Gesellschaft | Affäre Kuhn

Neapoletanische Schnitten

Seit 15 Jahren vermittelt eine Agentur aus Neapel Künstler an die Festspiele Erl. Was niemand weiß: Die Agentur gehört Kuhns Lebensgefährtin Christin Kirn.
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Foto: Google Street View
Das Rundmail ging am 1. Oktober hinaus. Es war einer der letzten Versuche, Gustav Kuhn zu retten.
 
„Liebe Künstler, liebe Freunde der Festspiele und von Gustav Kuhn,
Wie ihr sicherlich alle gehört habt, hat der Stiftungsrat der Tirolerfestspiele (die Kulturassessrirn Frau Dr. Palfrader für das Land Tirol, Herrn Mag. Meindl für den Bund und Hans Peter Haselsteiner) beschlossen, dass Gustav Kuhn im Moment bis zu seiner Rehabilitation in Erl nicht dirigieren darf, nachdem der österreichische Kulturminister Gernot Blümel dieses Verbot ausgesprochen hat. Dr. Haselsteiner konnte sich leider mit seiner Stimme nicht gegen Bund und Land durchsetzen.
Jeder von Euch, der der Meinung ist, dass ein nicht Dirigieren von Gustav Kuhn in Erl ein nicht wieder gut zu machender Schaden für die Tiroler Festspiele darstellt und jeder, der meint, dass bei deiser Entscheidung die Unschuldsvermutung außer Acht gelassen wurde und Gustav Kuhn ohne jegliche Beweise für die Anschuldigungen von fünf Frauen verurteilt worden ist, den bitte ich, genau dies an die unten angegebenen Personen via mail zu schreiben.“
 
Im Schreiben werden dann die Mail-Adressen des österreichischen Kulturministers Gernot Blümel, des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter und der Stiftungsräte der Tiroler Festspiele Jürgen Meindl und Beate Palfrader angegeben.
 
Abschließend heißt es:
 
„Wenn ihr nicht möchtet, dass Eure Briefe veröffentlicht werden, dann dies einfach im mail dazuschreiben, solltet ihr noch Fragen haben, bitte einfach melden.
Herzliche Grüße Christin“.
 
Der Aufruf stammt von Christin Kirn, Lebensgefährtin von Gustav Kuhn und offiziell immer noch „Senior Consultant“ bei den Festspielen Erl.
Am Ende hat der Aufruf wenig genützt. Kuhn musste in Erl gehen.
Dass Christin Kirns Engagement für den Maestro dabei aber nicht nur emotionale, private Gründe, sondern durchaus auch einen konkreten geschäftlichen und finanziellen Hintergrund hat, legen jetzt neue Enthüllungen des Tiroler Bloggers Markus Wilhelm nahe.
 

Die Agentur

 
Seit ihrer Gründung greifen die Festspiele Erl bei ihrer Arbeit auf die Dienste einer Agentur aus Neapel zurück. Ihr Name: „ARTE srl artistic advising“.
Im Herbst 2003 kontrollierte der Landesrechungshof Tirol die Geschäftsgebarung der Festspiel Erl. In dem im Februar 2004 erschienenen Abschlussbericht des Rechnungshofes heißt es dazu:
 
Mit der Vorbereitung der jeweiligen Festspiele, der Bestellung und Betreuung der SängerInnen, OrchestermusikerInnen und sonstigen künstlerischen MitarbeiterInnen, die im Rahmen der TFE auftreten, wurde seit Beginn der Festspiele eine Künstleragentur in Neapel (Arte srl) betraut. Diese Agentur vermittelt hauptsächlich junge Künstler der Accademia di Montegral (bei Lucca/Italien). Präsident und Gesamtleiter der Accademia di Montegral ist Prof. Dr. Gustav Kuhn.“
 
Im Bericht des Rechnungshofs wird darauf verwiesen, dass der Künstleragentur aus Neapel auch die Beratung in allen künstlerischen Bereichen und die Organisation vor Ort übertragen wurde. „Honorarvorschläge erfolgen in Abstimmung mit dem Festspielverein“, heißt es. Dabei werden auch die Zahlungen genau aufgelistet, die an die Arte srl in den Jahren zwischen 1999 und 2003 als Honorare gezahlt wurden: Rund 105.000 Euro.
An dieser Zusammenarbeit hat sich bis heute nichts geändert. Die Arte Srl arbeitet seit rund 20 Jahren für die Festspiele Erl und für die  „Accademia di Montegral“ im Kuhn-Kloster bei Lucca.
Dass die Zahlungen, die an das diskrete Unternehmen am Vesuv fließen, dabei in den Jahren deutlich zugenommen haben dürften, zeigen zwei Rechungen aus dem Jahre 2013, die jetzt Markus Wilhelm publiziert hat.
 
Demnach zahlten die Festspiele Erl im März 2013 für die Organisation eines Workshops in Lucca zur Vorbereitung der Erler Festspiele knapp 16.000 Euro an die Arte srl. Vier Monate später flossen dann weitere 23.000 Euro vom Inn nach Süditalien:  als „zweite Akkontozahlung“ für die Vermittlung von 12 Choristen nach Erl. Weil zwischen diesen beiden Rechnungen fünf Rechnungsnummern liegen und die Agentur aus Neapel mehr oder weniger nur für Erl und Lucca arbeiten soll, geht Markus Wilhelm davon aus, dass die Arte Srl in Wirklichkeit jährlich weit mehr von den Festspielen erhält.
Bisher hat sich aber anscheinend niemand den Empfänger dieser Gelder genauer angeschaut.
 

Kirns Firma

 
Die Arte Srl hat ihren Sitz in der nahe am Strand von Neapel gelegenen Via Riviera di Chiaia 242. Eigentlich ist es nur ein Postkasten, der vis-a-vis der berühmten Zoologischen Station im wunderschönen Park Villa Comunale hängt, unweit des Teatro di San Carlo, an dem Gustav Kuhn einmal als künstlerischer Leiter tätig war.
Die Arte Srl wurde am 6. Juni 1995 in Neapel mit einem Gesellschaftskapital von 10.400 Euro gegründet.  Das Unternehmen gehört zu 10 Prozent Leopoldo Montresor, dem Betreiber eines Luxusressorts in der Nähe von Verona. 90 Prozent der Arte Srl hält aber eine Frau, die auch seit 22 Jahren als Alleinverwalterin der Künstleragentur firmiert: Christin Sigrid Kirn.
Die Agentur hat zudem nur eine Mitarbeiterin. Es dürfte sich dabei um die Hauptgesellschafterin handelt.
 
Damit aber schließt sich ein interessanter Kreis: Die 55-jährige  Partnerin von Gustav Kuhn, eine gebürtige Deutsche, ist einerseits als Senior Consultant bei den Festspielen Erl und Leiterin der Accademia di Montegral in Lucca tätig, anderseits privat Dienstleister für ebendiese Institutionen, die öffentlich reichlich gefördert werden.
Ob das so einfach geht?
 

Steuerliche Besonderheiten

 
Dazu kommt aber noch ein anderer brisanter Aspekt. Die Accademia di Montegral wird von privaten Unternehmen gesponsert. Dazu kommen noch Mitgliedschaften. 60 Euro im Jahr kostet eine einfache Mitgliedschaft. Die Fördermitglieder zahlen hingegen jährlich „250 Euro und mehr “.
Auffallend mehr lassen aber die Festspiele Erl in die Toscana fließen. Markus Wilhelm veröffentlichte eine von Christin Krin unterzeichnete Bescheinigung nach der die Festspiele Erl im Juli 2015 10.000 Euro an die Accademia di Montegral in Lucca zahlen. Es ist der Monatsbeitrag. Jährlich zahlen die Festspiele Erl 120.000 Euro nach Lucca. Das hat Krin in mehreren schriftlichen Stellungnahmen erklärt. 
In dem Dokument vom Juli 2015 steht zu lesen:
 
„Diese Summe verpflichtet den Verein zu keinen spezifischen Leistungen gegenüber dem Mitglied. Die erhaltene Summe dient nur institutionellen Zwecken des Vereins“.
 
Als vor wenigen Wochen Armin Wolf im Live-Interview der ZIB2
Gustav Kuhn die Bescheinigung unter die Nase hielt und nach den Sinn der Überweisungen ohne „spezifischen Leistungen“ fragte, erklärt der Maestro sichtlich genervt:
 
„Das ist jetzt wirklich ein Problem mit italienischem Recht, und das ist eine italienische Akademie, italienische Rechte sind anders, wenn man dort die Leistung bekannt gibt, dann kommt wieder ein anderes Problem rein.“
 
Das Problem, das Gustav Kuhn anspricht ist ein steuerliches Problem. Mitgliedbeiträge werden bei nicht gewinnorientierten Vereinen nicht als Einnahmen verbucht und sind deshalb auch nicht steuerpflichtig. 120.000 Euro jährlich als Mitgliedbeitrag, das wäre den italienischen Steuerbehörden aufgefallen. Deshalb wird der Mitgliedbeitrag auch – aufgrund eines Schreibens von Christin Krin monatlich gestückelt.
In einer Mail an Armin Wolf erläutert Krin auch den Sinn der "Überweisung ohne Leistungen".

 

"Es bedeutet, dass die erhaltene Summe den Verein zu  keinen spezifischen Leistungen verpflichtet, da es sich um kein Sponsoring handeln darf, da dies kommerzielle Aktivitäten des Vereins implizieren würden. Unser italienischer Steuerberater kann Ihnen jederzeit genauere Auskunft diesbezüglich geben." 

Ob das alles so einfach geht, wird sich schon bald zeigen.
Derzeit sitzen die Prüfer des Landesrechnungshofes wieder im Büro der Festspiele Erl.