Umwelt | Urbanistik

Staatsrat & Baufirma

In Aldein ist es zu einem Gerichtsstreit gekommen, der deutlich macht, wie weit der Staatsrat gehen kann, um ein Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes zu kippen.
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Foto: upi
Wir verstehen die Welt nicht mehr“, sagen Eva und Elfriede Rösch unisono. Die beiden Aldeiner Schwestern haben eine gerichtliche Odyssee hinter sich, die man fast nicht glauben kann. Der Fall ist nicht nur ein Musterbeispiel dafür, wie absurd und undurchsichtig Südtirols Urbanistikgesetzgebung seit langem geworden ist.
Sondern die Schwestern Rösch sind auch die Leidtragenden einer Justizposse, die deutlich macht, wie unterschiedlich Gerichte objektive Fakten bewerten können. Und wie klein am Ende der Handlungsspielraum des Südtiroler Verwaltungsgerichtes in Wirklichkeit ist.
 

Der Neubau

 
Die Baukommission der Gemeinde Aldein erlässt am 19. September 2013 eine Baukonzessionen mit der Friedrich Ebner ermächtigt wird, sein Wohnhaus zu sanieren und erweitern. Das Projekt sieht den Abbruch einer Zubaues an der Nordseite des Gebäudes und an dessen Stelle die Errichtung eines Heizraumes und eines neuen Stiegenhauses vor.
Im ursprünglichen Wohnhaus entstehen drei Wohnungen. Doch durch den Abbruch wird Kubatur frei. Diese Kubatur soll zusammen mit dem gesetzlich vorgesehenen Kubaturbonus neu verbaut werden. Auf einer neugebildeten Grundparzelle wird – laut ursprünglichem Projekt - auf einem abfallenden Gelände ein zweistöckiges Einfamilienhaus errichtet.
Anhand der Pläne wird schnell klar. Ebner will das neue Gebäude verkaufen. Was dann auch passiert. Ein Aldeiner Paar kauft den Neubau, um dort einzuziehen.
Elfriede und Eva Rösch sind Ebners Nachbarn. Den beiden Schwerstern kommen im Mai 2014 Zweifel über den Umfang der Arbeiten. Der riesiger Erdaushub lässt bei den Nachbarn den Verdacht aufkommen, dass die fortschreitenden Arbeiten immer weniger mit einer Sanierung und Erweiterung zu tun haben. Zudem wird langsam klar, dass der Neubau im wahrsten Sinne des Wortes den Rösch Schwestern vor die Nase geknallt wird.
 
 
Als sich die Nachbarn beim Gemeindebauamt und Bürgermeister von Aldein erkundigen, wird ihnen versichert, dass ihre Bedenken völlig unbegründet sind. „Darüber, dass eine neue Grundparzelle mit einem Neubau im landwirtschaftlichen Grün im Entstehen war, wurden wir nicht informiert“, sagt Eva Rösch, „selbst dann nicht als wir ein Ansuchen um Bauüberwachung einreichten.
 

Der Rekurs

 
Einsicht in das genehmigte Projekt erhalten die Nachbarn von der Gemeinde erst im August 2014. Eva Rösch reicht umgehend über den Bozner Rechtsanwalt und Urbanistikexperten Manfred Natzler Rekurs beim Bozner Verwaltungsgericht ein. Der Hauptpunkt des Rekurses: Es handle sich beim Projekt nicht um eine Sanierung und Erweiterung, sondern um einen Neubau im landwirtschaftlichen Grün.
Sowohl die Gemeinde wie auch der Bauherr und die Käufer des Neubaues lassen sich in den Rekurs ein.
2014 genehmigt die Gemeinde Aldein dann zwei Varianten zum Projekt. Das ursprüngliche Projekt hatte eine fliegende Dachkonstruktion vorgesehen, die das alte und das neue Gebäude verbunden hätte. 2014 besserten die Bauherren dann noch einmal nach.
Die Variante sieht einen neuen Baukörper vor, der die beiden Gebäude verbinden soll. Es handelt sich um zwei Abstellräumen, wovon einer mit dem Auto passierbar ist. Es ist ein Kunstgriff, den man in Südtirol schon oft angewandt hat. Zwei getrennte Baukörper sind verboten. Deshalb verbindet man sie durch eine völlig sinnlose Mauer und damit wird das Ganze zu einem Haus.
Im Herbst 2014 erlässt das Verwaltungsgericht aufgrund des Rekurses und einem Eilantrag einen Baustopp. Die Rekursstellerin muss eine Kaution von 20.000 Euro hinterlegen. Der Bau steht danach fast zwei Jahre lang still.
 

Die Nabelschnur

 
Als sich der Richtersenat am Bozner Verwaltungsgericht am 20. Mai 2015 dann mit den Fall befasst, kommt man zu einem klaren Urteil. Präsident Terenzio Del Gaudio, die Richter Lorena Pantozzi und Peter Michaeler und die Berichterstatterin Edith Engl geben der Klägerin allen Punkten recht.
Das Gericht kommt zum eindeutigen Schluss, dass es sich bei beim Einfamilienhaus nicht um eine Erweiterung, sondern um einen Neubau handelt. Prozessentscheidend ist dabei die Bewertung der vom Gericht sogenannten künstlichen „Nabelschnur“ zwischen den beiden Gebäuden.
Im Urteil heißt es:
  • zwischen Alt- und Neubau besteht aufgrund der Entfernung kein struktureller und/oder funktioneller Zusammenhang (getrennte Eingänge, getrennte technische Anlagen, getrennte Zufahrten usw.);
  • das neue Einfamilienhaus ist bautechnisch vollständig unabhängig vom Altbau gestaltet; - der Verbindungstrakt zwischen Alt- und Neubau ist bautechnisch nicht notwendig und stellt nur einen unnötigen Kunstgriff dar, um dem Begriff „Erweiterung“ im weitesten Sinne Genüge zu tun.
  • für den Neubau wurde mit Teilungsplan eine eigene neue Bauparzelle geschaffen und vom Altbau abgetrennt; es handelt sich somit auch in katastertechnischer Hinsicht um zwei getrennte Baukörper, die mittlerweile auch zwei verschiedene Eigentümer haben, die zwei getrennte Bauvorhaben vorantreiben, wobei Alt- und Neubau durch zwei völlig verschiedene Baustile gekennzeichnet sind.
Den Einwand der Gemeinde, dass der Rekurs verspätet eingereicht worden sei, weist das Verwaltungsgericht ab. Die Nachbarinnen hätten erst im Sommer 2014 durch die Arbeiten wirklich Kenntnis vom Gesamtausmaß des Projektes erhalten.
Das Verwaltungsgericht annullierte deshalb alle von der Gemeinde Aldein erlassenen Baukonzessionen und verurteilte die Gemeinde und die Bauherrn zur Bezahlung der Anwalts- und Prozesskosten.
 

Römische Wende

 
Die Gemeinde Aldein, sowie Bauherr Friedrich Ebner und die Käufer des Einfamilienhauses legen aber Berufung gegen das Urteil beim Staatsrat ein. Und in Rom kommt es zu einer kopernikanischen Wende der ganz besonderen Art.
Am 19. Mai 2016, also fast genau ein Jahr nach dem Ersturteil, annulliert der Staatsrat das Urteil des Bozner Verwaltungsgerichts. Berichterstatter ist der Südtiroler Richter Bernhard Lageder.
Bacchettato il TAR“ titelt der Alto Adige ein halbes Jahr später als das Urteil bekannt wird. Dabei ist das Urteil des Staatsrates einmalig. Denn Bernhard Lageder & Co gehen erst gar nicht auf den eigentliche Kern des Falles und die Südtiroler Gesetzgebung zur Raum(un)ordnung ein.
 
 
Sondern der Staatsrat kommt zum Schluss, dass der Rekurs der Nachbarn zu spät und nicht termingerecht eingereicht wurde. Es ist das genaue Gegenteil dessen, was das Bozner Verwaltungsgericht entscheiden hat.
Noch abenteuerlicher aber ist die Begründung aus Rom. Die Gemeinde Aldein legte dem Staatsrat eine schriftliche Erklärung des Bauunternehmens Daum & Co OHG vor, das die Arbeiten an Ebners Neubau durchführte. Demnach hätte die Baufirma den Geschwistern Rösch am Abend des 24. Mai 2014 „gli schizzi e i piani di facciata dell’edificio da realizzare“ vorgelegt. Am nächsten Morgen habe man die Pläne dann wieder zurückgenommen. „Wir wurden dazu vom Gericht niemals befragt“, sagt Eva Rösch heute.
Der Staatsrat geht aber davon aus, dass damit die Nachbarn vollständige Kenntnis über das Projekt hatte. Der Rekurs hätte demnach bis Ende Juli 2014 hinterlegt werden müssen. Weil die Hinterlegung aber erst Anfang September erfolgt ist, sei er nicht zulässig.
Im Klartext heißt das: Obwohl ein Gericht festgestellt hat, dass ein Bau eindeutig illegal ist, bleibt er wegen eines angeblichen Terminverfall unbestraft. „Der Staatsrat beurteilt den Eingabetermin des Rekurses anscheinend schwerwiegender als das Nichteinhalten des Landesraumordnungsgesetzes“, sagen Eva und Elfried Rösch.
Was aber mehr als nur abenteuerlich sein dürfte: Entscheidend für die Feststellung des Terminverfall ist einzig und allein eine Erklärung der ausführenden Baufirma.
Wenn diese Art der Rechtsprechung Schule macht, dann kann man das gesamte Raumordnungsgesetz gleich abschaffen.
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Karin Gamper Di., 18.04.2017 - 16:30

Das reißt dem Fass den Boden aus! Auf welches Gesetz kann man sich denn heute noch verlassen, wenn dahinter eine Gerichtsbarkeit steht, die ein negatives Urteil allein durch das zu späte Einreichen des Rekurses fällt, und nicht darüber entscheidet, ob die Richtlinien des Gesetzes eingehalten worden sind. Hat man in Rom überhaupt Kenntnis von unserem Urbanistikgesetz? ... Wenn ja, dann hat man vergessen einen wichtigen Abschnitt zu lesen und das ist für die Betroffenen sehr traurig, denn somit ist der Kampf für das Recht von vorneherein schon verloren gewesen, sowie Geld, Nerven und Zeit! Wer gibt uns die Glaubwürdigkeit an unsere Politiker zurück, wenn die Gesetze nicht mehr eingehalten werden müssen? Schade, denn solche und noch viele andere Werte fehlen in Zukunft auch unserer Jugend!

Di., 18.04.2017 - 16:30 Permalink