Umwelt | Verwaltungsgericht

Wo kein Schaden, da (k)ein Kläger

Dürfen Umweltverbände gegen Erweiterungen von Skigebieten präventiv rechtlich vorgehen? Diese Frage stellt sich nach dem Gerichtsurteil zur Causa Gitschberg mehr denn je.
Gitschberg
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Für Alexander Bauer ist es “ein sehr interessantes Urteil”, das am Verwaltungsgericht Bozen vorige Woche ergangen ist. Alex Telser hingegen sieht “ein großes Fragezeichen” dahinter. Die beiden Rechtsanwälte standen sich in der Sache, zu der sich das Bozner Verwaltungsgericht am 9. Juli geäußert hat, als Vertreter der gegnerischen Parteien gegenüber. Telser als Anwalt der Rekurssteller. Bauer als Anwalt der Gitschberg Jochtal AG. Diese hegt Ausbaupläne für das Skigebiet Gitschberg Jochtal. Im September 2019 hat die Landesregierung die entsprechende Machbarkeitsstudie genehmigt. Zwar mit Auflagen, aber trotz eines eindeutig negativen Gutachtens des Umweltbeirates. Grundlage für das “Ja, aber…” der Landesregierung war ein sozioökonomisches Gutachten, das die wirtschaftlichen Aspekte des Projektes bewertete – und positiv ausfiel. Die Entscheidung der Landesregierung – sie war in Abwesenheit von Landeshauptmann Arno Kompatscher mit einer Stimmenthaltung und sieben Ja gefallen – sorgte für heftige Kritik von Opposition und Umwelt- und Heimatschützern.

Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz legte gemeinsam mit dem AVS und der Sektion Brixen des Alpenvereins beim Verwaltungsgericht einen Rekurs gegen die Genehmigung der Machbarkeitsstudie ein. Die Gemeinde Mühlbach, in der Gitschberg Jochtal liegt, und das Land ließen sich mit auf das Verfahren ein. Am 10. Juni dieses Jahres fiel das Urteil. Einen knappen Monat später liegt die Urteilsbegründung vor – und sorgt erwartungsgemäß für gemischte Reaktionen. Zugleich drängt sich mehr denn je die Frage auf: Dürfen Umweltverbände gegen Erweiterungen von Skigebieten präventiv rechtlich vorgehen?

 

Umwelt nicht unmittelbar betroffen

 

Die Verwaltungsrichter haben den Gitschberg-Rekurs für unzulässig erklärt und die Rekurssteller zur Übernahme der Prozessspesen in der Höhe von 9.000 Euro verurteilt. Dachverband und AVS seien nicht berechtigt, zu klagen, so die Begründung. Die angefochtene Maßnahme – die per Beschluss der Landesregierung genehmigte Machbarkeitsstudie – setze keinen konkreten Eingriff in die Landschaft um, sondern sei lediglich Voraussetzung für die Vorlage des eigentlichen Projektes, heißt es in dem Urteil. “Da also die Genehmigung der Machbarkeitsstudie zwar die Vorlage für einen umweltrelevanten Eingriff bildet, der Eingriff aber noch nicht konkret die Umweltinteressen, für die die Vereine eintreten, nachteilig beeinträchtigt, ist das Streitinteresse, das zusammen mit der Klagelegitimation vorhanden sein muss, damit die Anfechtungsklage zulässig ist, nicht gegeben.”

 

“Das Urteil des Verwaltungsgerichts besagt, dass sich das Projekt in einer so frühen Phase befindet, jener der Machbarkeitsstudie, dass die Natur noch keinen unmittelbaren Schaden nimmt. Daher haben die Verbände keine Befugnis, zu klagen”, erklärt der Anwalt der Gitschberg Jochtal AG Alexander Bauer.

“Dieses Urteil ist für uns absolut unverständlich”, zitiert hingegen die Tageszeitung in ihrer Wochenend-Ausgabe AVS-Präsident Georg Simeoni. Er erinnert an die Causa Marinzen. Gegen die Erweiterung des dortigen Skigebietes hatten die Verbände ebenso Rekurs gegen die von der Landesregierung genehmigte Machbarkeitsstudie eingelegt. Und die Verwaltungsrichter hatten ihn Anfang des Jahres angenommen – mit dem ausdrücklichen Verweis, dass die Klagebefugnis gegeben sei.

 

Dieselbe Causa, ein anderes Urteil

 

“Der Anfechtungsgegenstand bei Marinzen und Kleine Gitsch war derselbe: die Genehmigung eines ergänzenden Eingriffs in Skizonen mittels Machbarkeitsstudie”, bestätigt Alex Telser, der den Dachverband und AVS als Rechtsanwalt in beiden Fällen vertrat. Sowohl in der Gemeinde Kastelruth als auch in Mühlbach waren Genehmigungen für Eingriffe genehmigt worden, die teilweise außerhalb der im Fachplan für Aufstiegsanlagen und Skipisten eingetragenen Zonen liegen. Solche Eingriffe sind in Art. 9/bis des Dekrets des Landeshauptmannes Nr. 3/2012 (“Ordnung der Skigebiete”) geregelt. Gemäß dieses Artikels muss vor Einreichung des endgültigen Projekts eine Machbarkeitsstudie vorgelegt werden. Erst wenn diese von Gemeinderat und Landesregierung genehmigt ist, kann das endgültige Projekt eingereicht, einer großen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterzogen und dann nochmals der Landesregierung vorgelegt werden.

 

Die Phase der Machbarkeitsstudie diene allein dazu, festzustellen, “ob ein Eingriff überhaupt Sinn macht und nicht, ob etwa die angedachte Trasse einer Liftverbindung infrage kommt”, stellt Rechtsanwalt Bauer klar. Dieser Argumentation folgend hat das Verwaltungsgericht im Fall Gitschberg entschieden: Eine Machbarkeitsstudie allein habe “noch keine nachteiligen Auswirkungen auf die Interessen, die die Rekurssteller vertreten”, sprich, die Natur.

 

Präzedenzfälle auf beiden Seiten

 

Allerdings gebe es neben Marinzen noch zwei weitere, “eindeutige” Präzedenzfälle aus der jüngsten Vergangenheit, die belegten, dass diese Art von Rekursen zulässig sei, fügt Telser hinzu: Schnals und Tiers. “Im Urteil zur Kleinen Gitsch wird auf die Präzedenzfälle verwiesen, in denen das Verwaltungsgericht den Rekursstellern die Klageberechtigung zuerkannt hat”, sagt Telser. Aber er vermisse die Begründung, warum im Fall Gitschberg anders geurteilt wurde.

Doch auch für den Fall Gitschberg gibt es ein Präzedenzurteil. Anfang des Jahres hat das Verwaltungsgericht im Falle des ergänzenden Eingriffs im Skigebiet Sulden zur Vervollständigung des Projekts “Ortler Ronda” den Rekursstellern die Klagelegitimation abgesprochen. Ein knappes Dutzend Verbände hatten gegen den Beschluss der Landesregierung rekurriert, mit dem die Machbarkeitsstudie der Seilbahnen Sulden GmbH genehmigt worden war. “Das war das erste Mal, dass diese Art von Rekurs für unzulässig erklärt wurde”, weiß Rechtsanwalt Telser.

Interessantes Detail: Das Urteil im Falle von Marinzen (Rekurs zulässig) trägt das Datum vom 13. Februar 2020. Jenes von Sulden (Rekurs unzulässig) das vom 21. Februar 2020.

 

Zweite Genehmigung im Visier

 

Wie geht es für die Gitschberg Jochtal AG nun weiter? Die Lift- und Skibetreibergesellschaft wird ein konkretes Projekt vorlegen, in dem alle notwendigen Eingriffe und Arbeiten – Liftstützen, Erdbewegungen, Tal- und Bergstation u.a.m. – detailliert angeführt werden. Geplant ist, den Skilift Mitterwiese durch eine Kabinen-Umlaufbahn zu ersetzen und das Skigebiet auf den Berg “Kleine Gitsch” zu erweitern. Außerdem sollen drei neue Anschluss-Pisten entstehen. Samt Beschneiung soll das Projekt an die 12 Millionen Euro kosten. Auf jeden Fall muss eine große UVP-Prüfung durchgeführt werden.
“Falls es anschließend von der Landesregierung genehmigt werden sollte – denn das ist nicht sicher –”, könnten die Arbeiten starten, sagt Alexander Bauer. Bei der Gitschberg Jochtal AG rechnet man damit, die neue Liftanlage zu Beginn der Wintersaison 2021/22 in Betrieb zu nehmen.

 

Selbstverständlich kann auch ein endgültig genehmigtes Projekt vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Dann werde die Klageberechtigung der Umweltverbände auf jeden Fall gegeben sein, bestätigen beide Anwälte – weil die Auswirkungen des Projekts auf Natur und Umwelt klar sein werden. Bauer interpretiert die jüngst erfolgte Entscheidung zur Kleinen Gitsch und die Verurteilung zur Übernahme von 9.000 Euro an Prozessspesen als “Wink des Verwaltungsgerichts, dass die Verbände nicht immer sofort rekurrieren” sollten. Sein Berufskollege Telser führt aus: Dass Dachverband & Co. meist bereits in der Planungs- und nicht erst in der Projektphase rekurrieren, hänge damit zusammen, dass es fraglich sei, “inwieweit eine Grundsatzentscheidung, die mit dem Ja zur Machbarkeitsstudie getroffen wird, dann noch angefochten werden kann”.

Bei AVS und Dachverband ist man nun dabei weitere rechtliche Schritte zu prüfen und ob man gegebenenfalls in Berufung vor den Staatsrat ziehen will. “Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden”, teilt Telser mit.

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Profil für Benutzer Johann Georg Bernhart
Johann Georg B… Di., 14.07.2020 - 14:59

Ich gaube diese unnützigen Verbände haben alle zuviel Geld und zuwenig Verstand. Es kann doch nicht sein, dass Avs und Dachverband für Natur und Umweltschutz alles in Frage stellen was im Land gemacht und gebaut wird.
Gerade der AVS soll sich selbst an die Nase nehmen, wenn man diese Protzbauten im Hochgebierge sieht, welche sie gebaut und betreut haben, Protzbauten die nicht in unsere Täler passen.
Ein Lob an die Richter für das Urteil,die Strafe hätte etwas höher ausfallen können.

Di., 14.07.2020 - 14:59 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Di., 14.07.2020 - 19:02

Antwort auf von Johann Georg B…

1. Es gibt keine Strafe, die höher ausfallen könnte.
2. Lesen Sie mal die Avs-Satzung, Artikel 2.
3. Die "Protzbauten", die nicht in Ihre Landschaft passen(waren Sie schon mal auf dem Schwarzenstein, oder haben Sie nur die Bildchen gesehen?) , sind für all jene, die keine Kabinenbahn brauchen, um auf unsere schönen Berge zu kommen, und die werden immer mehr.

Di., 14.07.2020 - 19:02 Permalink