Kultur | Interview

“Erbe unserer Großväter weitertragen”

Monika Gamper ist maßgeblich für die erfolgreiche Aufnahme der Transhumanz ins UNESCO-Weltkulturerbe verantwortlich. Sie erklärt die Bedeutung und den Wert der Tradition.
Transhumanz: Überquerung Gletscher
Foto: Katerina Fiser

salto.bz: Frau Gamper, Sie haben im Auftrag des Kulturvereins Schnals maßgeblich am Dossier für die die Aufnahme der Transhumanz in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit mitgewirkt – mit Erfolg. Haben Sie mit der Aufnahme gerechnet?

Monika Gamper: Die Entscheidung für den Eintrag fiel am Mittwoch Abend in Bogotá und war bis zum Schluss spannend, denn Spanien hatte interveniert, da es eine spätere Einreichung – unter Einbezug von Spanien – bevorzugt hätte. Der Rückzug des Dossiers stand sogar im Raum.

“Transhumanz” stammt aus dem Lateinischen “Transumere”: “trans” = Jenseits; “Humus” = Boden, Land; von oder zu einem anderen Ort bewegen.

Wie groß ist nun die Freude?

Die Freude ist natürlich sehr groß, denn neben unserem Weltnaturerbe Dolomiten ist Südtirol nun mit der Transhumanz mit auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Die Freude ist aber auch Auftrag, mit dieser Tradition und Praktik behutsam umzugehen und sie den uns folgenden Generationen weiterzugeben.

 

Welche war Ihre Rolle im gesamten Prozess?

Als Verantwortliche für das immaterielle Kulturerbe Transhumanz im Kulturverein Schnals – zusammen mit Pro Vita Alpina hatten wir 2011 den Eintrag auf der österreichischen Liste geschafft – durfte ich im gesamten Prozess der Kandidatur  zusammen mit den Verantwortlichen der UNESCO in Österreich und Italien am Dossier inhaltlich mitarbeiten. Auch Einverständniserklärungen der TraditionsträgerInnen – Schafinteressentschaften, Hüttenwirte, Kulturverein usw. – sowie Bild- und Filmmaterial waren notwendig und wollten beschafft werden. Die Kandidatur erfolgte bereits im März 2018.

Nur wenn ein Wert darin gesehen wird, ein Erbe unserer Großväter weiterzutragen, bleibt diese Transhumanz und viele andere am Leben.

Wie lautet die Begründung der UNESCO für die Aufnahme?

Kurz zusammengefasst waren folgende Begründungen ausschlaggebend für die Aufnahme: die über Jahrhunderte praktizierte, von Generation zu Generation weitergegebene Tradition, die Biodiversität fördernde und nachhaltige Praktik, das Verbindende zwischen Natur und Mensch.

Was bringt die Aufnahme bzw. die Würdigung als immaterielles UNESCO-Kulturerbe der Menschheit?

Es bringt natürlich öffentliche Sichtbarkeit. Vor allem bringt es jedoch die Verantwortung, mit diesem jahrhundertealten Erbe achtsam umzugehen, sowohl was die touristische Verwertung angeht als auch, was die Durchführung der Transhumanz in der Praxis anbelangt: das Zusammenschauen innerhalb der Schafinteressentschaften und im Tal, das Finden von überzeugten Schafbauern, Hirten, Treibern. Nur wenn die Überzeugung stark genug ist, ein Erbe unserer Großväter weiterzutragen und an die jüngeren Generationen weiterzugeben, nur wenn darin auch ein Wert gesehen wird, bleibt diese Transhumanz und viele andere am Leben. Ich erlebe auch Aufbruchstimmung und einen großen Stolz bei den TraditionsträgerInnen und den Beteiligten. Die Aufnahme als immaterielles Kulturerbe der Menschheit soll auch in diesem Sinne wirken.

 

Welche Bedeutung hat diese besondere Form der Wanderweidewirtschaft aus kultureller – und auch aus touristischer – Sicht für das Schnalstal?

Der Schnalser Schaftrieb ins Ötztal über das Niederjoch ins Niedertal bzw. das Hochjoch ins Rofental ist der einzige bekannte grenz- und gletscherüberschreitende Wandertrieb. 3.000 bis 3.500 Schafe aus dem Schnalstal, vor allem aber aus dem Vinschgau – zahlreiche davon im Eigentum von Nebenerwerbsbauern – sind Teil dieses besonderen Wandertriebes vor einzigartiger Kulisse. Touristisch hat die Aufwertung – neben dem großen medialen Interesse sowie dem Besucherinteresse im Herbst anlässlich der Rückkehr der Schafe – auch weitere positive Entwicklungen gebracht: etwa die gastronomischen Wochen im Zuge der Transhumanz im Herbst, bei welchen das Schaffleisch in den Gasthäusern des Tales ganz besonders im Mittelpunkt steht, die Verwertung der Schnalser Schafwolle und Verarbeitung zum iPotsch oder die Aufnahme des Schnalser Schafes und der Transhumanz von Slow Food als Erbe der Arche des Geschmacks.

Als Kulturverein möchten wir ein Symposium ins Leben rufen, das sich als Plattform der europäischen Transhumanzen und um deren wissenschaftliche und kulturelle Bearbeitung, vor allem aber um die Vernetzung dieser Traditionen bemüht.

(...) die über Jahrhunderte praktizierte Tradition, die Biodiversität fördernde und nachhaltige Praktik, das Verbindende zwischen Natur und Mensch.

Gemeinsam mit der Südtiroler wurden auch Transhumanzen aus Österreich, Griechenland und dem restlichen Italien zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede gibt es mit der Transhumanz in anderen Regionen wie dem Mittelmeerraum?

Der Begriff “Transhumanz” selbst stammt aus dem Lateinischen “Transumere”: “trans” = Jenseits; “Humus” = Boden, Land; von oder zu einem anderen Ort bewegen. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst treiben Hirten, die als “pastori transumanti” (italienisch) bekannt sind, “metakinoumenoi ktinotrofoi / μετακινούμενοι κτηνοτρόφοι” (griechisch), “SchäferInnen und TreiberInnen” (deutsch), zusammen mit ihren Hunden und Pferden ihre Herden entlang bestimmter Routen – auf Italienisch als “Tratturi” und auf Griechisch als “Strates” oder “Thiava” bekannt. Das Verbindende sind also sicherlich die historischen und über Generationen begangene Routen. In den Regionen des Mittelmeeres – in Italien vorwiegend in den Abbruzzen, Molise, Kampanien, Apulien und in der Basilicata – werden im Sommer entlang der “Tratturi” Tiere in höher gelegene Regionen getrieben. Sehr häufig werden sie von den Familien der Hirten begleitet. Im Mittelmeerraum werden diese Triebe sehr häufig von Pferden als Transportmittel der Schäfer und Treiber begleitet. Sehr bekannt sind auch die so genannten “horizontalen” Transhumanzen, welche gerade im Veneto, in der Lombardei und im Piemont anzutreffen sind. Schäfer samt ihrer Herde sowie Hunden ziehen entlang der Poebene bis in die Täler der Voralpen, oft auch entlang der Weingüter im Frühjahr.