Politik | Skandal in der Urbanistik

Pfitschers Äpfel

Seit 13 Jahren lässt das Wohnbauinstitut einen Baugrund für 70 Wohnungen in Bozen brachliegen. Einen Steinwurf entfernt davon will das Wobi jetzt aber von einem Bozner Bauunternehmer einen Grund mit 100 Wohnungen kaufen. Die Chronik eines Skandals.

Es ist eine ganz normale Wiese mit Apfelbäumen. Nichts weist darauf hin, dass dieser Grund, der hinter der Reschenstraße in Richtung Sigmundskron an die bereits bestehenden Häuser des Wohnbauinstitutes (Wobi) grenzt, ein gut gehütetes Geheimnis birgt. Die Apfelbäume sind millionenschwer. Denn seit 13 Jahren ist die Obstwiese brachliegender Baugrund. Nur darf das niemand wissen.

Unter den Apfelbäumen verbirgt sich ein Skandal, in dem es um das Wohnbauinstitut geht, säumigen Landes- und Gemeindebehörden und vor allem um die Frage, ob die öffentliche Hand privaten Unternehmern viele Millionen Euro zuschanzen will?

Der Kauf

Die Geschichte beginnt vor 13 Jahren. Am 7. August 2001 beschließt der Verwaltungsrat des Wohnbauinstitutes den Ankauf eines Kulturgrundes in Bozen. Das Wobi kauft von privaten Grundbesitzern insgesamt 5.820 Quadratmeter Baugrund an. Der Quadratmeter: 550.000 Lire. Insgesamt gibt man so rund 1,7 Millionen Euro aus. Man will dort 70 Wohnungen bauen. 

Das Wobi kauft aber nicht in Blaue. Präsident Rosa Franzelin Werth und ihr Verwaltungsrat gehen streng nach dem geltenden Landesgesetz vor. Das drei Jahre zuvor erlassene Wohnbauförderungsgesetz sieht vor, dass das Wobi bei Wohnungsnot direkt bei Privaten Gründe für sein Bauprogramm ankaufen kann. Aber mit klaren Auflagen. Dazu heißt es im Artikel 87:

Vor dem Ankauf des Grundes muß das Wohnbauinstitut das Gutachten der gebietsmäßig zuständigen Gemeinde und der Landesraumordnungskommission einholen. Die bindenden Gutachten der Gemeinde und der Landesraumordnungskommission über die Eignung des Grundstückes als Baugrund müssen innerhalb von 90 Tagen abgegeben werden. Läuft diese Frist ab, ohne daß sich die Gemeinde beziehungsweise die Landesraumordnungskommission geäußert hat, gilt das jeweilige Gutachten als positiv. Nach erfolgtem Abschluß des Kaufvertrages beschließt die Landesregierung, auf Antrag des Wohnbauinstitutes, die Abänderung des Bauleitplanes endgültig.

Das Wobi holt wie vorgesehen vor dem Kauf die bindenden Gutachten ein. Am 3. April 2001 gibt der Stadtrat von Bozen sein positives Gutachten für den Ankauf, am 17. Mai 2001 bestätigt die Raumordnungskommission des Landes die Eignung des Grundes für den Bau von Institutswohnungen. Erst jetzt unterzeichnet das Wobi den Kaufvertrag.

Ein unwürdiges Versteckspiel

Geht bisher alles streng nach Gesetz, passiert dann etwas mit dem niemand gerechnet hat. Weil nach dem Gesetz jetzt die Landesregierung die Bauleitplanänderung beschließen muss, ersucht Wobi-Präsidentin Rosa Franzelin Werth am 19. Februar 2002 das Land und die Gemeinde um die Bauleitplanänderung und die Eintragung des Baugrundes. Das Schreiben geht unter anderem an den damals zuständigen Landesrat Michl Laimer persönlich.

Doch es passiert nichts. Sowohl Land wie Gemeinde stellen sich plötzlich stumm. Das Urbanistikassessorat schreibt zwar zurück, tut aber so als gebe es das Landesgesetz nicht. Zwei Jahre später wiederholt deshalb das Wobi das Ansuchen. Am 16. November 2004 schreibt Rosa Franzelin Werth erneut und weist wiederum auf den Wohnungsnotstand hin. Wieder keine Reaktion. Sechs Jahre lang passiert einfach nichts. Bereits hier dürfte ein klarer Fall von Amtsunterlassung vorliegen.

Am 4. Juni 2007 wiederholt auch der neue Wobi-Präsident Albert Pürgstaller schriftlich das Ansuchen. Das Land und die Gemeinden sollen endlich die säumige Bauleitplanänderung durchführen, damit das Wobi die 70 Wohnungen bauen kann.

Jetzt aber passiert Merkwürdiges. Obwohl gar nicht mehr zuständig, antwortet am 27. Juni 2007 der damalige Bozner Urbanistikstadtrat Silvano Bassetti. Bassetti war es der 2001 das positive Gutachten der Gemeinde Bozen unterzeichnet hat. Jetzt aber macht die Gemeinde Bozen plötzlich eine 180-Grad-Wende. Der Stadtrat führt eine Reihe von Gründen an, warum das angekaufte Grundstück für den Wohnungsbau nicht geeignet sei.

Niemand fällt anscheinend auf, dass Bassetti und die Stadt Bozen laut Gesetz gar nicht mehr zuständig sind, ein Gutachten abzugeben oder die Bauleitplanänderung abzulehnen.

Der Strategiewechsel

Hinter der Kehrwende Bassettis steht in Wirklichkeit ein politischer Strategiewechsel. Vor allem Bassettis Partei PD will ein neues Modell der Wohnraumbeschaffung für das Wobi in Südtirol einführen. Dazu setzt man eine Gesetzänderung im Landtag durch.

Das Wobi soll sozusagen „zur Beschleunigung der Bauprogramme“ schlüsselfertige Wohnungen von Bauunternehmen ankaufen können. Dazu soll das Wobi einen Wettbewerb ausschreiben, bei dem private Unternehmer ihre Gründe anbieten können. Die Landesraumordnungskommission muss die Eignung der verschiedenen angebotenen Zonen überprüfen und dann den oder die Wettbewerbssieger ermitteln.

Als mit Christian Tommasini ein PD-Politiker 2009 den Bereich Wohnbau übernimmt, wird dieses Modell politisch auf Landesebene salonfähig. Im August 2011 wird über den Nachtragshaushalt das Wohnbauförderungsgesetz abgeändert und diese neue Ankaufsform samt Wettbewerb eingefügt.

Kritiker fragten sich bereits damals, wer die eigentlichen Nutznießer dieser Gesetzesänderung sind: Das Wohnbauinstitut oder die Spekulanten- und Baulobby?

Der Unfall

Die Gesetzesänderung wird umgehend in Bozen in die Praxis umgesetzt. Das Wohnbauinstitut schreibt einen Wettbewerb aus, an dem sich vier Interessenten beteiligen und Grundstücke anbieten. Eines der Grundstücke, auf dem 100 Institutswohnungen errichtet werden sollen, liegt fast direkt neben dem vergessenen Apfelwiesen des Wobi.

Nach einem Lokalaugenschein gibt die Landesraumordnungskommission am 15. Dezember 2011 aber überraschend ein negatives Gutachten für den Ankauf dieses und auch der anderen drei Gründe ab. Der zuständige Landesrat Christian Tommasini beschwert sich wenige Tage später auf der Sitzung der Landesregierung, dass die Kommission „politisch und nicht technisch“ entschieden hätte. Laut Tommasini habe die Kommission als Begründung für die Anlehnung auch den Umstand angeführt, dass das Wobi für das Bauvorhaben doch das bereits in ihrem Eigentum befindliche Grundstück in dieser Zone verwenden soll.

Da capo

Mit dem vergessenen Wobi-Grundstück passiert aber immer noch nichts. Dafür legen die Besitzer der danebenliegenden Zone, die von der Raumordnungskommission abgelehnt wurde, beim Verwaltungsgericht Rekurs gegen die Ablehnung ein. Gleichzeitig fordern sie Schadenersatz.

Am 19. Juni 2012 weist das Verwaltungsgericht Bozen die Klage der privaten Grundbesitzer ab. Die Unternehmer ziehen vor den Staatsrat, der am 5. März 2013 erneut dem Land Recht gibt. Im Urteil des Staatsrates werden explizit die Gründe für die Ablehnung der Zone noch einmal als absolut stichhaltig angeführt.

Spätestens jetzt müsste die Apfelwiese des Wobi endlich zum Zug kommen. Doch weit gefehlt. So als wenn nichts gewesen wäre, schreibt das Wobi im Oktober 2013 einen neuen Wettbewerb aus. Nach dem normalen Rechtsverständnis dürfte jene Zone, die 2011 abgelehnt wurde und deren Ablehnungsgründe vom Staatsrat zwei Jahre später voll bestätigt wurden, am Wettbewerb eigentlich gar nicht mehr teilnehmen.

Die Unternehmer nehmen aber nicht nur teil, diese Zone ist auch die einzige, die jetzt in Windeseile positive Gutachten von der Gemeinde und dem Land erhält. Konkret: Das Wobi will dort rund 100 Wohnungen von einem Bauunternehmer errichten lassen und dann ankaufen. Kostenpunkt rund 10 Millionen Euro.

Eingabe bei der Staatsanwaltschaft

Selbst im Urbanistikassessorat rauchen ob dieser Entwicklung die Köpfe. Kann die Landesraumordnungskommission überhaupt eine Entscheidung, die vom Staatsrat bestätigt wurde, plötzlich rückgängig machen? Ohne dass sich auch nur ein Beistrich geändert hat.

Ein Rechtsgutachten kommt zum Schluss: Ja.

Schon bald könnten sich gleich zwei Staatsanwaltschaften dieser juridischen Streitfrage zuwenden. „Wir werden eine Eingabe sowohl bei der Staatsanwaltschaft wie auch beim Rechnungshof machen“, kündigt der Bozner 5-Stelle-Gemeinderat Alberto Filippi an, der den Skandal nachrecherchiert hat.

Die Staatsanwaltschaft wird dann aber einen noch brisanteren Hintergrund klären müssen. Denn der Zufall will es, dass zwischen einer Spitzenbeamten im Assessorat Tommasini und dem Bauunternehmer, der hinter dieser Operation steht, ein persönliches Nahverhältnis besteht. Die Eingabe der 5-Stelle enthält darüber einige noch unbekannte Details. „Wir wollen, dass diese Geschichte lückenlos aufgeklärt wird“, sagt Filippi.

Inzwischen werden die Äpfel Konrad Pifitschers wohl noch ein paarmal reifen.

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Sylvia Rier Sa., 15.03.2014 - 07:40

übrigens auch interessant bis heftig, dass öffentliche Gelder (seit 2001, hier, nicht wahr?) und doch recht erkleckliche Summen so lange brachliegen können. Ich würde sagen, entweder sie drehen innerhalb eines sehr überschaubaren Zeitrahmens, oder sie werden zurück geholt. Alles andere ist Verschwendung. Oder ist das Wobi-Apfelbaum-Grundstück noch gar nicht bezahlt?

Sa., 15.03.2014 - 07:40 Permalink
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Christoph Moar Sa., 15.03.2014 - 20:07

Antwort auf von Sylvia Rier

ohne Zahlung keine notarielle Beurkundung. Ohne notarielle Beurkundung kein Eigentum. Ohne Eigentum kein Ansuchen um Bauleitplanänderung. Da die Bauleitplanänderung beantragt wurde, gilt nach den Gesetzen der Booleschen Algebra auch die Zahlung des Preises. :)

Sa., 15.03.2014 - 20:07 Permalink
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Christoph Moar Sa., 15.03.2014 - 21:00

Antwort auf von Sylvia Rier

...zum Beispiel lagen im Haushalt 2013 insgesamt knapp 300 Mio Euro bereit, um Wobi Wohnungen zu bauen oder zu sanieren. Da wären sich die 100 Stück auf der Obstwiese auch ausgegangen. Mögen hätt’ man schon wollen, aber dürfen hat man sich nicht getraut. Ist zwar nicht von mir, passt aber gut. ;)

Sa., 15.03.2014 - 21:00 Permalink
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Christoph Moar Sa., 15.03.2014 - 20:59

...zum Beispiel lagen im Haushalt 2013 insgesamt knapp 300 Mio Euro bereit, um Wobi Wohnungen zu bauen oder zu sanieren. Da wären sich die 100 Stück auf der Obstwiese auch ausgegangen. Mögen hätt’ man schon wollen, aber dürfen hat man sich nicht getraut. Ist zwar nicht von mir, passt aber gut. ;)

Sa., 15.03.2014 - 20:59 Permalink
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Sylvia Rier Sa., 15.03.2014 - 21:49

Antwort auf von Christoph Moar

wollte ja eh den Haushalt screenen nach "stillen Reserven" - er dürfte rasch fündig werden. Aber sag doch: Ist es nötig, oder unvermeidlich, "beim Land", dass größere Summen über längere Zeiträume und überdies "unfruchtbar" gebunden sind - muss das wirklich sein?

Sa., 15.03.2014 - 21:49 Permalink
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Christoph Moar Sa., 15.03.2014 - 22:35

Antwort auf von Christoph Moar

Es sei mal dahingestellt, ob die Summen "unfruchtbar" geparkt sind. Solange es Barmittel sind (die 300 Mio) liegen die ja physisch auf ein Konto, und das wirft mehr oder weniger Zinsen ab. Das Grundstück, natürlich, ist ein anderes Thema. Dafür fällt ja vermutlich sogar IMU an. Oder vielleicht auch nicht, ist ja die Öffentliche Hand.
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Ob es sein muss, dass Gelder über längere Zeit vorliegen? Nun, das hat (auch) mit der Finanzgebarung der Öffentlichen Hand zu tun. Ausgabenverpflichtungen können nicht eingegangen werden, wenn nicht die notwendige Deckung vorher nachgewiesen ist. Du musst also (zumindest eine Sekunde) "vorher" das Geld haben und "danach" kannst du den Kauf tätigen oder das Projekt unterzeichnen. Manchmal geschieht es also auch, dass Gelder über mehrere Jahre "angesammelt" werden, bis genug da ist, um das Projekt abzuwickeln. Insofern, das mit den 300 Mio., das wundert mich jetzt nicht.
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Aber natürlich müsste es auch möglich sein, das etwas effizienter zu gestalten, selbst unter Einhaltung der o.g. Kriterien.

Sa., 15.03.2014 - 22:35 Permalink
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Markus Lobis Mo., 17.03.2014 - 08:18

Es gefällt mir nicht, dass solche Geschichten vorkommen. Es gefällt mir aber sehr, dass und wie auf SALTO darüber berichtet wird. Ich freue mich darüber, Christoph Franceschini hier lesen zu dürfen!

Mo., 17.03.2014 - 08:18 Permalink