Gesellschaft | Mystische Orte

Puflatsch

Überaus beeindruckend ist der urtümlichste Teil der Seiser Alm, der das ganze Jahr über noch in diesem unberührten und makellosen Zustand verbringen darf: der Puflatsch.
Puflatsch
Foto: Martin Ruepp

 

Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 5

 

So schön die Seiser Alm ist, besonders zu den Zeiten, wenn die Lifte stillstehen und man wieder ihren leisen Pulsschlag hören kann, so überaus beeindruckend ist ihr urtümlichster Teil, der das ganze Jahr über noch in diesem unberührten und makellosen Zustand verbringen darf: der Puflatsch.

 

Zur Zeit der Almblumenblüte liegt ein besonderer Zauber über dieser weiten und hügeligen Almlandschaft, die noch in großen Teilen von Wacholderbüschen, Heidekraut und Alpenrosen überzogen ist. Nach dem Aufstieg von der Seiser Alm durch diese herrliche Naturwiesen erwarten einen auf dieser Hochfläche gleich mehrere Aussichtspunkte, der spektakulärste davon befindet sich bei den Hexenbänken am westlichen Ende des Puflatschs. Nicht weniger als neunzig Bergspitzen, darunter sechzig Dreitausender, kann man in einem Rundumblick bestaunen. Von Nordosten bis zum Süden legen sich die Dolomitenberge wie ein schützender Mantel um die Seiser Alm, am südlichen Ende ist man per du mit dem Schlern und in der Ferne glänzen die schneebedeckten Bergzacken vieler Alpenberge.

Es ist ein wahrlich beeindruckendes Gebiet, das sich so ganz anders präsentiert als die restliche stark besuchte und weitgehend erschlossene Seiser Alm; wo sonst Hektik und Gewimmel vorherrscht, kann man hier die ersehnte Ruhe und Abgeschiedenheit genießen. Relativ wenige Menschen finden den Weg auf den Puflatsch und, von einem Lift abgesehen, ist dieser Berg noch unverbaut und unberührt. So hat er einen wahren Almencharakter wahren können, besitzt manch verborgenes mystisches Plätzchen und strahlt besonders in den Abendstunden eine geheimnisvolle Stille aus.

 

Allem voran einen Besuch wert ist der Westrand des Puflatschs, dort wo sich der Fels durch ein besonderes geologisches Phänomen aus fünfeckigen Augmentitzylindern zusammensetzt. Diese mehrere Quadratmeter große ebene Fläche sieht aus, als wäre sie mit gleichmäßig großen Steinen gepflastert worden, und trägt den Namen Hexenboden. An den abschüssigen Abbruchkanten treten stufenförmig Steinquader an die Oberfläche und ergeben ausgezeichnete Sitzbänke, auf denen man die vor sich ausgebreitete Landschaft bestaunen kann. Wie Throne mit Sitzfläche und Armlehne gewähren sie den Verweilenden faszinierende Ausblicke ins Reich der untergehenden Sonne und haben nicht unwesentlich zur Bekanntheit dieser Hochalm beigetragen.

 

Setzt man sich auf den Hexenbänken nieder, erlebt man die Weite der Landschaft in vollem Maße und es entsteht ein Gefühl der besonnenen Erhabenheit. Es ist kein Wunder, dass dieser Ort die Phantasie der Menschen besonders beflügelt hat: Hier mussten übersinnliche Kräfte am Werk gewesen sein und mit ihnen die Hexen. Denn laut Sage war hier ihre bevorzugte Abflugstelle, von der es hoch auf den Schlern und auf den Monte Pez ging.

Doch hier braucht es keine fliegende Besen, um die auffallenden Bergspitzen anzufliegen, dies geht von diesem Kraftplatz aus allein schon mit geistigen Mitteln.   

 

So verzaubert und sagenhaft der Puflatsch auch sein mag – oder vielleicht gar deswegen -  wie ein Spuk lastet auf dem bisher einzig unerschlossenen Naturgebiet der Seiser Alm die Vision einiger Spekulanten, ihn trotz stetig zunehmender Schneearmut für den Skizirkus zu erschließen und auch hier Lifte, Seilbahnstützen, Bergstation, Zugangsstraßen, Parkplätze, Pisten, Geschäfte und Unterkünfte zu bauen. Angesichts dieser Schreckensvision kann nicht oft genug betont werden, was das einzig wahre und unvergängliche Kapital eines Gebietes ist: nämlich die Kraft und die Schönheit einer unberührten Naturlandschaft, die – durch solch gewaltsame Eingriffe – unwiederbringlich schwindet.