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Fragwürdige Kriegsabenteuer

„Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung 1935-1939“ Ein Gastkommentar des Historikers Andrea Di Michele zur neuen Ausgabe der Zeitschrift "Geschichte und Region"
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Foto: Foto: Geschichte und Region

Der italienische Einmarsch in Äthiopien markierte eine Wende in der internationalen Politik. Er repräsentierte das erste große kriegerische Unternehmen eines europäischen Staates nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, stellte zugleich aber auch eine große Herausforderung für das von den Staatskanzleien rund um die Welt mit großer Besorgnis verfolgte Gleichgewicht der Mächte dar und führte dazu, dass der italienische Faschismus in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit rückte.

Der Einmarsch bedeutete einen der massivsten, wenngleich nicht den ersten Schlag gegen die Nachkriegsordnung von Versailles, die bereits in den Jahren zuvor, beginnend mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland, Bruchlinien erkennen ließ. Der Konflikt in Äthiopien löste kaum internationale Reaktionen aus; diese trafen Italien lediglich in Form von Teilsanktionen, die der Völkerbund verhängt hatte. Die Sanktionen konnte das Regime geschickt als Propagandamittel nutzen, so dass sie letztlich einen engeren Zusammenschluss nach Innen bewirkten und Mussolini in seiner Position gestärkt hervorgehen ließen. Aus internationaler Sicht trugen die Spannungen mit Großbritannien und der Bruch mit dem Völkerbund wesentlich zur politischen Annäherung an Hitler-Deutschland bei, auf die einige Jahre später eine politische und militärische Allianz folgen sollte.

Bereits im Jahr 1936 proklamierte Mussolini das Ende der militärischen Operationen und rief das impero fascista aus. De facto jedoch war Ostafrika alles andere als ‚befriedet‘, der Krieg ging noch jahrelang weiter, wenngleich weniger intensiv, bis er praktisch in den Zweiten Weltkrieg einmündete. In der Zwischenzeit, im Juli 1936, hatte die Erhebung der Franquisten stattgefunden und der Spanische Bürgerkrieg begann. Nach einer ersten Phase der Unsicherheit und des Zögerns beschloss der Duce, die Putschisten durch Waffenlieferungen, militärische Expertise und schließlich durch ein regelrechtes Heer, formiert aus zehntausenden von Männern, die als Freiwillige firmierten, zu unterstützen. So standen in Spanien die beiden Regime, das italienische und das deutsche, Seite an Seite und bildeten zusammen mit den Franquisten eine dreigliedrige Koalition, die für einen Faschismus stand, der sich gegen die demokratischen Kräfte wandte – eine dramatische Vorwegnahmen dessen, was während des Zweiten Weltkriegs passieren würde.

Die Kriegsabenteuer in Äthiopien und Spanien bedeuteten einen qualitativen Sprung in der Vorreiterrolle des Faschismus auf internationaler Ebene, einen gewaltsamen und erfolgreichen Angriff auf das alte Gleichgewicht der Mächte, eine Festigung des Vertrauens von Mussolini in die militärische Schlagkraft des Landes und schließlich die definitive Annäherung an Hitler, und zwar in einem Kontext, in dem sich Mussolini bezüglich seiner politisch-militärischen Stärke und seiner Entscheidungsfreiheit gegenüber dem mächtigeren Bündnispartner noch Illusionen hingeben konnte.

Im Zentrum stehen die Erfahrungen von Soldaten aus Südtirol/Alto Adige, dem Trentino und aus Nordtirol, die hauptsächlich den in Afrika und Spanien eingesetzten faschistischen Truppen angehörten. Hinzu kommen jedoch auch zwei wichtige Beiträge über das Geschick der antifaschistischen Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg. Diese geografische Eingrenzung erlaubt es, die in Betracht kommenden Soldaten genau zu bestimmen, institutionelle und autobiografische Quellen gezielt auszumachen und diese mit einem aufmerksamen Blick für die Besonderheiten von Grenzräumen, die erst seit kurzer Zeit dem Königreich Italien angehörten und zum Teil von einer deutschsprachigen Bevölkerung bewohnt waren, auszuwerten. In einigen Fällen war es für ein zahlenmäßig handhabbares Sample auch möglich, die Lebenswege im Vorfeld wie auch in der Zeit nach den Kriegen zu rekonstruieren und damit ein präziseres Bild zu zeichnen, welche Bedeutung der Kriegserfahrung in der persönlichen Lebensgeschichte einiger Soldaten zukam, auch in Hinblick auf ihre schwierige Reintegration im lokalen Umfeld, insbesondere für die antifaschistischen Kämpfer. Die Konzentration des Blicks hat des Weiteren zu einem besseren Verständnis dessen beigetragen, wie lokale Gesellschaften mit der Erfahrung der faschistischen Kriege in den nachfolgenden Jahrzehnten umgegangen sind und wie viel Raum sie der Erinnerung an jene Ereignisse zugestanden haben.