Kultur | Turris Babel 122

von Haltung und Gestaltung

über das Entwerfen im Architekturstudium.

Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Architektur studieren
Foto: Bianca Susanna Leitner

Text: Bianca Susanna Leitner

Im Rahmen der 122. Ausgabe von Turris Babel „Ausblicke. Achtzehn Abschlussarbeiten“.

 

Der Zeichensaal meiner Universität gleicht einem großen Atelier: Ich finde mich inmitten von Architekturstudierenden und anderen Kreativen aller Semester wieder. Die Atmosphäre wird von regem Austausch und bester Laune bestimmt, gleichermaßen aber auch von Konzentration und ein klein wenig Anspannung. Bereits mit kurzen Blicken fallen mir die unterschiedlichsten Schaffensweisen und kreativen Prozesse auf. Es ist eine beeindruckende Mischung an Arbeitsmodellen, Planstapeln, Skizzenbüchern und Laptops, leisen Gesprächen, aufgeregten Diskussionen und grübelnden Gesichtern. 

zielt das Studium doch stark darauf ab, nicht nur Architekt*innen, sondern vielmehr architektonische Persönlichkeiten auszubilden

Dass das Architekturstudium viel mehr als Entwerfen ist, wird hier im Zeichensaal ganz besonders spürbar. Er ist der bunte Treffpunkt für verschiedenste Persönlichkeiten und Kulturen, an dem kreative Prozesse, Erfahrungen und Eindrücke, die ausgetauscht, miteinander vermischt und zum Teil weitergetragen werden. Inspirieren und inspiriert werden, könnte man sagen. Der kreative Prozess ist bezeichnend für die ganze Studienrichtung, anschließend geht es darum, ihn mit der persönlichen Haltung und Arbeitsweise in Verbindung zu bringen — zielt das Studium doch stark darauf ab, nicht nur Architekt*innen, sondern vielmehr architektonische Persönlichkeiten auszubilden, oder zumindest die Impulse zu geben, die anschließend in selbstständiger Arbeit heranreifen können. Des Entwerfens Resultat ist nicht nur ein Projekt, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung seine*r Selbst; es verkörpert gewissermaßen die stetige Suche nach der persönlichen Haltung, dem richtigen Maß Selbstkritik und nach dem besten Weg, auf dem man später auch allein zu einem feinen Entwurf oder Projekt kommen kann. 

 

„Wie schaffst du?“, frage ich also Kommiliton*innen, um für diesen Artikel einen kleinen Einblick in unterschiedliche Haltungen, Gedanken und Herausforderungen des Entwurfsprozesses zu skizzieren. „Wie entwirfst du?“, frage ich genauer. Mich interessiert, was den Entwurfsprozess denn einleitet. Und die unterschiedlichsten Weisen, auf die man Konzepte zum Ausdruck bringen kann. Welches Medium eignet sich dafür am besten? Warum genau dieses, und warum vermittelt es die persönliche Haltung? Vielleicht hängt das Medium ja von der Aufgabenstellung ab, oder es wechselt im Prozess? — Die allesamt feinen, reflektierten Antworten darf ich nun teilen. 

es sind meist ganz unterschiedliche Aspekte, die sich zu einer Art persönlichem Referenzkatalog vereinen, auf den man mit Beginn der Entwurfsaufgabe zurückgreifen kann.

Dass der Prozess bereits beginnt, bevor der erste Strich gezogen wird, kristallisierte sich als kollektive Haltung heraus. Alltagseindrücke, Raumstimmungen, Architekturbesichtigungen, Fotografien von Details, gekritzelte Stichworte — es sind meist ganz unterschiedliche Aspekte, die sich zu einer Art persönlichem Referenzkatalog vereinen, auf den man mit Beginn der Entwurfsaufgabe zurückgreifen kann. Es sind oft genau diese (Raum-)Erfahrungen, die später in den Entwurf einfließen sollen oder sich mithilfe einer starken Referenz zu einer Art emotionalem Leitmotiv werden. Am Anfang der tatsächlichen Entwurfsaufgabe stünde dann immer der Ort, so fiel eine Antwort aus. Durch eine Begehung wird der Ort begreifbar; spannend war, dass es dabei zwei konträre Ansätze gab: eine Begehung wird von den einen analog bevorzugt, von den anderen digital – später entstehen entsprechend analoge und digitale Modelle. Hinter allen Präferenzen steht jedoch das Ziel, den Ort, seine Strukturen und Kontexte zu verstehen. Impulse für das Konzept finden sich für jede*n an einer anderen Stelle: Ein Motiv, ein Archivbild der Örtlichkeit, eine Baukörperform, die sich dem Grundstück anschmiegen könnte, … Den Anfang macht für die einen ein Volumen, für die anderen ein einzelner Raum; für manche ist kein Prozess wie der nächste, sie wechseln ihre Herangehensweisen. Ich bekomme auch andere Antworten: Konzeptbestimmend seien manchmal bereits ein ortstypisches Material oder eine besondere Lichtstimmung.

Da zeigen sie sich, die unterschiedlichsten Schaffensweisen. Im gemeinsam genutzten Zeichensaal sind sie versammelt.

„Je länger es dauert, eine Idee zu visualisieren, desto schlechter ist das Medium gewählt worden“, so eine Aussage, die die unterschiedlichen Haltungen zum Thema Idee gut zusammenfasst. Denn die Idee lässt sich mal durch eine einfache Skizze verkörpern, mal durch ein Arbeitsmodell. Viele schnelle, analoge Arbeitsmodelle stehen dem digitalen Modell gegenüber, das allerdings stetig verfeinert und angepasst werden will — alle wieder mit dem gemeinsamen Ziel, eine Idee und den Entwurf zunächst sich selbst gut bildlich machen zu können, bevor sie anderen vermittelt werden kann.

Darüber, dass analoge Modelle gerade am Anfang schneller sind als das digitale, dreidimensionale Objekt, weil sie weniger Genauigkeit verlangen, sind sich fast alle Befragten einig. Lichtstimmungen, Proportionen, Volumen, Raum und Zwischenraum lassen sich zunächst im analogen, mit fortgeschrittenem Entwurf dann schon eher im digitalen Modell abbilden. Das Medium ändert sich unter Umständen mitten im Entwurfsprozess, teilweise aber auch über die Studienjahre. Wenn das Skizzieren anfangs schwerfällt, erscheint das Arbeitsmodell vielleicht zielführender, oder andersherum. Da zeigen sie sich, die unterschiedlichsten Schaffensweisen. Im gemeinsam genutzten Zeichensaal sind sie versammelt.

 

Mit der Zeit werden die eigenen Fertigkeiten geschult, vielleicht auch für Neues. Wir lernen miteinander, aber vor allem voneinander. Und doch behält oder entwickelt jede*r einen individuellen Prozess. „Das Medium wähle ich über die Aussage, die ich treffen möchte“ — den gewünschten Ausdruck schaffen mal ein Paar aus Grundriss und Schnitt, mal ein Modell, oder vielleicht eine Zeichnung, eine Perspektive, vielleicht auch eine Fotografie – in Kombination mit Sprache und Gestik können hier sehr einfach sehr präzise Aussagen vermittelt werden.

Apropos, auch da wären wir wieder — bei den Diskussionen und Gesprächen aus dem Zeichensaal, die für den Prozess mindestens so prägend sind, wie das Einbinden eigener Eindrücke. Für manche Erkenntnisse, Ideen und Impulse braucht es neben der selbstkritischen Haltung vielmehr vier Augen und gemeinsam gesprochenes Wort. Am Anfang wie am Ende eines Prozesses steht der zwischenmenschliche Austausch, das Vermischen von Erfahrungen und die Zusammenarbeit. Kunterbunt, könnte man sagen.

Und: Wir lernen, unsere Haltung umzusetzen – in Gestaltung. 

 

 

Veranstaltungshinweis:

 

03.09.2021 im Rahmen der Jubiläumsausstellung “KUNST IST.

von  Kunst Meran Merano Arte

Gespräch mit den AutorInnen von Diplomarbeitsprojekten mit Bezug zu Südtirol: Vanessa Hanni, Eva Mair, Rita Slodička, Simone S. Melis, Emilian Hinteregger

Moderation: Alberto Winterle, Magdalene Schmidt, Andreas Kofler

 

"Seit 25 Jahren widmet sich Kunst Meran der Architektur im alpinen Raum mit dem Ziel, Baukultur in die Gesellschaft zu tragen und als Ort der Vermittlung und Diskussion zu dienen. Das Haus soll auch in Zukunft der Architektur einen Rahmen für Ausstellungen, unterschiedliche Arbeitsformate und Gesprächsrunden bieten. Doch was sind “die Themen der Zukunft”?

Über ihre Perspektiven, Erwartungen und Positionen sprechen und diskutieren fünf ArchitektInnen der jüngeren Generation bei der Vorstellung ihrer Abschlussarbeiten, die auch Teil der Jubiläumsausstellung “KUNST IST.” sind. Die Projekte sind ein wichtiger Beitrag junger Architekturschaffender, um über unsere territoriale, landschaftliche und architektonische Realität zu reflektieren."