Gesellschaft | Skandal

Künstlerische Freiheit?

Darf ein Soulsänger ein Wutbürger sein? Wie weit geht die künstlerische Freiheit? Südtirols Musikszene äußert sich zum Xavier-Naidoo-Skandal.
Xavier
Foto: upi

Seit der Veröffentlichung der neuen Söhne Mannheims CD Ende April, sorgt ein von Xavier Naidoo komponiertes Lied für mächtig Wirbel. Deutsche Medien werfen dem berühmten Sänger rechtspopulistische und antisemitische Rhetorik vor. “Pegida-Vokabular” schrieb die Huffpost, “Xavier Naidoo hat eine Reichsbürger-Hymne geschrieben” titelte die FAZ. Jan Böhmermann parodierte den Sänger mit dem Song “Hurensöhne Mannheims” auf NeoMagazinRoyale. Mit Zeilen wie „Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch-beziehungsweise Volksverräter” im Song "Marionetten" gerät der Musiker in die Kritik. Mitglieder der Identitären Bewegung und der NPD teilten und kommentierten den Song. Die Debatte kochte so hoch, dass sich auch die Politik einmischte. Der Bürgermeister Mannheims lud am Montag zu einem klärenden Krisengespräch.

 

Naidoo äußerte sich danach erstmals in einem Facebook Post öffentlich zur Debatte und verteidigt seine künstlerische Freiheit als Musiker. “Bei dem Lied “Marionetten” handelt es sich um eine zugespitzte Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen, also um die Beobachtung bestimmter Stimmungen, Auffassungen und Entwicklungen, dies im Rahmen einer künstlerischen Auseinandersetzung bewusst überzeichnet”, so der “missverstandene” Musiker.

 

Was sagt die Südtiroler Musikszene zur Diskussion? Salto.bz hat nachgefragt:

 

Patrick Strobl (Sänger der Band Mainfeld):

“Generell ist künstlerische Freiheit die Freiheit von der Norm abzuweichen und die Realität ein bissel zu verzerren. Wenn er (Xavier Nadidoo) in der Kritik steht, dann hat er eh schon vieles richtig gemacht. Für einen Künstler ist das immer gut. Er rüttelt halt ein bissel am System.”

 

Dominik Plangger (Liedermacher):

"Meinungsfreiheit beziehungsweise künstlerische Freiheit ist ein sehr hohes Gut unserer Gesellschaft. Jeder trägt die Verantwortung über das was er sagt oder tut. Personen die in der Öffentlichkeit stehen und viele Menschen erreichen hatten immer schon eine gewisse Macht um Stimmungen anzuheizen oder zu schlichten. Dieser Verantwortung muss man sich als öffentliche Person bewusst sein! Die Grenze muss ganz klar bei Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Diskriminierung und jeglicher Art von Ausgrenzung gezogen werden!“

 

Walter Eschgfeller (Plattenladenbesitzer und Kenner der Südtiroler Musikszene):

“Ich hab mir den Skandaltext durchgelesen und weiß nicht was daran schlimm sein soll, wenn jemand die aktuelle Politik kritisiert. Der Künstler hat ja nichts verbrochen, er schreibt nur über den Ist-Zustand und spricht aus was viele Leute einfach ärgert. Künstlerische Freiheit hört dort auf wo Menschen eingeschränkt oder diskriminiert werden, der Text von Naidoo ist freie Meinungsäußerung.”

 

Manuel Profunser (Rapper der Band Homies 4 Life):

"Meiner Meinung nach hat Kunst die Aufgabe sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, Missstände aufzudecken und zu diskutieren. Sobald diese Freiheit durch Verbote eingeschränkt wird ist das ein Alarmsignal für eine Gesellschaft, weil das einem Verbot der freien Meinungsäußerung gleichkommen würde. Jeder Künstler der ein Werk veröffentlicht, muss sich aber bewusst sein, dass seine Werke „öffentlich“ zugänglich sind und er deshalb auch gesellschaftliche und politische Verantwortung trägt. Ein Lied zu veröffentlichen und im Nachhinein zu erklären: „Das hab ich nicht so gemeint“ ist für mich nicht sehr glaubhaft. Die meisten Sänger beschäftigen sich sehr lange mit einem Song, da von der ersten Idee bis zum fertigen Track durch das Aufnehmen, Mischen, Mastern usw. einiges an Zeit vergeht und man deshalb Zeit hat, sich zu überlegen ob man mit dem Songtext wirklich das ausdrückt, was man wollte.“

 

Markus Dorfmann (Liedermacher):

“Ich denke, dass wir in einer Gesellschaft leben in der man sich immer weniger erlauben darf. Heutzutage die Meinung zu sagen ist immer ein Grenzgang. Die eigene Meinung wird irgendwann so gesteuert, dass es überhaupt keinen Spaß mehr macht. Wenn man als Liedermacher jedes Wort nachschlagen muss, ob es nicht zu rechts oder zu links ist, dann ist es nur mehr kontrolliert. Als Künstler hat man auch die Verantwortung aufzurütteln und Provokationen sollten Platz haben. Man kann einen Künstler nicht beschneiden und daher sollte man einfach schreiben.“

 

Barnabas Kieser (Inhaber der Plattenfirma culture assault)

„Jeder soll Kunst machen wie ihm das Maul gewachsen ist. Wenn jemand auf seinem persönlichen, speziellen Trip hängen geblieben ist und das dann auch äußert, muss der Rezipient aka Gesellschaft wohl entscheiden ob Daumen hoch oder Daumen runter. So stark muss die Gesellschaft schon sein.“

 

Bertrand Risé (Singer/Songwriter - Shanti Powa):

“Wir haben schon immer Texte darüber geschrieben was wir denken, ohne groß zu überlegen wem das gefällt oder nicht. Für mich als Texter ist es eine Lebensaufgabe durch meine Texte ein Vorbild zu sein. Wenn wir Texte schreiben, dann weil wir so fühlen und denken. Ein bekannter Musiker muss sich jedoch im Klaren sein, was er für eine Macht hat. Moralisch gibt es sicher eine Grenze. Freie Meinung bis zum Gesetz. Zum Beispiel Faschismus, der ist verboten, da ist die Grenze vom Staat vorgegeben.“

 

Thomas Maniacco (Trompeter/backing vocalist - Shanti Powa/Color Colectif):

“Ich denke wenn jemand seine Musik und Kunst ernst nimmt dann weiß er auch wo seine Grenzen sind. Wir leben ja in einer Demokratie und man kann seine Meinung frei sagen. Kunst soll auch die Möglichkeit haben zu polarisieren. Und kann vielleicht auch mal hart und stark in den Texten sein, um die Menschen auf gewisse Inhalte aufmerksam zu machen. Der Text zur Musik ist immer ein Zusammenspiel von Durchdachtem, Spontaneität und flow.”

 

Barbara Zanetti (Liedermacherin):

“Für mich hört die künstlerische Freiheit da auf wo sie anfängt bewusst Feindbilder zu schaffen und Menschenverachtung gesellschaftsfähig macht. Es geht keinesfalls um eine Zensur. Die Meinungsfreiheit ist unser aller Grundrecht, aber demokratiefeindliche und gewaltverherrlichende Texte haben meines Erachtens in der Kunst nichts verloren. Bestenfalls weckt Kunst den kritisch politischen Geist, regt zum Denken an, provoziert und weist auf Gefahren hin aber vor allem hinterfragt sie. Die gesellschaftliche und politische Verantwortung beginnt für mich nicht irgendwann. Wir alle haben und tragen Verantwortung sowie die Konsequenz für unser Tun oder Nichttun. Jederzeit und ausnahmslos.“

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Mensch Ärgerdi… Fr., 12.05.2017 - 16:07

Xavier Naidoo ist schon seit Jahren fester Bestandteil des deutschen Milieus von Verschwörungstheorien, Pegidademos und Leuten die irgendwie immer wieder "falsch verstanden"werden. Wie den meisten Leuten dieser Szene würde ich ihm ehere Dummheit als Bösartigkeit unterstellen und ihm keine große Achtung schenken.
Dazu ein schon etwas älterer Bericht
www.focus.de/kultur/musik/verschwoerungstheorie-mit-sanfter-stimme-die-…

Fr., 12.05.2017 - 16:07 Permalink
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gorgias Fr., 12.05.2017 - 17:47

Hier eine unterhaltsame aber treffende Analyse:
https://www.youtube.com/watch?v=iV07agTyzc8

P.S. Warum hat man nicht auch Frei.Wild gefragt? Oder hat man Angst hier den Bock zum Gärnter zu machen? Und wenn man Frei.Wild für einen Bock hält, sollte man doch mal die feinen Künstler doch zu diesen äußern,. Aber da riskiert man in die Wahrnehmungsschwelle der Bewerteten zu fallen.

P.P.S. Reichsbürger, Chemtrailer und andere Verschwörungstheoretiker sind das Ergebnis des Internet, weil es jene zum Selberdenken ermuntert, die es besser sein lassen sollten. Denn Selberdenken macht Dumme dümmer.

Fr., 12.05.2017 - 17:47 Permalink