.
Der Berg, auf den wir klettern müssen, ist steil und schwierig. Doch am besten gelingt der Anstieg, wenn wir nicht an Mühe und Plage denken, sondern daran, wie gesund diese Tour ist. Wenn wir jeden einzelnen Schritt genießen und dazu die wunderbare Umgebung, in der wir unterwegs sind. Das ganze Leben hindurch haben wir es mit Anstrengungen und Herausforderungen zu tun – die Mühen werden nie aufhören.

Wir sollten uns weder die Typen zu sehr zu Herzen nehmen, die sich alles Heil von der Wissenschaft erhoffen. Noch die anderen, die überzeugt sind, dass sowieso alles den Bach hinuntergeht. Die Welt wird von Menschen in Bewegung gehalten, die Möglichkeiten sehen. Von Possibilisten. Ich bin einer davon.

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Zu diesem Text hat mich ein vor geraumer Zeit im SPIEGEL erschienener Artikel inspiriert, von dem ich einige Informationen übernommen habe.

m.