Kultur | Salto Weekend

Hinter des Clowns Maske

Ein Gespräch mit der Clownesse Sigrid Seberich. Über Lüge und Wahrheit, Masken im Alltag und ihre Kunstfigur Karamela.
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Foto: Quelle: Tiatro

salto.bz: Als Karamela sind Sie eine Kunstfigur. Haben Sie schon die Soforthilfe der Künstlerförderung beantragt?

Sigrid Seberich: Ja, Karamela ist eine Kunstfigur. Wir haben beschlossen dass der Kameramann und Macher unserer neuen Kurzvideos Ahmet Avkiran, alias Schokola, eine Künstlerförderung beantragt.

 Als Clown zauberte ich das Nichts mit dem Körper und meiner Stimme, und es wurde etwas Wertvolles und Herzerwärmendes.

Seit wann schlüpfen Sie in Clownrollen?

Auf die Spuren des Clowns brachte mich eine Kollegin während des Rhythmik-Studiums im Jahr 1982. Wir fuhren nach Frankreich und besuchten diverse Clown-Kurse. Später auch in Deutschland und Österreich. Nach dem Studium begann ich mit Solo-Auftritten als Clown Sigrid. Bald darauf traf ich Ahmet Avkiran und wir zogen in seine Heimat Türkei. 

 

Wie und wo ist die Rolle Karamela entstanden?

Eines Tages kam eine Freundin zu uns mit der Idee eine Kindersendung im privaten Kanal E-TV in Antalya zu gestalten. Wir waren sofort begeistert und Ahmet ahnte schon damals, dass dies ein guter Weg werden würde, den wir da einschlagen. Wir wollten das Programm als Clowns gestalten und Wissenswertes auf heitere Weise vermitteln. Dieses Programm trug den Namen Karamela. So kam dann auch Karamela zu ihrem Namen. Und was sollte dazu besser passen als Schokola?

Antalya war also die Wiege für Karamela und Schokola…

Ja. Unsere Tochter wollte dann ebenfalls dabei sein. Sie nannte sich zunächst Parmak Çocuk (Der kleine Däumling), später Popcorn. Im Jahr 1996 zeigten wir eine Ausgabe dem Produzenten und Filmemacher Wolfgang Penn und hatten gleichzeitig das Glück, für Rai Südtirol, damals noch Sender Bozen, eine eigene Kindersendung zu realisieren. Seit 23 Jahren gibt es nun schon die Karamela-Kindersendung in regelmäßigen Abständen und die Clowns Karamela und Schokola erheitern unzählige Menschenherzen. 


Was reizt Sie an der Figur des Clowns? 

Begonnen hat alles mit dem Nichts. Als Clown zauberte ich das Nichts mit dem Körper und meiner Stimme, und es wurde etwas Wertvolles und Herzerwärmendes. Als ich dieses Nichts verteilte öffneten alle begeistert die Hände um es einzufangen. Es war wie ein Wunder. Die Clownfigur hat mich immer an meine Grenzen gebracht, dorthin wo ich mich verstecken wollte. Das reizte mich, denn ich erlebte gleichermaßen dass es diese Figur ist, mit der sich meine Grenzen erweiterten und auflösten. Im Spiel.

Was passiert mit Ihnen wenn Sie in diese Rolle schlüpfen?

Karamela ist eine poetische Figur, sie liebt Musik, sie liebt die Menschen sowie alle anderen lebendigen Wesen. Gern verliert sie sich im chaotischen Spiel. Sie ist wie ein staunendes Kind, das die Welt neu entdeckt, aber auch sehr schnell alles vergisst, unentschlossen zwischen zwei Möglichkeiten schwankt und dabei einen eigenen Tanz erfindet. Sie fühlt sich leicht und sehr beweglich und es ist jedes Mal wie eine magische Reise im Hier und Jetzt-Spiel – Karamela ist wie der Tanz meiner Seele.

 

Was geht in Ihnen vor wenn Sie das Clownkostüm ablegen und Sigrid Seberich sind?

Mit dem Ablegen der Clownnase verändert sich der Atem, die Realität wird wieder so, wie die meisten Menschen sie definieren. Als Sigrid funktioniere ich mehr, oder versuche es zumindest. Nachdem Karamela wieder in ihrer Tasche schläft bleibt noch diese fröhliche Lebendigkeit in der Sigrid und es ist als hätte sie geträumt.

Clowns dürfen nach Herzenslust Lügen auftischen, um mit ihrer Fantasie Wahrheiten offenzulegen.

Wir leben in Zeiten, in denen die meisten Menschen eine „Maske“ tragen sollen...

Wir spielen alle unser Spiel und tragen verschiedene Masken im Alltag. Als Clown probieren wir sie aus, vergrößern sie machen sichtbar was darunter liegt. Manchmal fragt sich Karamela warum wir die kulturelle Vermummung so verpennt haben und nun selber etwas ähnliches propagieren. Wieder eine Absurdität dieser zweibeinigen Menschentiere.
Das Maskentragen ist für Karamela wie ein großes Spiel: Gesichter tragen einen Maulkorb, oder einen Blumenteppich, einen übergroßen Schnurrbart. Zum Glück regt das Tragen von Masken auch zu fantasievollen Beiträgen an.

Wie denkt die Clownesse über die gegenwärtige Situation?

Es lässt sich auch mit Maske lächeln. Diese neue Art der Vermummung scheint wirkungsvoll zu sein und so spielen wir mit. Innerlich lacht Karamela in sich hinein und vor allem auch über Augenblicke hinaus. Der Wunsch bleibt natürlich, dass es nur vorübergehend ist und wir nachher umso achtsamer Körperlichkeit, Freiheit und Gemeinsamkeit genießen – im liebevollen Respekt voreinander.

 

Der Clown hat – wie die Narrenfigur generell – irgendwie die Wahrheit gepachtet. Was nützt das, in der verlogenen Welt? 

Der Clown ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, das ist einer seiner vielen Aufträge. Also dürfen Clowns auch nach Herzenslust Lügen auftischen, um mit ihrer Fantasie Wahrheiten offenzulegen. Die Wahrheit liegt in uns selbst, als Clowns folgen wir den Empfindungen im augenblicklichen Moment. Sind wir ehrlich, schaffen wir eine Brücke zum anderen. Dieses braucht viel Ruhe und ein Lauschen nach dem Innen und dem Außen. Danach können wir die Reaktionen sorgsam wählen und spüren ob ein warmer Raum der Geborgenheit sich öffnet und offen bleibt, in welchem ohne Vorurteile die bunte vielfältige Welt der realen Fantasie gelebt werden kann. Es sind immer die Wahrheiten aus dem Inneren, gleichzeitig aber auch eine Maske oder eine Täuschung, wer weiß... 


Worüber können Sie als Clown herzhaft lachen?

Über ein unvorhergesehenes Missgeschick.

Was bringt Sie zum Weinen? 

Das Anstoßen an innere und äußere Mauern...