Chronik | Bus-Affäre

Tatort Briefkasten

Abteilungsdirektor Günther Burger soll wegen der Weitergabe von Amtsgeheimnissen angeklagt werden, weil er Dokumente anonym bei Salto hinterlegt hat. Ein Bozen-Krimi.
salto-Redaktion
Foto: Salto.bz
Die Beamten der Quästur, die am 29. April 2019 in der Salto-Redaktion vorstellig werden, schauen sich den Eingang zum Büro genau an. „In diesem Bezug muss angegeben werden, dass es in der Rosengartenstraße, dort wo Salto.bz seinen Sitz hat, keinerlei Videoüberwachung gibt“, werden sie später im Abschlussbericht zu den Ermittlungen im Strafverfahren 4741/18 schreiben.
Offiziell gilt der Besuch der Polizei dem Autor dieser Zeilen und die Fragen der Beamten zielen auf einen Artikel ab, der rund zehn Wochen zuvor auf Salto.bz erschienen ist.
Heute, 14 Monate später, wird auch klar, warum. Nach den Ermittlungsergebnissen des Amtes für kriminalpolizeiliche Ermittlungen in der jetzt enthüllten Bus-Affäre ist die Salto-Redaktion ein Tatort. Denn vor der Redaktion, genauer gesagt am Briefkasten, soll sich laut Ermittlungsbericht der damalige Abteilungsdirektor für Mobilität, Günther Burger, der Offenbarung und Weitergabe von Amtsgeheimnissen (Art 326rivelazione e utilizzazione di segreti d’ufficio) schuldig gemacht haben.
Anhand der Akten lässt sich der reale Bozen-Krimi lückenlos nacherzählen.
 

Der Bericht der Kartellbehörde

 
Der Artikel, für den sich die Ermittler im vergangenen Frühjahr so brennend interessieren, erscheint am 9. Februar 2019. Unter dem Titel „Römische Watschn“ wird detailliert über ein laufendes Verfahren vor der „Autorità garante della concorrenza e del mercato“ (AGCM)  berichtet. Die oberste staatliche Wettbewerbsbehörde hatte nach einer Eingabe des Landes schon 14 Monate zuvor ein Ermittlungsverfahren gegen das private Südtiroler Nahverkehrsunternehmen SAD AG eingeleitet.
Anfang 2019 biegt der Fall „Nr. A516 - Gara Trasporto Pubblico Locale nella Provincia Autonoma di Bolzano” in Richtung Zielgerade ein. Per Dekret setzt die AGCM die letzte Anhörung der Parteien auf den 11. März 2019 und das Verfahrensende auf den 10. April 2019 fest.
 
 
 
Gleichzeitig stellt die Kartellbehörde dem Land und der SAD AG Ende Jänner 2019 auch den Abschlussbericht zu. Die Schlussfolgerungen darin sind für die SAD AG vernichtend. Im Bericht seziert die staatliche Wettbewerbsbehörde die gesamte Angelegenheit in insgesamt 204 Punkten. Die AGCM-Ermittler kommen dabei zu einem überaus klaren Resümee: Das Verhalten der SAD AG sei in mehreren Punkten widerrechtlich und wettbewerbsverzerrend gewesen. Deshalb werden bereits zu diesem Zeitpunkt mögliche Strafen für die SAD in Aussicht gestellt, die sich in Millionenhöhe bewegen könnten.
Salto.bz veröffentlicht diese Meldung und dazu exklusiv Auszüge aus dem 43-Seiten starken Dokument.
Die Polizei will im April 2019 unbedingt wissen, woher der Autor dieses Dokument hat. Heute ist klar, warum.
 

„Roba pesante“

 
Die Ermittler der Bozner Quästur hören ab Spätherbst 2017 monatelang die Mobiltelefone der beteiligten Landesbeamten sowie einiger privater Busbetreiber ab. Dabei stoßen sie auch auf das Verfahren vor der Kartellbehörde.
So lauschen die Ermittler mit, als der Direktor der Vergabeagentur des Landes Thomas Mathà am frühen Morgen des 30. Jänner 2019 Abteilungsdirektor Günther Burger anruft. Am Tag zuvor war dem Land Südtirol der Abschlussbericht der AGCM zugestellt worden. „Das sind schwere Vorwürfe (roba pesante), die einiges an der laufenden Ausschreibung ändern“, kommentiert Mathà die Ermittlungsergebnisse der Kartellbehörde.
 
 
Sowohl Mathà als auch Burger zeigen sich zufrieden mit den römischen Schlussfolgerungen. „Endlich hat jemand das niedergeschrieben, was ich seit Monaten sage“, meint Günther Burger. Für den Direktor der Vergabeagentur Thomas Mathà ist klar, dass die SAD AG von der laufenden Ausschreibung zur Vergabe des Südtiroler Nahverkehrs ausgeschlossen werden muss, sollte die Kartellbehörde diese Schlussfolgerungen in einem Urteil bestätigen. Zudem reden die beiden Amtsdirektoren über die mögliche Strafzahlung, die die AGCM der SAD aufbrummen könnte: Bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes.
Günther Burger meint auch, dass die Nachricht bekannt werden muss. Er erklärt, dass er dazu mit dem Leiter der Kommunikationsagentur des Landes Marco Pappalardo reden werde.
 

Millionen auf den Tisch

 
Am Vormittag des 31. Jänner 2019 ruft SAD-CEO Ingemar Gatterer den Generaldirektor seines Unternehmens, Mariano Vettori, an. Gatterer teilt Vettori mit, dass er am Vortag den Abschlussbericht der AGCM bekommen habe und die Kartellbehörde wegen der Schwere der Verstöße die Sanktionen um 50 Prozent erhöhen könnte. Vettori beruhigt Gatterer und meint dann, dass die AGCM-Inspektoren nichts anderes als „Scheißbullen“ (Poliziotti di merda) seien. Der SAD-Direktor nennt dabei einen der Ermittlungsbeamten auch beim Namen.
Als Vettori meint, sie hätten ja noch bis zum 6. März Zeit, Entlastungsdokumente im Verfahren vorzulegen, bockt Ingemar Gatterer. Seine Anweisung: Keinerlei Dokumente vorlegen, auf das Urteil warten und dieses dann vor dem Verwaltungsgericht Latium anfechten.
 
 
Wie sicher sich Ingemar Gatterer und Mariano Vettori ihrer Sache dabei sind, zeigt sich auch daran, dass die beiden noch über die Höhe der Strafe witzeln. Gatterer meint maximal 4 oder 5 Millionen Euro. Vettori: „Sicher nicht mehr als 1,5 Millionen“. Ingemar Gatterer daraufhin lachend am Telefon: „Wenn es nur 1,5 Millionen Euro sind, wäre es nur zu schön, ihnen diese in bar auf den Tisch zu legen.
 
Wenn es nur 1,5 Millionen Euro sind, wäre es nur zu schön, ihnen diese in bar auf den Tisch zu legen“.
SAD-CEO Ingemar Gatterer.
 
Mariano Vettori, von Beruf Anwalt, beruhigt seinen Chef dann. Nur eine rechtskräftige Verurteilung durch die Kartellbehörde könnte einen Ausschluss von der laufenden Ausschreibung mit sich ziehen. Man werde nach dem Verwaltungsgericht Latium aber auch noch vor den Staatsrat ziehen. „Das dauert dann über drei Jahre, bis die Verurteilung rechtskräftig wird“, ist sich Vettori sicher.
 

Wein für Vettorato

 
Zweieinhalb Stunden später ruft Ingemar Gatterer wieder Mariano Vettori an. Vettori hat inzwischen den AGCM-Bericht und die Vorhaltungen genauer studiert.. „Diese Hurensöhne (figli di Troia) können eine Strafe bis zu 30 Prozent der Jahresproduktion erlassen“, echauffiert sich der SAD-Direktor, „das wären dann 5 Millionen Euro“.
Vor diesem Hintergrund müsse sich die SAD gut verteidigen. Ingemar Gatterer gibt die Anweisung, umgehend Maurizio Paniz mit dem Fall zu betrauen. Der renommierte Strafverteidiger aus Belluno war einer der Anwälte Silvio Berlusconis im sogenannten „Rubygate“.  Inzwischen poltert Vettori: „Das alles ist ein Geschenk dieses Eierkopfes, dieses Tiers, dieses Schweins von Burger“. („È un regalo di quel testa di cazzo, animale, maiale di Burger“).
 
Das alles ist ein Geschenk dieses Eierkopfes, dieses Tiers, dieses Schweins von Burger“.
SAD-Generaldirektor Mariano Vettori.
 
Gleichzeitig kommen die beiden Köpfe der SAD aber auch überein, dass man neben der strafrechtlichen Verteidigung auch auf der politischen Ebene versuchen soll, „den Fall AGCM zu lösen“. Gatterer schlägt vor, mit dem Neolandesrat der Lega Giuliano Vettorato zu reden. Mariano Vettoris Antwort: „Ein gute Idee, ich gehe gleich 4 - 5 gute Flaschen Wein kaufen“.
 

Burgers Fehler

 
Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass Günther Burger die Abteilungsdirektion für Mobilität verlassen wird. Die Ermittler haben auch das Büro Burgers verwanzt. So hören sie mit, als der Abteilungsdirektor seiner engsten Mitarbeiterin am 5. Februar 2019 eröffnet, dass er als Ressortdirektor in das Sanitätsassessrat zu Thomas Widmann wechseln wird. „Ich bin von meinen Vorgesetzten enttäuscht, niemand hat mich in diesem Streit um die Ausschreibung verteidigt“, sagt Burger.
Wenig später macht der Abteilungsdirektor dann einen lässlichen Fehler, der ihm jetzt eine Anklage einbringen könnte.
Günther Burger will unbedingt, dass die Ermittlungsergebnisse der „Autorità garante della concorrenza e del mercato“ (AGCM) zur SAD an die Öffentlichkeit kommen. Weil die Landespolitik nichts tut, nimmt er die Sache selbst in die Hand.
 
 
 
Der Redaktionssitz von Salto.bz liegt nicht unweit des Mobilitätsassessorats. Am frühen Morgen des 8. Februar 2019 legt Günther Burger eigenhändig eine Kopie des 43 Seiten starken AGCM-Abschlussberichtes in den Postkasten der Salto-Redaktion. Das weiße Kuvert ist nur mit dem Namen des Autors dieser Zeilen beschriftet.
Für die Ermittler ist das eine Straftat.
 

Geständnis am Telefon

 
Dass sich die Polizei ihrer Sache in diesem Punkt so sicher ist, liegt an einem abgehörten Telefongespräch am selben Nachmittag. Günther Burger erzählt einer Bekannten, dass er am Morgen das Dokument anonym im Salto-Briefkasten hinterlegt habe. „Ich will, dass diese Dinge öffentlich werden“, begründet er sein Handeln. Seine Gesprächspartnerin zeigt sich beunruhigt über die Aktion und sie äußert konkrete Bedenken. Was, wenn der Eingang der Salto-Redaktion videoüberwacht sei und plötzlich ein Video auftaucht, in dem der Abteilungsdirektor zu sehen ist, wie er heimlich und anonym Dokumente in einer Redaktion hinterlegt.
 
 
 
Günther Burger hat auch darauf eine Antwort. Da es am Eingang nirgends einen Hinweis auf eine „videoüberwachte Zone“ gebe, könnte er – sollte ein solches Video auftauchen – Salto.bz immer noch wegen Verletzung der Privacy-Bestimmungen verklagen.
Doch das war nicht notwendig. Weil dem Autor dieser Zeilen – trotz der anonymen Herkunft – die Brisanz des AGCM-Berichtes bewusst war, erschien bereits am nächsten Tag der Artikel. Nach Ansicht der Ermittler kommt damit Günther Burgers Straftat zum Abschluss.
Ob der Akt aber wirklich geheim war und damit der strafrechtliche Vorwurf greift, wird jetzt ein Richter klären müssen. Auch vor dem Hintergrund, dass dieser Bericht – wie gesetzlich vorgesehen – am 10. April 2019 vollinhaltlich auf der Homepage der AGCM veröffentlicht wurde.
Dabei hat die Kartellbehörde auch eine Strafe gegen die SAD verhängt: 1.147.275 Euro
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rotaderga Do., 11.06.2020 - 07:56

Menschen, die Geheimnisse für sich behalten, sind in Wirtschaft, Medien, Justiz, Kirche und Politik völlig unbrauchbar.
Erhalten wir also diese Zustände damit die Arbeit nie ausgeht!

Do., 11.06.2020 - 07:56 Permalink
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Greta Karlegger Do., 11.06.2020 - 09:51

Günther BURGER: "Ich will, dass diese Dinge ÖFFENTLICH werden."
Et voilà, wie bestellt, so geliefert.
Ist hoffentlich in Ihrem Sinne, Herr Burger?

Do., 11.06.2020 - 09:51 Permalink
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Emil George Ciuffo Sa., 13.06.2020 - 16:31

Welches Amtsgeheimnis soll denn da verletzt worden sein, wenn die Informationen öffentlich im Internet zugänglich sind?
Es sind wohl eher die skrupellosen Praktiken, die in manchen Kreisen in Südtirol schon für ganz normal, ja sogar legal, gehalten werden, die gestört worden.
Zumindest den Reaktionen nach zu schließen ...

Sa., 13.06.2020 - 16:31 Permalink