Kultur | salto Gespräch

“Wir suchen wieder Magie”

Die Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen Irene Girkinger spricht über ihre Arbeit, neue Herausforderungen – und darüber, wie das Theater auf Trump reagieren kann.
Girkinger
Foto: Othmar Seehauser

Sie war Mitte 30 als sie sich gegen ein halbes Hundert Mitbewerber durchsetzte und Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen wurde. Seit August 2012 ist Irene Girkinger nun in Bozen. Gerade eben ist die Cult.urnacht 12 unter ihrer Regie über die Bühne gegangen – und für die gebürtige Linzerin ist Halbzeit.

salto.bz: Frau Girkinger, mit welchen Erwartungen sind Sie von der Großstadt in die Provinz gekommen?
Irene Girkinger: Mit großen (lacht). Das Gebiet hier bietet ein sehr spannendes Umfeld, um Theater zu machen, weil das Theater hier einen sehr großen Wert hat. Das kannte ich aus Wien, das ja eine Theaterstadt ist. Aber in Linz, meiner Heimatstadt, ist das schon ganz anders. Und in gewissen Städten Deutschland ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass die Leute noch ins Theater gehen.

Was ist in Südtirol anders?
Ich finde dass das Theater hier, aufgrund der Geschichte und der gesellschaftspolitischen Situation des Landes, einen sehr hohen Identifikationsfaktor hat. Es ist schön, darauf aufzubauen.

Kannten Sie Südtirol und Ihren neuen Arbeitsplatz bevor Sie hergezogen sind?
Südtirol kannte ich von früher, ich war öfters mit Freunden oder Familie hier. Und die Vereinigten Bühnen Bozen waren mir immer schon ein Begriff. Sie haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren klar als Berufstheater positioniert und machen wirklich tolle Sachen. Persönlich war es für mich der große Karrieresprung.

Man kann auch ganz schnell wieder über den Brenner gejagt werden.

Was hat sich mit Ihrer neuen Arbeit geändert?
Bis 2012 war ich Dramaturgin am Volkstheater Wien. Mit dem Gang nach Bozen habe ich den Sprung von der Dramaturgie hin zur Leitung gemacht, bin sozusagen mein eigener Chef geworden. Ich habe mich wahnsinnig über die Herausforderung gefreut. Dieses Haus hat doch eine gewisse Größe. Aber natürlich war es eine Umstellung. Als Intendantin trägt man ja die Endverantwortung.

Wie sieht Ihr Alltag im Theater aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Dadurch, dass ich die Gesamtverantwortung für diesen Betrieb habe, gibt es sehr viele verschiedene Arbeitsbereiche. Der offensichtlichste und der, der am meisten Raum einnimmt, ist die künstlerische Planung: Gemeinsam mit der Dramaturgie überlege ich, welche Stücke wir in der nächsten Saison auf den Spielplan setzen. Dann stehen Entscheidungen darüber an, wer die Stücke inszeniert, wer sie ausstattet und wer sie spielt. Ist das entschieden, laufen Anfragen an die Künstler. Es folgen Vertragsverhandlungen. Wenn die erfolgreich abgeschlossen sind geht es detaillierter mit den einzelnen Produktionen los, irgendwann beginnen dann die Proben, die ich begleite. Das ist der künstlerische Bereich meiner Arbeit.

Was steht sonst noch auf ihrem Terminkalender?
Rahmenveranstaltungen, Presse- und Fototermine, Besprechungen in den einzelnen Abteilungen.

Trifft man Sie auch manchmal am Schreibtisch an?
Natürlich, ich muss ja auch viel in betriebswirtschaftlichem Hinblick machen. Der zweite große Teil meiner Arbeit ist die Verwaltung, wo Entscheidungen über die Budgetierung gefällt werden müssen, das Vertragswesen oder Genehmigungen, die einzuholen sind. Aber auch in der strategische Planung des Betriebs und beim Personal gibt es ganz viel zu tun. Neben den Künstlern, die wir engagieren, haben wir 25 fixe Mitarbeiter, die über das Jahr in den verschiedenen Bereichen und Abteilungen arbeiten. Und auf Direktoren- und Vorstandsebene gibt es ganz große strategische Entscheidungen zu den Fragen zu treffen, wie es mit dem Theater und im Haus weitergeht. Darüber hinaus kümmere ich mich auch um die Suche nach Partnern im In- und Ausland, die wir für größere oder kleinere Co-Produktionen gewinnen könnten.

Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass ich Südtirol kenne.

Wie finanzieren sich die Vereinigten Bühnen Bozen?
Zum Großteil aus öffentlichen Beiträgen. Der größte Beitrag, das ist jetzt kein Geheimnis, kommt mit 1,8 Millionen Euro vom Land. Ein kleinerer Beitrag kommt von der Gemeinde. Und ein Sponsorbeitrag von der Stiftung Sparkasse. Der Rest sind Karteneinnahmen und kleinere Projektsponsoren. Insgesamt haben wir ein Budget von zirka 2,5 Millionen Euro. Es war nicht immer einfach in den letzten vier Jahren. Es hat Kürzungen gegeben, zum Teil auch in letzter Minute.

Ist man in seiner Arbeit frei, wenn man von solchen Beiträgen abhängig ist?
Die Programmgestaltung ist wirklich frei. Der einzige Auftrag ist, dass der Spielplan im Sinne eines Landestheaters möglichst breit das Publikum und die Genres abdecken soll. Ich bin verpflichtet, den Spielplan dem Vorstand vorzulegen, in dem auch Vertreter aus Land und Gemeinde sitzen. Da wird schon diskutiert, aber bereits im Grundstatut ist geregelt, dass wir ein unabhängiger Verein sind und es gibt keinerlei Zensur oder Einflussnahme. Ganz ehrlich? Einen derart transparenten Umgang, eine solche Korrektheit und Unabhängigkeit wie ich sie in Bozen verspüre, kenne ich nur von wenigen Kollegen.

Machen Sie Ihren Job gerne?
Man muss sich wahnsinnig schnell auf sehr viele Begebenheiten einstellen. Jeden Tag mindestens zehn Mal. Ich finde das unglaublich spannend, aber es ist auch unglaublich anstrengend.

Gibt es spezielle Herausforderungen in Südtirol, mit denen Sie lernen mussten, umzugehen?
Der große Spezialumstand hier ist das Haus, das von einer Stiftung verwaltet wird und wo drei selbstständige Institutionen ihr eigenes Programm machen. Anderswo gibt es das so eigentlich nicht. Jedes normale Stadt- oder Landestheater ist quasi selber Träger von allem, was es macht und kann im Haus im besten Sinne mitbestimmen. Das ist bei uns nicht so, was schon sehr speziell ist.

Wie läuft die hausinterne Zusammenarbeit mit dem Teatro Stabile und dem Konzerthaus?
Es gibt da mehrere Hürden zu schaffen. Ich kann die Säle nicht einfach nutzen, wie ich will. Ich muss mich mit zwei anderen Kollegen um die Spielorte, ich will jetzt nicht sagen streiten, aber einigen muss man sich. Dazu kommt, dass wir nach unterschiedlichen Prinzipien produzieren. Die VBB produzieren zum Beispiel nach dem deutschen Stadttheater-Prinzip.

Was heißt das?
Bei uns sind ausschließlich Eigenproduktionen am Spielplan – nach dem Grundsatz “alles für hier gedacht, von hier gemacht, hier gezeigt, und im Idealfall nach außen gebracht”. Das Teatro Stabile di Bolzano hat wie jedes Stabile in Italien ein anderes System. Sie produzieren zwei bis drei Stücke selber, gehen mit denen in ganz Italien auf Tour. Und Stabili aus anderen Städten kommen hierher und zeigen ihre Produktion. Das heißt, sie haben nicht nur Eigenproduktionen am Spielplan.

Wenn ein Theater subventioniert ist und einen Status hat, wie wir ihn haben, hat es den Auftrag, an der Bildung der Gesellschaft mitzuhelfen. Damit meine ich nicht nur eine intellektuelle Bildung, sondern eine Herzensbildung.

Ist an den Südtirolern auch etwas speziell?
Im Gegensatz zu anderen großen Städten, wo es eine Theatertradition von 120, 150 Jahren gibt, ist es hier nicht leicht einzuschätzen, ob es ein gewisses Grundverständnis für gewisse Kanonliteratur, für Klassiker, gibt. Man kann schwer erahnen, wie das Publikum worauf reagiert. Gerade klassische Texte, die eine sehr hohe sprachliche und literarische Qualität haben, werden, ich will nicht sagen zögerlich, aber mit hoher Vorsicht genossen. In anderen Städten gehört das einfach dazu, man schaut es sich an und überlegt nicht, ob man jetzt einen Schiller, einen Hamlet oder einen Goethe sieht. Hier funktioniert hingegen viel über die Schauspieler, die auf der Bühne stehen, also den Wiedererkennungseffekt. Und über Themen.

Welche Überlegungen stellen Sie an, wenn Sie ein Stück für Ihr Theaterprogramm auswählen?
Wir versuchen, kontinuierlich mit Schauspielern zu arbeiten. Also dass sie nicht nur einmal kommen und dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Natürlich steht auch die Arbeit mit Südtiroler Schauspielern im Vordergrund. Die VBB wurden ja schließlich auch gegründet, um Südtiroler Schauspielern und Theaterschaffenden die Chance zu geben, professionell arbeiten zu können.

Und im Hinblick auf die Themen?
Da wird überlegt, welche klassischen oder zeitgenössischen Stücke Themen haben, die für hier interessant sein könnten.

Waren Sie sich bewusst, dass hier ganz spezielle Befindlichkeiten zu erfüllen sind, als Sie nach Südtirol aufgebrochen sind?
Als ich gekommen bin, habe ich mir schon Gedanken gemacht. Weil es hier ein schwieriges Pflaster ist was die Theaterliteratur betrifft, habe ich dann überlegt, dass man jedes Jahr ein spezielles Projekt machen könnte. Auch weil es in dieser Region vieles gibt, was gesellschaftspolitisch, historisch und zeitgeschichtlich gesehen zu thematisieren ist. Deswegen gibt es jetzt jedes Jahr ein Projekt zur Südtiroler Zeitgeschichte.

Zuletzt haben Sie sich an die Bombenjahre herangewagt.
Im ersten Jahr war es das Ballhaus, dann die Option und dann die Bombenjahre, ja.

In unserer westlichen Welt haben wir ein echtes Problem mit den Werten.

Wie schafft man es, den Bogen zwischen Theater und Zeitgeschichte, zwischen Unterhaltung und Information zu spannen?
Wie immer beim Theater ist die Hälfte der Inhalt. Entscheidend bei solchen Projekten aber ist die Form. Wenn man das Thema einmal hat, muss man sich ganz genau überlegen, wie man es aufbereitet. Wir versuchen immer Unterschiedliches auszuprobieren. Manchmal etwas Literarisches wie bei der Romandramatisierung von Sabine Grubers “Stillbach oder Die Sehnsucht”, manchmal etwas Dokumentarisches wie bei den “Bombenjahren”, wo Fakten auf der Bühne verhandelt wurden. Allerdings nicht so, dass es eine reine Geschichtsstunde war. Bei “Option. Spuren der Erinnerung” haben wir über die Zeitzeugen, die aus ihrer eigenen Erfahrung erzählt haben, eine hohe Identifikation und etwas ganz Neues geschafft. Bei “Ballhaus” hat das mit Musik funktioniert, man tanzte durch die Geschichte Südtirol.

Bleiben wir kurz bei den Bombenjahren. Hat Sie dieses Thema herausgefordert?
Ich freue mich gerade so, dass ich jetzt darüber schmunzeln kann (lacht). Letztes Jahr um diese Zeit habe ich angefangen, Blut zu schwitzen, bis nach der Premiere im Februar. Ich war wahnsinnig unter Druck, der sich nach und nach aufbaute. Irgendwann hab ich mich dann gefragt, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe. Ich wurde im Vorfeld gewarnt, niemand habe bisher den Mut gehabt, dieses Thema auf diese Art aufzuarbeiten. Viele haben mir gesagt, du kommst halt von außerhalb, da kann man sich das vielleicht eher trauen. Aber man kann auch ganz schnell wieder über den Brenner gejagt werden.

Sie ließen sich aber nicht abbringen?
Als Theatermacherin muss und soll ich in meiner Haltung eine gewisse Objektivität haben. Das ist mir sicher zugute gekommen. Damit meine ich aber nicht, dass man in den Aussagen keine Haltung beziehen soll. Nur, dass ich eben weniger vorbelastet war als vielleicht jemand von hier. Es war nicht einfach, das gebe ich offen zu. Wobei auch zu sagen ist, dass im Vorfeld natürlich immer alles abgeklärt wurde. Ich habe ganz offen kommuniziert, was und wie ich es machen möchte.

Gab es politische Reaktionen?
Von offizieller Seite gab es große Unterstützung und große Offenheit – so lange gewahrt war, dass das Stück nicht tendenziös in eine Richtung geht. Viele haben mir gesagt, du wirst schon sehen, es wird einen Aufschrei von den Ultrarechten oder CasaPound geben und niemand wird zufrieden sein. Witzigerweise gab es aber kaum Probleme. Vielleicht haben wir auch etwas falsch gemacht (lacht). Nein, ich glaube, das kommt daher, weil wir das Stück im Prinzip gut gedacht haben. Es ist uns nicht alles perfekt gelungen und man kann über diese Form und das Ergebnis streiten. Aber: Es war im Prinzip richtig gedacht; ohne bewusst in irgend eine Ecke zu gehen oder irgendwen auszugrenzen oder tendenziös zu sein. Unser kleines Team war wirklich sehr gefordert. Daher haben wir heuer auch gesagt, wir legen eine kurze Pause ein.

Sie haben es durchklingen lassen, und auch am Programm der heurigen Cult.urnacht wird es sichtbar: Theater hat einen gesellschaftspolitischen Auftrag?
Das sehe ich ganz stark so. In meinen Lehrjahren hatte ich immer wieder mit Regisseuren und Intendanten zu tun, die in diese Richtung gedacht haben. Bereits in meiner Jugend, am Theater Phönix in Linz, das extrem politisches Theater macht. Es gibt natürlich auch andere Herangehensweisen, nicht alle meine Theaterkollegen sehen das wie ich. Aber uns allen – und da unterscheide ich mich glaube ich nicht von anderen Intendanten – ist die Kunst an sich das Wichtigste. Dieser magische Moment auf der Bühne. Und wenn es dieser Moment schafft, sich so in die Köpfe und Herzen der Menschen reinzuschleichen, dass sie ihr Tun, manche Meinungen oder Haltungen hinterfragen, dann ist schon etwas passiert.

Die Menschen sollen also als bessere Menschen aus dem Theater hinaus gehen?
Das meine ich nicht unbedingt damit, obwohl es natürlich meine Wunschvorstellung wäre. Aber ich bin nur bedingt davon überzeugt, dass es das Theater wirklich schafft, bessere Menschen aus uns zu machen. Aber so wie andere Kunstformen auch sind wir dazu da, die Gegenwart zu reflektieren, einen Spiegel vorzuhalten und mögliche Wege von Unmöglichem aufzuzeigen. Wir sollten uns trauen, Grenzen zu überschreiten, Ungedachtes zu denken.

Das Theater als Freizeit- oder Unterhaltungsbeschäftigung hat mittlerweile viel Konkurrenz. Wie schafft man es heute, Menschen zu einem Theaterbesuch zu bewegen?
Wenn ich das Rezept dafür hätte, wäre die Hütte immer voll (lacht). Ganz auf dem falschen Dampfer sind wir aber nicht, weil sie ist eh nicht schlecht besucht. Aber es ist wirklich sehr schwierig. Noch vor zwanzig Jahren gab es weniger Konkurrenz als jetzt. Das Theater hat sich sicher über eine gewisse Zeit zu wenig mit entwickelt, da braucht man nicht lange herumreden. In den letzten zehn Jahren ist es aber an einen guten Punkt gekommen, wo diese direkte Unmittelbarkeit und diese Magie, von der ich vorhin gesprochen habe, wieder einen Wert kriegt.

Wir sind also nicht vom sozialen zum virtuellen Wesen verkommen?
Das sind so Wellenbewegungen. Die virtuelle Welle war sicher eine der wichtigsten. Aber der Trend geht jetzt schon wieder etwas zurück, weniger Facebook und mehr Treffen in Bars und so weiter. Und mir kommt vor, dass man das auch ein bisschen im Theater merkt. Es gibt Anlass zur Hoffnung. Ich werde ja manchmal gefragt, ob ich glaube, dass das Theater ausstirbt. Ich glaube, dass es nie ausstirbt. Denn solange die Menschen leben und funktionieren, wollen sie mit anderen Menschen in Kontakt sein. Und das schafft das Theater. Ich glaube, dass es einfach noch viele Menschen gibt, die wieder mehr diesen direkten Moment suchen.

Die “Bombenjahre” waren in dieser Form wirklich etwas Einzigartiges. Und dafür ganz gut geglückt.

Haben sich die VBB unter Ihrer Regie an die neuen Ansprüche angepasst?
Es gibt Initiativen wie die Cult.urnacht. Wir gestalten unsere Premierenfeiern entsprechend, gehen die eine oder andere Kooperation ein, wie zum Beispiel bei den Autorentagen mit dem Künstlerbund. Wir laden Bands ein, es gibt Lesungen im Foyer. Das sind alles Schritte, um Aufmerksamkeit zu bekommen und damit dieses Haus als Kulturort mehr Wichtigkeit kriegt. Ganz wichtig ist dabei immer die Kommunikation. Es ist essentiell, dass das Theater versucht, jene Kanäle zu benutzen, die heutzutage die meisten benutzen.

Sie sprechen von den sozialen Medien?
Bis vor fünf Jahren hat sich im Theater fast niemand darum geschert, ob man Facebook braucht oder nicht. Ich erinnere mich an meine Zeit in Wien. Im Volkstheater gab es eine ewig lange Debatte, wie viel wir da jetzt Social Media brauchen. Die großen Theatertempel haben da einfach etwas länger gebraucht. Heute ist es selbstverständlich. Und auch wir haben die Facebook- und Twitter-Maschinerie extrem angekurbelt.

Über neue Medien erreicht man auch neues Publikum. Denken Sie in Ihrer Arbeit an die neuen Generationen?
Wir zielen mittlerweile ziemlich auf jungen Menschen ab. Seit ich da bin hat sich die Arbeit in diese Richtung extrem verbessert. Angefangen bei der Werbung, die wir versuchen etwas flotter zu gestalten. Nicht, dass sie vorher schlecht war, aber eben standardmäßig, finde ich. Heute ist sie einfach anders: gestaltet von jungen Künstlern, mit Fotos, knalligen Farben. Und um eines meiner großen Vorbilder, Frank Castorf (Intendant der Volksbühne Berlin, Anm. d. Red.), zu zitieren: Wenn es im Moment und in der Haltung richtig stimmt, dann stimmt’s.

Seit wenigen Tagen stimmt in der Welt, wie wir sie bisher kannten, etwas ganz anderes nicht mehr: Donald Trump wird der nächste US-Präsident. Welchen Auftrag hat das Theater in einer Zeit, die als “postfaktisch” bezeichnet wird, wo also nicht mehr Fakten, sondern Emotionen zählen? Und wo anstatt mit Argumenten mit Slogans Politik gemacht wird?
Das ist eine wichtige und entscheidende Frage, und ich versuche sie jetzt mal zu beantworten. Einerseits glaube ich, dass durch diese schnelle Kommunikation und diese Schlagwort-Mentalität, in der wir leben, die westlichen Werte verloren gegangen sind.

Von welchen Werten sprechen Sie?
Von einem gewisses Maß an Kommunikationsfähigkeit, Achtung vor dem Menschen, Wertschätzung, auch, einen kulturellen Background zu haben. Unsere Wertegesellschaft funktioniert nicht mehr, beziehungsweise sie funktioniert nur mehr im Extrem. Das haben wir unter anderem sicher einer sehr schnell und oberflächlich gewachsenen Kommunikation und einer ganz schwierigen politischen Landschaft zu verdanken. Dass das Theater da wirklich groß etwas bewirken kann, wage ich zu bezweifeln.

Das wichtigste beim Theater ist immer der Mensch dahinter, beziehungsweise der Mensch direkt vor einem.

Sie sind pessimistisch?
Wir müssten alle wieder mehr darauf pochen – ich mache es ganz stark –, dass das Theater in einem gewissen Sinn eine moralische Anstalt ist, wo gewisse Parameter gelten. Das beginnt betriebsintern, wo gewisse Regeln im Umgang gelten und wo niemand diskriminiert wird, egal woher er kommt. Um wieder auf Trump und das Problem, das dahinter steckt, zurück zu kommen: Es muss also einen prinzipiell offenen Diskurs geben. Ich glaube, dass es unter den Menschen eine große Sehnsucht gibt, wieder offen über alles reden zu können. Und wenn ein Politiker das aufnimmt, hat er schon gewonnen. Egal, ob hinter dem, was er sagt, viel steht oder eben nicht. Und da muss das Theater etwas dagegen halten. Bei aller Annäherung was die Kommunikationskanäle anbelangt und wie das Theater versucht, seine Produktionen zu vermitteln – die Sache an sich muss Boden und Tiefe haben, vor allem aber einen gesellschaftspolitischen Anker. So verstehe ich das Theater. Daher schmerzt es doppelt wenn solche schlimmen Vorfälle passieren. Am 4. Dezember wird vielleicht das nächste Problem auf uns zukommen. Mit ziemlicher Sicherheit sogar.

Norbert Hofer wird der nächste österreichische Bundespräsident?
Ich sehe im Moment sehr schwarz, vor allem nach der US-Wahl am Dienstag. Seither bin ich leider echt konsterniert, weil ich mir das von Amerika nicht gedacht hätte. Und wenn die Österreicher nach dem Motto “Was die Amerikaner können, können wir auch” wählen gehen… Da fragt man sich doch, was man dagegen halten kann.

Lehrt vielleicht die Geschichte?
Es sind immer wieder große Denker und gesellschaftspolitische Strömungen vom Theater ausgegangen. Man denke an Frankreich in den 60er Jahren und Sartre, oder an Brecht in Deutschland. Aber es gibt auch Regisseure, die in den letzten zehn Jahren das Theater ganz stark geprägt haben: Frank Castorf, Peter Stein, Michael Thalheimer – einzelne Leute, aber auch Kollektive wie das Rimini Protokoll, die versuchen, Themen aus Welt dem Theaterpublikum näher zu bringen.

Ich freue mich total, wenn ich solche Interviews machen kann, wo man auch ein bisschen hinter die Kulissen blicken kann.

Wie lange werden Sie den VBB noch erhalten bleiben?
Mein Auftrag geht bis 2020.

An Motivation scheint es Ihnen nicht zu mangeln?
Überhaupt nicht (schmunzelt).

Was steht bis 2020 noch an?
Wir werden noch ein, zwei große Projekte zur Zeitgeschichte machen. Auch im musikalischen Bereich steht noch einiges an. Entwicklungsmöglichkeiten gibt es bei den Co-Produktionen, wo wir gern außerhalb des deutschsprachigen Raumes weitere Partner finden möchten. Mit Transart gibt es viele Gespräche. Also es bleibt genug zu tun.

Auch wenn Sie viel Arbeit haben, leben Sie wahrscheinlich nicht nur im Theater. Wie erleben Sie Südtirol?
(Lacht) Wenn ich es erlebe, dann positiv. Ich habe es nie als verschlossen oder extrem ungut empfunden. Und ich schätze die Mehrkulturalität, die hier herrscht, sehr. Aber ich muss zugeben, dass ich einen etwas gefilterten Blick habe. Ich halte mich doch stets in einem gewissen Ambiente auf, gehe zu vielen Kulturveranstaltungen. Und da ich sehr viel unterwegs bin, kann ich nicht behaupten, dass ich Südtirol jetzt kenne.

Aber es gefällt Ihnen hier?
Ich bin ja ein Stadtmensch… Trotzdem finde ich es total schön. Was ich eigentlich nie gedacht hätte, denn die Berge waren mir immer egal – bis ich hierher gekommen bin. Und was ich extrem toll finde: Dass ich immer besonders nette Leute dort antreffe, wo Wein angebaut wird. An diesen Ecken ist es gemütlich, die haben so was Kulinarisch-Geselliges. Daher fühle ich mich eigentlich ganz wohl. Aber manchmal bin ich einfach froh, wenn ich allein zu Hause bin und niemanden sehe und höre. Doch da bin ich wahrscheinlich nicht anders als manche Südtiroler (lacht).