Gesellschaft | Missbrauch

Tabubrecher Kirche

Um sexuellen Missbrauch und Gewalt in der Kirche, aber nicht nur, geht es in einer Tagung der Diözese. Man will “ein weit verbreitetes Tabu brechen”.
Kirche
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“Die Diözesanleitung ist aktiv um eine historische Aufarbeitung und eine ehrliche Aufklärung von solchen Vorwürfen bemüht. Sie stellt sich auf die Seite der Opfer und trägt durch verschiedene Initiativen dazu bei, ein Klima des Dialogs aufzubauen.” Der Satz stammt aus dem fernen Jahr 2010. Karl Golser war Bischof, als das Thema sexueller Missbrauch in kirchlichen Strukturen auch in Südtirol hohe Wellen schlug. Ein Ministrantenleiter in Vahrn wurde nach Meldungen von sexuellen Übergriffen an Kindern suspendiert und angeklagt; wenige Monate später wurde im Sarntal ein Priester seines Amtes enthoben als Missbrauchsfälle, die über 20 Jahre zurück lagen bekannt wurden. “Ich wünsche mir eine volle Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe”, sagte Bischof Golser damals und richtete einen unabhängigen Ombudsmann für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in diözesanen Einrichtungen ein.

“Alle gesellschaftlichen Kräfte, vor allem die Familien, sind zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Missbrauch und Gewalt aufgefordert.”
(Gottfried Ugolini)

Mit konsequenter Aufarbeitung von Vorwürfen auf der einen und Präventionsarbeit auf der anderen Seite will die Diözese seither das Tabuthema sexueller Missbrauch und Gewalt in der Kriche angehen – “ohne falsche Rücksichtsnahme”, so Golser. In den ersten zwei Jahren seit der Errichtung der Ombudsstelle meldeten sich 54 Personen, 31 davon mit Vorwürfen von Missbrauch. “Die Vorwürfe betreffen in erster Linie sexuelle, in zweiter Linie physische und psychische Gewalt, wobei die meisten Tatbestände 20 und mehr Jahre zurück liegen, einer 13 Jahre”, hieß es vonseiten der Diözese.

Jetzt, fünf Jahre und einige Tagungen zum Thema – 2015 etwa, unter dem Titel “Der Schutz der Kinder ist vorrangig” – später, setzt es Diözese wieder auf ihre Agenda. Die interne Arbeitsgruppe “Prävention von sexuellem Missbrauch und von Gewalt”, unter der Leitung von Gottfried Ugolini, organisiert kommenden Mittwoch eine “Tagung für eine Kultur der Aufmerksamkeit zur Prävention sexueller Gewalt”.
Die Veranstaltung “Es passiert häufig und überall” geht über Missbrauch und Gewalt in der Kirche hinaus, wie Ugolini verrät: “Es soll ein weit verbreitetes Tabu gebrochen werden, um das Wohl der Kinder und Jugendlichen in allen Bereichen zu sichern und zu gewährleisten. Alle gesellschaftlichen Kräfte, vor allem die Familien, sind zur Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Thema aufgefordert.” Nichtsdestotrotz soll mit der Tagung, an der alle Interessierten teilnehmen können, “vor allem die Aufmerksamkeit und die Verantwortung kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt werden”. Für in Südtirol bislang kaum bekannte Einblicke dürften die Ergebnisse einer Untersuchung sorgen, die der Sozialpsychologe Heiner Keupp, der an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen lehrt, durchgeführt hat. Keupp, der seit 2016 Mitglied der Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch der deutschen Bundesregierung ist, hat sich mit Missbrauchsfällen in Heimen von Ordensgemeinschaften in Deutschland auseinandergesetzt.

Die Tagung “Es passiert häufig und überall” findet am Mittwoch, 18. Oktober, von 9 bis 12.15 im Pastoralzentrum in Bozen statt.