Chronik | Masken-Affäre

Der Millionenschaden

Das Gerichtsgutachten zur Oberalp-Lieferung ist da.. Das vernichtende Ergebnis: Der kostspieligste Teil der Lieferung entspricht nicht den Bestimmungen.
Schutzanzüge
Foto: upi
Es sind 138 Seiten. Der Großteil davon: Tabellen, Zahlen und Diagramme.
Genauso so wie ein technisches Gutachten ausschauen soll.
Die zentrale Botschaft ist – vor allem für den Laien verständlich – in wenigen Zeilen zusammengefasst.
Der vom Bozner Landesgericht eingesetzter Gerichtsgutachter (CTU) Giovanni Maria Stella schreibt darin:

Die Atemschutzmasken können nicht als zum Schutz gegen Covid-19 geeignet angesehen werden. Allgemein können sie nicht als Persönliche Schutzausrüstung der Kategorie 3 eingestuft werden.
 
In Sachen Schützanzügen ist das Urteil des Chemiker aus Monza etwas differenzierte, aber ebenso niederschmetternd:
 
  •  Nur knapp 30 Prozent der getesteten Schutzanzüge entsprechen dem technischen Standard, dass sie im Covid-Bereich der Krankenhäuser bedenkenlos eingesetzt werden;
  •  40 Prozent der Schutzanzüge haben bei den Tests die nötige Schutzklasse nicht erreicht und sie müssen in anderen Bereichen eingesetzt werden;
  • Weiter 30 Prozent sind nicht als Schutz gegen Covid-19 geeignet und erreichen damit nicht den Statuts einer Persönlichen Schutzausrüstung (PSA).
 
 
Nach den Erfolgsmeldungen der letzten Tage zur Zertifizierung der Schutzanzüge durch das INAIL, dürfte spätestens nach diesem Gutachten an der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes Ernüchterung eintreten.
 

Sieben Gutachter

 
Die Beamten der Carabinierisondereinheit NAS ermitteln seit über drei Monten in der sogenannten Maskenaffäre. Staatsanwalt Igor Secco hat im Strafverfahren 1990/2020 bisher den Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer und den CEO der Oberalp AG Christoph Engl in das Ermittlungsregister eingetragen.
Der Richter für die Vorerhebungen Peter Michaeler hat Anfang Mai ein beeidetes Gerichtsgutachten angefordert. Weil auch die Verteidiger der unter Ermittlung stehenden Personen, aber auch die Nebenkläger Parteigutachter ernannten, ist seit Wochen eine ganze Phalanx von Fachleuten am Werk, um die aus China angelieferte Schutzausrüstung technisch und wissenschaftlich zu prüfen.
 
 
Insgesamt sieben Gutachter fanden sich so am 12. Mai am Sitz der NAS in Trient ein, wo das Material übergeben wurde. Giovanni Maria Stella und Sandro La Micela wurden vom Voruntersuchungsrichter ernannt. Die Staatsanwaltschaft setzte hingegen Fortunato D´Ancona als ihren Gutachter ein. Während die Ärztegewerkschaft ANAOO Stefano Sansone nominierte.
Auch Florian Zerzer stützt sich gleich auf zwei Privatgutachter: Fabrizio Dughiero und Massimo Montisci. Roberto Piccin wurde hingegen Christoph Engl als Gutachter begleiten.
 

Das Material

 
An diesem Tag wurde den Gutachtern das Material übergeben. Das Problem dabei: In der Oberalp-Lieferung finden sich verschiedenste Produkte, der Großteil kaum beschriftet und von unterschiedlicher Qualität. Deshalb suchte man für die Prüfung auch sehr viel Material aus.
So wurden insgesamt 27 Packungen von Masken (a 5 Stück) ausgesucht. Unterteilt in drei verschiedene Chargen.
Weil man bei den Schutzanzügen auch die verschiedenen Größen berücksichtigen muss, sind es dort noch bedeutend mehr. Es wurden 55 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch in sieben Chargen ausgesucht. Sowie 18 normale Wegwerf-Schutzanzüge aus drei Chargen.
 
 
Für die Laborprüfung der Masken wurde das Mailänder Unternehmen „Italcert Srl“, das einzige in Italien anerkannte Labor für die Zertifizierung von Schutzaustüstung ausgesucht. Die Schutzanzüge hingegen wurden an des „Centrocot“, der „Centro Tessile Cotoniero e Abbigliamento SpA“ geschickt. Das Unternehmen mit Sitz Busto Arsizio ist eines der bekanntesten italienischen Labors für Materialprüfung im Textil-Bereich.
Zudem wurden den Gutachtern auch die Prüfberichte der deutschen DEKRA, des Wiener Amtes für Wehrtechnik, beide auf Italienisch übersetzt, sowie die Gutachten der INAIL übergeben.
 

Das Ergebnis

 
In dem Gerichtsgutachten von Giovanni Maria Stella sind jetzt die detaillierten Prüfberichte beider Prüfanstalten wiedergeben. Zudem hat der Gerichtsgutachter sowohl die gesetzlichen Bestimmungen genau angeführt, wie auch die technischen und wissenschaftlichen Anforderungen der zu untersuchenden Schutzbehelfe.
Im Labor der Italcert wurde dabei die Durchlässigkeit der Atemschutzmasken, wie es Standard ist mit Paraffinöl und mit Natriumchlorid (NaCl), eine Kochsalzlösung, geprüft. Ein Schaubild aus dem Gutachten macht dabei deutlich, wie unterschiedlich die Qualität der Masken aus derselben Charge ist.
 
Das Resümee des beeideten Gutachters fällt deshalb verheerend aus:
 
„Nel complesso la campionatura si dimostra completamente inaffidabile e potrebbe creare situazioni ancora più pericolose per la sicurezza del personale, che si troverebbe nell’impossibilità di selezionare i dispositivi idonei alla protezione.“
 

Das größte Problem

 
Auch bei den Schutzanzügen fällt das Ergebnis des Gutachters sehr durchwachsen aus.
Hier wird im Gutachten genau unterschieden zwischen den sogenannten Schutzanzügen für den aseptischen Gebrauch und den normalen Schutzanzügen.
Die aseptischen Schutzanzüge sind jene für die das Arbeitsversicherungsinstitut INAIL vergangene Woche ein positives Gutachten erteilt hat. Auch hier führt der Gutachter an, dass es größere Unterschiede zwischen den einzelnen Chargen gibt. Von den 7 geprüften Paketen zu jeweils 9 Anzügen, erreichen nur drei die nötige Klasse. Vier Chargen müssen laut Giovanni Maria Stella niedriger klassifiziert werden. Sie können nicht im hochsensiblen Bereich eingesetzt werden.
Vernichtender fällt das Urteil aber bei den drei Chargen der normalen Schutzanzüge aus. Geprüft wurden sowohl die weißen als auch die blauen Schutzanzüge.
Dort heißt es:
 
„Tute con contrassegno 7, 9 e 10 non possono essere ritenute idonee alla protezione da Covid-19 e più genericamente non possono essere dichiarati Dispositivi di Protezione Individuale di terza categoria.“
 
Genau dieser Satz könnte jetzt zum größten Problem von Florian Zerzer und des Südtiroler Sanitätsbetriebes werden.
Denn genau diese Schutzanzüge sind der teuerste Posten der gesamten Oberalp-Lieferung. 9.302.000 Euro hat der Sanitätsbetrieb insgesamt für die erste Lieferung aus China bezahlt. Davon entfallen 7,4 Millionen Euro auf diese 400.000 normalen Schutzanzüge.
Jetzt aber liegt ein gerichtliches und beeidetes Gutachten vor, dass die Schutzanzüge dieses Geld nicht wert sind.