Wirtschaft | Volksbank

Der Gutachterkrieg

Am Landesgericht Bozen entscheidet sich jetzt ob 120 Volksbank-Aktionäre eine Art Nachschlag für ihre Aktien bekommen oder nicht. Die Hintergründe.
Volksbank Hauptsitz
Foto: Oskar Dariz
Massimo Cerniglia ist kein Anwalt, der groß aufträgt. „Ich bin zuversichtlich“, mehr will der römische Rechtsprofessor nicht sagen. Cerniglia vertritt seit Jahren äußerst erfolgreich Südtiroler Sparerinnen und Sparer bei Klagen gegen verschiedenste Banken. Lange Zeit war der Fachmann für Finanzrecht für die Südtiroler Verbraucherzentrale (SVZ) tätig, inzwischen arbeiteten er für das Aktionärkomitee Südtirol, das vom langjährigen SVZ-Geschäftsführer Walter Andreaus gegründet wurde.
Am Donnerstag um 12 Uhr geht am Bozner Landesgericht ein Verfahren in die entscheidende Phase bei dem Massimo Cerniglia und Alessandro Caponi 120 ehemalige Volksbank-Aktionäre vertreten. Es ist ein Prozess mit einer längeren Vorgeschichte.
 

Das Rücktritt

 
Im Spätherbst 2016 wird aus der Genossenschaftsbank Volksbank eine Aktiengesellschaft. Bei einer solchen Umwandlung hat jedes Mitglied das Recht zurückzutreten und sich seine Anteile auszahlen zu lassen. Von den über 60.000 Volksbank-Aktionären nehmen rund 1.400 Mitglieder dieses Rücktrittsrecht in Anspruch. Betroffen sind 2.645.288 Stammaktien mit einem Gegenwert von insgesamt 32 Millionen Euro.
 
 
Anlässlich der Kapitalerhöhung 2015 hatte die Volksbank die Aktien um 19,65 Euro ausgegeben. Ein Jahr später legt der Verwaltungsrat den Rücktrittspreis für die Aktie aber bei 12,10 Euro fest. Diese Preisfestlegung, untermauert durch zwei Gutachten unabhängiger Experten, sorgte verständlicherweise nicht nur bei den ausgestiegenen Mitgliedern für breiten Unmut.
Die Verbraucherzentrale sammelte 120 ehemalige Volksbank-Mitglieder, die vor dem Bozner Landesgericht gegen die Volksbank und den zu niedrigen Auszahlungspreis klagen.
 

Gutachten & Gegenklage

 
In dem Verfahren beauftragt das Landesgericht einen Sachverständigen zur Ermittlung des korrekten Rücktrittspreises. Im Juni 2018 lieferte der Mailänder Wirtschaftsberaters Giorgio Zanetti das Gutachten ab. Das Ergebnis: Der Gutachter legt den Aktienwert bei 14,69 Euro pro Aktie fest.
Die Reaktion der Bank erfolgt umgehend. Der Verwaltungsrat der Volksbank beschließt das Gutachten des Sachverständigen Giorgio Zanetti anzufechten. Die Volksbank-Führung unterstellt dem Gutachter zwei entscheidende Fehler. Zanetti habe für seine Bewertung die Bilanz zum 31.Dezember herangezogen worden, während das Gutachten der Volksbank auf Basis der Halbjahresbilanz erstellt wurde. Zudem stimme - laut Volksbank - das Bewertungsmodell des Gutachters nicht.
Wenig später verfügt der Richtersenat, dass allein die Volksbank die Spesen für das Gutachten des Sachverständigen zahlen muss. Insgesamt 25.078,26 Euro.
Weil normalerweise die Kosten solcher Gutachten zwischen den Parteien geteilt werden, ist diese Entscheidung mehr als nur ein juridischer Fingerzeig.
 

Die Ungleichbehandlung

 
Die Volksbank wandte gleichzeitig aber einen Kunstgriff bei jenen Aktionären angewandt, die gegen die Bank vor Gericht ziehen.
Rund ein Drittel der Aktien, die durch das Rücktrittsrecht frei wurden, kauften andere Aktionäre auf. Die Bank beschloss, die restlichen zwei Drittel, die nicht verkauft wurden, selbst anzukaufen. Mit einer Ausnahme.
Die Volksbank weigerte sich die Aktien jener Aktionäre zuzukaufen, die den Aktienpreis vor Gericht angefochten haben. Die Argumentation der Bank: Solang der Preis gerichtlich nicht festgelegt ist, könne man nicht zahlen. „Das war eine bewusste Ungleichbehandlung“, sagt Anwalt Massimo Cerniglia.
 
 
Der Sinn der Aktion: Die unbequemen Aktionäre hätten so ihr Geld - ganz gleich, wie das Gerichtsverfahren ausgeht - mit rund drei Jahren Verspätung bekommen.
Das Landesgericht Bozen machte dieser Strategie aber einen Strich durch die Rechnung. Richter Werner Mussner folgte der Interpretation der Kläger. Denn das Gericht hat festgelegt, dass das vom Gesetz vorgesehene Rücktrittsrecht ohne finanzielle Einschränkungen bei allen Aktionären gleich gelten muss.
 

Versuchte Verzögerung

 
Nach diesem Urteilsspruch versuchte es die Volksbank mit einer neuen Taktik. Für die Auszahlung der Aktionäre braucht die Bank eine Genehmigung der Bankenaufsicht. Auch weil sich damit verschiedene Parameter im Grundgerüst der Bank verschieben. Deshalb kündigte die Bank an, man werde um diese Genehmigung bei der Banca D'Italia ansuchen.
 
 
 
Die Verteidigung wertete diesen Schachzug als weitere Verzögerungstaktik. Anwalt Massimo Cerniglia forderte beim Landesgericht die sofortige Umsetzung des Urteils. Und auch hier gab das Landesgericht den Verbraucherschützern Recht.
Am 3. Jänner 2019 hat Zivilrichter Werner Mussner den Antrag der Bank auf Aussetzung des Urteils abgewiesen und die sofortige Auszahlung an die Kläger angeordnet. Die Begründung: "Die ausstehende Ermächtigung der Zentralbank zur Bezahlung der Aktien könne weder das Zivilurteil, noch die eventuell daraus folgende Vollstreckung beeinflussen“. Laut Gericht hätte die Bank schon früher um die Genehmigung zur Auszahlung ansuchen müssen.
Nachdem Cerniglia mit einer Pfändung drohte, hat die Volksbank der richterlichen Verfügung Rechnung getragen und auch den 120 Klägern 12,10 Euro pro Aktie ausgezahlt.
 

Die Entscheidung

 
Damit aber ist der Prozess nicht zu Ende. Weil die Volksbank das Gutachten Giorgio Zanettis angefochten hat, ernannte das Gericht einen zweiten Sachverständigen: Den Bocconi-Professor Cesare Conti. Dieses Gutachten liegt inzwischen vor. Conti kommt legt den Wert der Volksbank-Aktie bei 11,80 Euro fest. Er würde damit sogar unter dem liegen, was die Volksbank ausgezahlt hat.
 
 
In der heutigen Verhandlung vor dem Richtersenat Maria Christina Erlicher als Vorsitzende, Werner Mussner als Berichterstatter und Cristina Longhi als Beisitzerin wird es darum gehen, welches der beiden Gutachten letztlich vor Gericht Stand hält. „Contis Gutachten hat nur dann Bestand, wenn der Gutachter darin nachweisen kann, dass der Erstgutachter Zanetti augenscheinliche Fehler gemacht hat“, sagt Massimo Cerniglia. Diese gebe es aber nicht.
Wer Recht hat wird sich in der Verhandlung heute zeigen.