Gesellschaft | Gastkommentar

Priorität Jugend?

Gegen die soziale Lage vieler Studierender besteht Handlungsbedarf.
Hörsaal
Foto: commons.wikimedia.org/Uni EF

Zu Beginn einige Zahlen, das kommt immer gut an: 45% der befragten Sudierenden in Österreich gaben 2020 an, in finanziellen Schwierigkeiten zu sein, 34% in ernsten. Eine in Deutschland durchgeführte Studie ergab, dass sich die Einkommenssituation von 21% der Studierenden seit Ausbruch der Pandemie merklich verschlechtert hat. Zu den Südtiroler Studierenden liegen der HochschülerInnenschaft leider keine genauen Daten vor – glaubt man aber den zahllosen Mails und Telefonaten, die uns erreicht haben, und den Gesprächen, die wir führen, ist die soziale Lage auch unter unseren Mitgliedern und Kolleg*innen nicht gerade rosig. Auch an uns ist die Pandemie nicht spurlos vorbeigegangen. Ich freue mich, dass seit einigen Monaten vermehrt über die verheerenden Auswirkungen der Pandemie auf junge Menschen berichtet und diskutiert wird – wenngleich nicht immer frei von „wutbürgerlicher“ Instrumentalisierung. Doch es geht dabei zumeist um psychische Folgen, weniger um die materielle, die soziale Benachteiligung, die viele zu spüren bekommen bzw. vielen droht. Dieses soziale Problem bildete auch die reale Grundlage für die Debatte, die wir Anfang April bezüglich der Aussetzung der Leistungsstipendien geführt haben. Zur Erinnerung: Nachdem bekannt geworden war, dass der Wettbewerb um die Leistungsstipendien des Landes Südtirol in diesem Jahr nicht ausgeschrieben wird, verurteilten Abgeordnete des Team Köllensperger und des PD diese Sparmaßnahme in deutlichen Aussendungen. Gegenüber Hochschullandesrat Achammer nahm und nimmt die SH folgende Haltung ein: Wenn eine Kürzung effektiv notwendig ist, können wir sie akzeptieren, sofern die Mittel für die ordentliche Studienbeihilfe nur angetastet werden, um sie zu erhöhen (denn der Bedarf wird heuer größer sein) und sofern eine Reihe anderer sozialer Fürsorgemaßnahmen umgesetzt werden, die wir der Landespolitik vorgeschlagen haben. Darunter: Ausweitung der Studiengebühren-Rückerstattung und Sonderhilfen für Studierende, die ihren Job verloren haben, die der Sozialstaat jedoch bislang übersehen hat.

 

Es braucht konkrete und spezifische Hilfen

 

Bislang zahlt einem das Land 80% der Studiengebühren zurück, sofern man auch die ordentliche Studienbeihilfe empfängt. Unser Ziel ist es, dass man auch dann um die öffentliche Rückerstattung ansuchen kann, wenn man ansonsten keine Beihilfe empfängt – das würde besonders Familien der Mittelschicht entlasten, die, so auch der O-Ton in der Leistungsstipendien-Debatte, oft das Nachsehen haben, obwohl auch sie Unterstützung bräuchten. Die andere Maßnahme, sprich, die einmalige Auszahlung einer Geldsumme an (normalerweise) werktätige Studierende, ist als Kompensation für weggebrochene Nebenjobs und fehlenden Lohnausgleich/Kurzarbeit konzipiert. Wir schlagen 600 Euro vor. Beide Maßnahmen haben wir in einer Stellungnahme ausführlicher erklärt (siehe QR-Code), beide Maßnahmen haben einen klar sozialen Charakter. Diese Linie entspricht unserer sozialen Grundausrichtung und fand in den Reihen der Südtiroler Studierenden Anerkennung. Auf soziale Probleme muss die öffentliche Hand mit sozialen Maßnahmen reagieren; die Leistungsstipendien, die gerade einmal 265 Personen erreichen, sind in dieser Hinsicht nicht ausschlaggebend. Vor allem werden sie nicht aufgrund von tatsächlicher sozialer Bedürftigkeit ausgeschüttet. Ganz anders als die Studienbeihilfe, von der schätzungsweise 30% der immatrikulierten Südtiroler profitieren – dort zu streichen, wäre fatal. Überhaupt in Zeiten schmelzender Familieneinkommen und monatelang ausgebliebener Verdienstmöglichkeiten für Studierende in Gastronomie und Kultursektor. Akademische Bildung darf kein Privileg reicherer Klassen sein, so unser Credo. Nun gut.

 

Impfkampagne löst keine sozialen Probleme

 

„Die Jugend ist wichtig, die Jugend ist die Zukunft, die Jugend hat Priorität“, hört man in meinem Alter oft. Fakt ist: Der Vorstand der SH wartet nun seit über zwei Monaten auf eine konkrete und belastbare Zusage aus dem zuständigen Ressort – trotz aller Beteuerungen, die ihn hier und da erreicht haben. Zwar stimmen Landesrat Philipp Achammer und wir als SH mit der „sozialen“ Schwerpunktsetzung in Sachen Beihilfen überein, beschlossen ist aber noch nichts. Und obwohl ich, als Vorstandsmitglied, davon ausgehen kann, dass sich auch 2021 irgendeine Lösung zugunsten der Studierenden finden wird, – das „irgendwas“ ist das Problem, noch mehr, das „irgendwann“. Die Studierenden verlieren Geduld und Vertrauen. Ok, die Euphorie der allermeisten Altersgenossen, sich nun unerwartet rasch die Hoffnung auf mehr Freiheit erimpfen zu können, verschafft der Landesregierung nach wie vor Zeit. Was das Impfen angeht, befinden wir uns als Südtiroler Jugendliche im europäischen Vergleich ja in einer durchaus privilegierten Stellung (sofern man vom begehrten Nadelstich als Privileg, und nicht als Recht ausgeht, in dessen Genuss ein jeder schon längst hätte kommen sollen); das muss man der Landespolitik zugutehalten. Es ist auch nicht so, dass unter denen, die jetzt Oberschulen und Unis bevölkern (oder wenigstens, deren Videokonferenz-Programme), besondere Impfskepsis herrscht, wenngleich neueste, etwas eigenwillig zusammengewürfelte Zahlen des Sanitätsbetriebes (alle Menschen unter 40 = nur 20,4% erstgeimpft) darauf schließen lassen könnten. Nein. Jungen Südtiroler*innen wird, durch eine auch sie erreichende Impfkampagne, endlich ein realer, greifbarer Weg aus grauen Monaten von Stagnation, Isolation, ja Depression gewiesen. Das wird auch so wahrgenommen, der Optimismus nimmt zaghaft zu. Doch weder BioNTech noch AstraZeneca lösen die sozialen Probleme der Studierenden, zahlen einem Studiengebühren oder die schamlos hohe Miete in ihrer Universitätsstadt. Bei aller Liebe zu den immunologischen Errungenschaften der Wissenschaft, bei aller Freude, nun auch endlich einmal konkret geschützt zu werden; die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie lasten schwer über persönliche und familiäre Einkommen und gefährden auch heuer, im zweiten Coronajahr, den gleichen und gerechten Zugang zu universitärer Ausbildung. Eine ganze Generation verliert gerade nicht nur Monate und Jahre, die für eine gesunde psychische Entwicklung essentiell sind. Es geht auch um Bildungschancen, die sich verschlechtern, Perspektiven, die aus materiellen Gründen dahinbröckeln. Werde ich mir mein Studium noch leisten können? Muss ich doch beim Bachelor stehenbleiben, um meine Eltern finanziell zu entlasten? Die bisher vom Land ausgeschütteten Gelder greifen zwar, erreichen aber nicht alle, schon gar nicht einzelne Studierende, und deren Familien auch nicht in allen eigentlich nötigen Fällen. Daher also fordern wir spezifische Hilfsmaßnahmen, die zugleich eine Investition in Südtiroler Familien wie auch in die Zukunft, in die Chancen und Talente der jungen Generation darstellen.

 

Keine Unterstützung wäre fatales Signal

 

Stichwort „Generation Corona“. Nicht vergessen sollte die Landesregierung, welches Bild sie abgeben würde, wenn nicht demnächst die eingeforderte Hilfe beschlossen wird: Das fatale politische Signal „wir nehmen euch nicht ernst“. Es wäre nicht vorteilhaft, wenn ein solcher Eindruck entstünde. Denn unter den jungen Menschen brodelt es. Nicht erst seit Corona sinkt das Vertrauen in die politischen Institutionen, die vielen als zu wirtschaftslastig, undemokratisch und vom zynischen, reaktionären Populismus verseucht gelten. Unsere Generation wächst im Wissen auf, dass auf Covid-19 zahlreiche weitere, auch heftigere Krisen folgen werden, dass die Erde brennt und die große Politik in aller Ruhe auf ein Jahrhundert der Katastrophen zusteuert. Als wir 2019 die Straßen und Plätze füllten, um für das Klima, für unsere Zukunft zu demonstrieren, wurden wir vielfach belächelt – nun aber wird von uns seit einem Jahr strikte Solidarität eingefordert. Viele sind ernüchtert, desillusioniert. Und nach einem gefühlt ewigen Lockdown auch einfach nur frustriert. Dieser Frust entlädt sich seit einigen Wochen hin und wieder, Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und feiernden bis randalierenden Jugendlichen sind in manchen Großstädten Europas Realität geworden. Wohlgemerkt haben diese Ereignisse wenig mit der „Querdenker“-Bewegung gemein und sehr viele, inklusive mir, verurteilen die wissentliche Übertretung von Hygienevorschriften. Die spontanen Raves und nicht immer friedlichen Massenpartys sagen aber dennoch einiges über die ungute Stimmungslage vieler Gleichaltriger aus. Die Staatsmacht, die Politik, werden zunehmend als etwas jugendfeindliches wahrgenommen: Während tausende Coronaleugner*innen unbehelligt durch die Straßen ziehen dürfen, werden auf junge Menschen Wasserwerfer losgeschickt. In Südtirol haben wir dieses andernorts sehr ernst zu nehmende Problem so freilich nicht; aber man sollten nicht vergessen, dass gerade Menschen in meinem Alter dank der sozialen Medien sehr vernetzt sind und sich Trends dadurch dynamisch ausbreiten. Angesichts dieser explosiven Mischung aus Aktivismus, Verzweiflung und Frust ist die Politik auch bei uns gut beraten, die Probleme der Jugendlichen genauso ernst zu nehmen wie jene älterer Mitmenschen. Doch - was sollen wir merken, was will uns die Politik vermitteln? Dass wir bei Kürzungen die ersten waren (siehe Leistungsstipendien und Bücherscheck), bei Unterstützungsgeldern die letzten? Dass es wieder monatelang gedauert hat, bis an uns gedacht wurde? Wieder einmal diese Ohnmacht, dieses Gefühl, nicht gehört zu werden. Ich denke nicht, dass die Politik das wirklich stärken, den latenten Generationenkonflikt weiter anfachen will. Aber zusammen mit der Aussetzung der Leistungsstipendien ergibt sich angesichts noch fehlender sozialer Stützmaßnahmen für so manche Studierende das Bild einer herrschenden Politik, die auf Kosten der demographisch schwachen Jugend nur gewisse ökonomische Interessengruppen oder Generationen bedient. Diese Lesart stimmt in ihrer Radikalität wohl nicht ganz, es genügt aber oft die subjektive Wahrnehmung, um Vertrauen zu verspielen. Aus gutem Grund kann ich, kann der Vorstand der SH deshalb an die Landespolitik appellieren, Nägeln mit Köpfen zu machen: Her mit einem umfassenden finanziellen Maßnahmenpaket zur Sicherung des Rechts auf Hochschulbildung – jetzt!