Politik | Landtagswahlen 2013

salto-Wahlkampfanalyse Teil 1: Der Kampf um die Themenführerschaft

Landtagswahlen 2013: Die Meinungsforscher Hermann Atz (apollis) und Gernot Gruber (Gruber & Partner) analysieren auf salto.bz die Schauplätze dieses Wahlkampfs. Heute: Welche Themen werden entscheiden?

salto.bz: Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten fünf Themen, die den Wahlkampf prägen werden?
Hermann Atz: Grundsätzlich liegen die Themen bei den Südtiroler Landtagswahlen natürlich auf dem Tisch. Doch welches von den Themen nun stark diskutiert werden wird und welches nicht, wird von der  Dynamik des Wahlkampfs abhängen. Es gibt ja immer die berühmte Geschichte von der Themenführerschaft: Wer es schafft, seine Themen in den Mittelpunkt  zu stellen, der hat schon mal einen Vorsprung. Und das ist genau eines der Dinge, auf die man jetzt schauen wird. Die Grünen kommen beispielsweise mit sauberer Politik, mit Umwelt, mit Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Klar wäre es für sie toll, wenn das die dominanten Themen würden. Die SVP kommt mit Erneuerung, setzt auf Soziales, die Vollautonomie ...

Gernot Gruber: ...das ist ihr Konzept, um sich gegenüber den Freiheitlichen abzugrenzen. Also ich denke, man kann jetzt schon  ungefähr erahnen, in welche Richtung es gehen wird. Dass die SVP mit ihrem neuen Spitzenkandidaten sehr stark auf Erneuerung und auf einen neuen politischen Stil setzt, ist seit dem Frühjahr klar. Gleichzeitig werden die Oppositionsparteien natürlich den Blick zurück versuchen, auf die jüngste Skandalebene. Wer dann überwiegen wird, ist nun die Frage.

Hermann Atz: Jede Partei hat so ihre Themen. Die Südtiroler Freiheit kommt natürlich mit dem Skandalland Italien, das in den wirtschaftlichen und politischen Ruin gleitet, gewisse italienische Parteien mit der Toponomastik, jeder versucht eben Seines zu reiten. Eine generelle Frage ist, ob es überhaupt ein Themenwahlkampf wird. Im Moment scheint er mit eher themenarm zu sein. Im Mittelpunkt steht eher das Übliche: Wer hat die Nase vorne, wer setzt sich durch, welche Koalitionen sind möglich, welche Kandidaten – nur keine Themen.

salto.bz: Es liegen aber auch mehrere Themen in der Luft, bei denen man gespannt sein darf, wie im Wahlkampf  damit umgegangen werden wird. Klassische Beispiele: das Thema SEL oder die Zuwanderung.
Hermann Atz: Das sind die klassischen Themen, die die Südtiroler Volkspartei vermeiden will oder versucht kleinzuspielen, weil sie weiß, dass sie da nicht gewinnen kann. Andere werden aber sicher versuchen, sie in den Mittepunkt zu rücken.

Gernot Gruber: Wobei die Langzeitanalysen gerade beim Thema Zuwanderung zeigen, dass es jetzt in der Bevölkerung nicht mehr ein so stark gefühlte Thema ist wie es vielleicht noch vor zwei Jahre war. Das merkt man auch sehr gut bei den Freiheitlichen, die sich bisher ganz massiv auf das Thema gestürzt haben und zumindest im Vorwahlkampf noch kaum darauf gesetzt haben.

salto.bz: Vor fünf Jahren war Zuwanderung dagegen noch eines ihrer wichtigen Schlachtpferde. Haben Sie eine Erklärung für diese neue Zurückhaltung der Freiheitlichen?
Gernot Gruber: Eine Antwort ist sicherlich, dass man nicht immer auf dasselbe Pferd setzen kann, irgendwann verliert es dann einfach an Kraft. Darüber hinaus haben die Freiheitlichen zumindest bis zum "Korb" von Arno Kompatscher ein wenig Strategie gewechselt – von der harten Opposition hin zum möglichen Koalitionspartner. Nach der klaren Absage Kompatschers hat sich dies nun schon ein wenig geändert.

Hermann Atz: Ich hätte auch gesagt, das ist ein Versuch der Freiheitlichen in die Mitte der Wählerschaft vorzustoßen und auch für Kernwählerschichten der SVP oder grundsätzlich für Leute akzeptabel zu werden, die nichts mit Fremdenhass zu tun haben wollen. Aber es ist schon eine interessante Beobachtung, dass sie in dem Bereich sozusagen liberaler geworden sind, während sie beim Thema Freistaat ja eigentlich der Südtiroler Freiheit nachgelaufen sind. Denn davon war vor wenigen Jahren nicht die Rede, als Kernthema der Freiheitlichen.

salto.bz: Das ist eher das Spezialgebiet der Eva Klotz ...
Hermann Atz: Ja, in dem Bereich haben sie sich eher radikalisiert, um sich da offenbar ein Alleinstellungsmerkmal zur SVP zu sichern. Aber es fällt mir generell auf, dass dieser rotzig freche und politisch unkorrekte Teil des Parteiangebotes, den man aus Italien von der Lega kennt oder aus Österreich mit der Strache-FPÖ, im Moment fast unbesetzt ist in Südtirol. Am ehesten findet man vielleicht die Lega, aber sonst kaum etwas. Auch die Art wie Beppe Grillo zum Teil Politik macht, mit der man eigentlich ziemlich Stimmen holen kann, all das ist im Moment fast verwaist in Südtirol.

salto.bz: Bei den Freiheitlichen kann man dies wohl mit der Zähmung Ulli Mairs durch das Amt der Parteiobfrau erklären.
Hermann Atz: Ja, wobei gerade sie die wäre, die mal einen Judensager macht....

Hermann Atz

salto.bz: ... aber als Obfrau kann sie sich ihn nicht mehr leisten?
Gernot Gruber: Vielleicht spielt da auch langsam die Biologie mit, jetzt wird sie doch langsam reifer...

Hermann Atz (lacht): Mah, andere schaffen das bis ins hohe Alter diesen Teil des Spektrums zu besetzen.

Gernot Gruber: Insgesamt merkt man denke ich einfach, dass fast alle Parteien in der Mitte zusammengerückt sind. Dort ist die Luft jetzt auch dünner. 

Hermann Atz: Was ja durchaus den politologischen Theorien entspricht: Dass es eine Tendenz zur Mitte gibt und dass Wahlkämpfe in der Mitte gewonnen werden.

 

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salto.bz: Auch das neue Bündnis zwischen Bürgerunion, Wir Südtiroler und Ladins präsentiert sich als Kraft der Mitte. Auf italienischer Seite ist es Scelta Civica, eine Liste, die auch ehemalige Exponenten der Rechten wie Benussi oder Pasquali anzieht. Können wir also im Vorfeld der Wahlen generell von einer Tendenz von Rechts hin zur Mitte sprechen?
Gernot Gruber: Gerade die populistischen Rechtsparteien haben eine recht gute Nase beim Aufspüren von Themen, die den Leute unter den Nägeln brennen. Da sind sie fast schon so etwas wie intuitive Marktforscher. Und diese Bewegung von Rechts ins Zentrum wird ja unter dem Schlagwort der Sozialen Mitte vollzogen. Denn es ist klar, dass soziale Themen derzeit sehr stark gefühlt werden: die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, dem Verlust des bisherigen Wohlstands. Ich denke, das ist mit ein Grund dafür, dass die Freiheitlichen jetzt nicht mehr so stark auf das Ausländerthema gehen. Die Tendenz zur Mitte ergibt sich bei diesen Parteien aus dem rechten Spektrum also auch daher, dass sie nun weit stärker auf die klassischen linken Themen schielen.

salto.bz: Kann man also vorhersagen, dass dieser Themenkomplex aus Arbeitsmarkt und Sozialem ein dominierendes Thema im Wahlkampf werden wird?
Hermann Atz: Das ist nur selten ein Streitthema, sondern ein Thema, bei dem sich immer alle grundsätzlich einig sind. Niemand sagt, er wäre nicht für Arbeitsplätze oder für soziale Gerechtigkeit. Allenfalls gibt es hier die Möglichkeit sich von der SVP abzugrenzen, die ja selbst von ihrer parteiinternen Linken immer mehr ins wirtschaftslastige Eck gestellt wird. Das heißt, bei diesem Thema kann eine Oppositionspartei punkten, wenn sie sagt: Jetzt, wo es immer schlimmer wird, nehmen wir uns dieser sozialen Frage an, die die SVP immer vernachlässigt hat in ihrer Wirtschaftslastigkeit.

Morgen lesen Sie auf salto.bz: Warum der SVP bei der Verteidigung ihres Autonomiekonzepts die Wirtschaftskrise in die Quere kommen könnte.