Gesellschaft | Charakterköpfe

Der Bewahrer

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Josef Weingartner der wichtigste Repräsentant des Kulturlebens. Ohne sein Lebenswerk würde Südtirol ärmer dastehen.
Weingartner, Josef
Foto: Hofburg Brixen
Was gibt es uninteressanteres, als eine Gegend ohne erkennbarer Geschichte? Mit einer glattrasierten Landschaft. Mit Häusern, die überall auf der Welt stehen könnten.
Und was gibt es interessanteres, als eine Gegend, die ihre in vielen Jahrhunderten gewachsene Eigenart bewahrt hat. Mit Gebäuden, deren Architektur einmalig ist. So eine Gegend ist Südtirol. Selten wird man anderswo einen derartigen Reichtum an historischen Bauten antreffen, wie hier. Das hat mit der Geschichte dieses Landes zu tun. Und damit, dass es im letzten Krieg vor Zerstörungen weitgehend verschont blieb.
Der ungewöhnliche Reichtum an Baudenkmälern ist aber nicht zuletzt auch dem Wirken eines Mannes zu verdanken, der schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sämtliche Kunstdenkmäler Südtirols erhoben und damit den Grundstock für die Südtiroler Denkmalpflege gelegt hat. Die Rede ist von Josef Weingartner (1885-1957).
Der gebürtige Osttiroler wurde 1907 in Brixen zum Priester geweiht, studierte in Wien Kunstgeschichte und Theologie, war mehrere Jahre Mitarbeiter am Denkmalamt in Innsbruck und Theologieprofessor in Brixen. 1920 wurde er zum  Generalkonservator des Bundesdenkmalamtes in Wien ernannt. Von 1921 bis kurz vor seinem Tod wirkte er als Stadtpfarrer und Probst von Innsbruck. Von 1915 bis 1922 erhob und beschrieb Josef Weingartner die Kunstdenkmäler aller Südtiroler Gemeinden von Bozen bis zum entlegensten Bergkirchlein. Das Ergebnis dieser Arbeit veröffentlichte er 1922 in seinem mehrbändigen Werk „Die Kunstdenkmäler Südtirols“, das in zahlreichen Neuauflagen bis heute das wichtigste Werk zur Kunsttopographie des Landes darstellt.
Die unglaubliche Leistung Weingartners kann man daran ermessen, dass er seine Erhebungen größtenteils zu Fuß durchführte und dabei kaum auf Vorarbeiten zurückgreifen konnte.
Seine fachkundigen Beschreibungen boten die Möglichkeit tausende Objekte unter Denkmalschutz zu stellen und viele von ihnen dadurch vor Abbruch und Zerstörung zu bewahren. Die unglaubliche Leistung Weingartners kann man daran ermessen, dass er seine Erhebungen größtenteils zu Fuß durchführte und dabei kaum auf Vorarbeiten zurückgreifen konnte. Und auch daran, dass es drei Generationen von Denkmalpflegern nicht gelungen ist in den 100 Jahren, die seitdem vergangen sind, der Arbeit, die Weingartner in sieben Jahren neben seiner Tätigkeit als Theologieprofessor durchführte, etwas Gleichwertiges zur Seite zu stellen.
 
 
 
 Auch im Bereich der Burgenforschung setzte Weingartner weit über Tirol hinaus neue Akzente. Darüber hinaus gelang es ihm durch seine unzähligen Einzelveröffentlichungen, Vorträge und Führungen die breite Masse der Bevölkerung zu erreichen und ihr den bleibenden Wert einer intakten Kunst- und Kulturlandschaft bewusst zu machen. Der hohe geistliche Würdenträger war alles andere als ein trockener Gelehrter. Er veröffentlichte auch zahlreiche historische Romane und war als glänzender Gesellschafter in allen Bevölkerungsschichten zuhause.
Josef Rampold beschreibt das Wesen des 1957 in Meran Verstorbenen treffend : “Der Probst konnte sich der Schwärmerei und romantischer Verzauberung hingeben, ohne auch nur ein Lot seines Gewichtes und seiner Substanz zu gefährden. Er hatte trotz aller Last und Bürde des Amtes und der Wissenschaft zeit seines Lebens etwas vom ewig jungen Brixner Scholaren bewahrt“.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Josef Weingartner der wichtigste Repräsentant des Kulturlebens südlich und nördlich des Brenners. Es ist sicher nicht zu viel gesagt, dass Südtirol ohne sein Lebenswerk wesentlich ärmer da stehen würde.