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Unbequeme Knolle - Teil 1

Heiße Kartoffel! Im Gastbeitrag geht Benjamin Pfitscher der Frage nach: Ist die „Pellkartoffel“ dem Untergang geweiht?
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Foto: Foto: Salto.bz

Die Kartoffel, bei uns in Südtirol auch unter dem Begriff Erdäpfel bekannt, wird nun schon seit einigen Jahrhunderten nahezu überall auf der Welt angebaut und dient den Menschen als Grundnahrungsmittel. Dabei liefert sie nicht nur die dringend notwendige Energie, sondern versorgt uns zudem auch mit wichtigen Spurenelementen und Vitaminen. Diese Vitamine waren besonders in Kriegszeiten und in den Jahren der Industrialisierung sehr wichtig, die wohl kein anderes Grundnahrungsmittel in dieser Form zur Verfügung stellen konnte. Werfen wir doch zunächst einen gemeinsamen Blick auf die Inhaltsstoffe der Kartoffel und schauen uns etwas genauer an, wie sie im Detail aufgebaut ist.

Zunächst kann die Kartoffel, wie auch jedes andere Lebensmittel, in sogenannte Makronährstoffe und Mikronährstoffe unterteilt werden. Die Makronährstoffe werden weiter in Kohlenhydrate, Proteine (Eiweiße) und Fette unterteilt, während unter den Mikronährstoffen grob die Mineralstoffe und Vitamine subsumiert werden können. Daneben gibt es noch einen weiteren wesentlichen Bestandteil, der für unser Leben so essentiell ist wie wohl kein anderer und dieser Bestandteil macht bei der Kartoffel in etwa 78 Prozent der Gesamtmenge aus: Das Wasser. Dem Wasser folgen mit nur ca. 14 bis 16 Prozent die Kohlenhydrate, die in der Kartoffel überwiegend aus Stärke bestehen und uns als wichtigster Energielieferant dienen und die Kartoffel auch für die Papierindustrie so interessant machen. Die Eiweiße machen in etwa zwei Prozent der Kartoffel aus und die Fette sind mit unter einem halben Prozent nur in Spuren vorhanden.

Wesentlich sind jedoch die bereits erwähnten Mikronährstoffe: Die Kartoffel enthält eine Menge an Vitamin C (Ascorbinsäure) – was beispielsweise für die Seefahrer wichtig war, um nicht an Skorbut zu erkranken – und diverse B-Vitamine (Vitamin B1, B2 sowie Niacin [B3], Pantothensäure [B5] und Vitamin B6). Dabei gilt es zu beachten, dass die Menge der Vitamine auch von der Kartoffelart abhängt und maßgeblich von der Zubereitungsweise beeinflusst wird. So sind beispielsweise in Pellkartoffeln, wenn sie mit der Schale – in der sich viele Vitamine und vor allem Ballaststoffe befinden – verzehrt werden, am meisten Vitamine enthalten. Salzkartoffeln haben hingegen die größten Vitamineinbußen zu verzeichnen, ohne die schützende Schale werden die Vitamine leichter an das Wasser abgegeben. Neben den Vitaminen dienen die Kartoffeln auch noch als Mineralstofflieferanten; sie beinhalten Eisen, Kalium, Kalzium, Magnesium und Phosphor. All diese Mineralien, auch Spurenelemente genannt, spielen in unserem Körper eine wesentliche Rolle, sie sind maßgeblich bei wichtigen Stoffwechselvorgängen beteiligt und werden unter anderem auch für die Arbeit der Muskeln oder als Bausteine für Knochen und Zähne benötigt. Im Gesamtbild wird deutlich, dass die Kartoffel an sich eigentlich nur wenige Kalorien hat, im Durchschnitt nur ca. 75 Kalorien auf 100 Gramm Kartoffeln (dieselbe Menge Reis [gekocht] hat im direkten Vergleich ca. 130 Kalorien). Weshalb genau sie in vergangenen Tagen als Dickmacher verpönt war, ist etwas unverständlich. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass uns die Kartoffel als natürliches und unverarbeitetes Lebensmittel hauptsächlich mit gesunden Kohlenhydraten, diversen Vitaminen und Mineralien versorgt und sich damit für Sportler, Kinder – die sich im Wachstum befinden – oder im Alter besonders anbietet. Anzumerken gilt, dass sich dies je nach Zubereitungsweise ändern kann, Gerichte wie Pellkartoffeln, Salzkartoffeln, Kartoffelsuppen, Ofenkartoffeln oder auch Kartoffelaufläufe, sofern mit wenig und gesunden Fetten zubereitet, sind ausgezeichnete Gerichte und Beilagen. Werden Kartoffeln jedoch hoch erhitzt oder mit sehr viel Fett kombiniert, wie etwa bei Pommes, Kroketten oder Kartoffelchips, ist das Gegenteil der Fall. Nachdem nun klar ist, wie die Kartoffel naturwissenschaftlich aufgespalten werden kann, werfen wir doch einen genaueren Blick in die Küche und die bereits angesprochenen verschiedenen Zubereitungsmöglichkeiten der Erdäpfel.

Die Kartoffel zählt schon seit Jahrhunderten und noch immer zu den Grundnahrungsmitteln. Während der Konsum der vielseitigen Knolle vor allem in den Industrieländern rückläufig zu sein scheint, finden Fast Food- und Convenience Produkte aus Kartoffeln immer mehr Anklang bei den Konsumenten.

So wie die Sortenvielfalt der Kartoffel, weltweit soll es angeblich über 5000 verschiedene Sorten geben, so vielfältig sind auch die Zubereitungsmöglichkeiten der goldenen Knolle. Inzwischen gibt es etliche Kochbücher, welche sich ausschließlich mit der Kartoffel und den verschiedenen Gerichten, die sich aus ihr zaubern lassen, beschäftigen. Titel wie 1 Kartoffel – 50 Rezepte, Die wertvolle Kartoffel. Rund und gesund oder 33x Kartoffeln laden dazu ein, sich intensiver mit der wundervollen Knolle auseinanderzusetzen und sich auf sie einzulassen. Die Kartoffel überzeugt also nicht nur mit ihren Inhaltsstoffen sondern auch mit ihrer ausgesprochenen Vielseitigkeit: Man kann sie braten, backen, kochen oder gratinieren. Sie kann zu Eintöpfen, Soufflés, Suppen, Schmarren oder Pasteten und vielem mehr weiterverarbeitet werden. Allein aus Kartoffelteig kann man diverse kulinarische Köstlichkeiten zaubern: Knödel in diversen Varianten, ob süß oder herzhaft, Kroketten und nicht zu vergessen, die allseits beliebten und bekannten Gnocchi. Bei all diesen wunderbar klingenden Möglichkeiten, die uns die Erdäpfel bieten, gibt es jedoch auch eine Schattenseite. Die zunächst recht robust erscheinende Knolle, ist sensibler als man annehmen möchte, es beginnt schon bei der Lagerung und ihrer Kälteempfindlichkeit. Wenn die Kartoffel einmal geschält oder angeschnitten ist, erfordert es eine schnelle Weiterverarbeitung. Bleibt ein Kartoffelteig beispielsweise zu lange stehen, wird die Masse grau und wässrig und damit schnell ungenießbar. Ein weiterer Aspekt, der die Kartoffel anscheinend zunehmend unattraktiv macht, ist ihr arbeitsintensiver Charakter. Es beginnt schon bei der Säuberung, beim Schälen und schließlich bei der Weiterverarbeitung selbst, es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch aus der tollen Knolle ein fertiges Gericht oder auch nur eine köstliche Beilage zu fabrizieren. Schlussendlich ist dafür sowohl etwas an Geschick, eine Grundkenntnis in der Küche als auch Interesse und Wissen von Nöten. Gerade diese Eigenschaften, die unweigerlich mit der Kartoffel verbunden scheinen, führen dazu, dass sich der Konsum der Kartoffel vor allem in den Industrieländern zunehmend reduziert. Wirft man einen Blick auf Zahlen und Fakten wird deutlich, dass der Konsum der Speisekartoffel sinkt. Zurückzuführen ist diese generelle Tendenz des sinkenden Konsums von Speisekartoffeln unteranderem auf die Beschleunigung unseres Lebens und unseres Alltags. In unserer modernen Welt kommt es zu diversen Beschleunigungsmechanismen, zu einer „Gegenwartsschrumpfung“ wenn man so will. Es soll immer mehr Handeln in weniger Zeit stattfinden, Zeit ist ein Rohstoff, Zeit ist Geld. Wer hat da noch Zeit sich mit einem „zeitfeindlichen“ Produkt wie der Kartoffel zu beschäftigen? Ein weiterer, aus dieser schnelllebigen Welt resultierender Trend, der sich beobachten lässt, ist das sinkende Interesse am Kochen und der Zubereitung von Nahrungsmitteln. Das wiederum hat zur Folge, dass das Wissen und die Praktiken aus der Küche, die für unsere Großmütter noch selbstverständlich waren, sehr schnell in Vergessenheit geraten.

In Deutschland beispielsweise sinkt der Prokopfkonsum von Kartoffeln ständig weiter, vor nicht einmal hundert Jahren lag er noch bei satten 120 Kilogramm pro Jahr, zur Jahrtausendwende waren es schon nur mehr 70 und 2016 ist der Prokopfverbrauch auf 57 Kilogramm abgesunken. Auch in Österreich sind ähnliche Tendenzen zu beobachten: 1955 wurden pro Kopf noch ca. 100 Kilogramm Kartoffeln konsumiert, während sich diese Zahl im Laufe der Jahre stets dezimierte, bis sie heute schließlich bei etwa 49 Kilogramm angelangt ist. Auch in Italien verhält es sich ähnlich, hier wurden im Jahr 2016 nur ca. 40 Kilogramm Kartoffeln pro Kopf verzehrt. Dabei gilt es noch anzumerken, dass es sich hierbei nicht nur um den Konsum von Speisekartoffeln handelt, sondern auch um sogenannte Wirtschafts- oder Veredelungskartoffeln, damit sind also auch Kartoffelerzeugnisse und bereits verarbeitete Kartoffelprodukte in die genannten Zahlen einberechnet. Gerade hier lässt sich jedoch ein wesentliches und sehr interessantes Phänomen beobachten, dass sich nämlich der Konsum von bereits raffinierten, also verarbeiteten Kartoffelprodukten steigert, während gleichzeitig der Gesamtkonsum der Kartoffeln sinkt. Es gibt also einen stark sinkenden Konsum der unverarbeiteten Speisekartoffel – in Deutschland sind es pro Kopf nur mehr circa 20 Kilogramm – und einen gleichzeitig ansteigenden Verzehr an verarbeiteten Kartoffelprodukten – circa 35 Kilogramm. Schon vor einigen Jahrzehnten hat sowohl die Fastfood Industrie als auch die Industrie der sogenannten „Convenience-Produkte“ (Anmerkung: Bei „Convenience-Produkten“ auch „Convenience-Food“ oder „Convenience-Lebensmittel“ handelt es sich um einen, aus dem Englischen entlehnten Begriff, der etwa mit „bequemes essen“ übersetzt werden kann.) die Kartoffel für sich entdeckt. Bei Convenience-Produkten handelt es sich um industriell vorgefertigte Lebensmittel, bei denen der Hersteller Verarbeitungsschritte übernimmt und somit dem Kunden (sowohl Privathaushalten als auch der Gastronomie) einen Großteil der Arbeit abnimmt. Ziel ist es hierbei, den Menschen den Konsum der Kartoffel und das Essen an sich schneller, einfacher und bequemer zu gestalten. Weitere Aspekte, die besonders überzeugend scheinen, sind sowohl die sogenannte „Geling-Garantie“ als auch die Garantie eines immer gleich schmeckenden Produktes. Convenience-Produkte sind in der Regel so gestaltet, dass jeder sie zubereiten kann, ohne über irgendwelche Kenntnisse verfügen zu müssen. In Fabriken ist es möglich Kartoffeln in sehr großen Mengen innerhalb kürzester Zeit zu verarbeiten. Dabei ist es beispielsweise möglich, mit Hilfe von mechanischen und chemischen Vorgehensweisen innerhalb einer Minute bis zu 600 Kilogramm Kartoffeln zu schälen. Direkt im Anschluss kann die Kartoffel weiterverarbeitet werden und das mit einer enormen Geschwindigkeit. In nur einer einzigen Fabrik werden beispielsweise bis zu 350 Tonnen Kartoffeln zu Pommes frites verarbeitet, pro Tag. Die Kartoffeln werden von der Industrie schon zu einem sehr großen Teil bearbeitet. Bei den Pommes frites zum Beispiel werden die Erdäpfel geschält, gewaschen, geschnitten und daraufhin kurz in Öl frittiert. Anschließend sofort schockgefroren und portioniert verpackt.

So gelangt die Kartoffel heute innerhalb von nur drei Stunden vom Feld in die Fabrik und wird in diesem kurzen Zeitraum auch noch zum fertigen Pommes frites. Beim Endverbraucher müssen die Pommes frites nur noch aufgetaut und in der Fritteuse ein zweites Mal fertig frittiert werden. Die diversen Erzeugnisse werden von der Industrie auf verschiedenste Weisen haltbar und transportfähig gemacht. Entweder in gefrorener, vakuumierter oder getrockneter Form, aber auch in Gläsern oder Dosen können Kartoffelprodukte eingelagert werden. Je nachdem um welches Produkt es sich dabei handelt, muss es in der Küche nur noch im Backofen, in der Fritteuse, in der Pfanne oder in Wasser fertig gegart werden. Die meisten dieser Produkte sind auch schon gewürzt und somit ist auch ein immer gleicher Geschmack garantiert. Für solche Produkte und Gerichte bietet sich die Kartoffel äußerst gut an, da sie – wie bereits erwähnt – in der Verarbeitung und Zubereitung besonders viel Zeit in Anspruch nimmt.