Gesellschaft | Sexismus

Bittere Lehren

Südtiroler Aufschrei nach dem nächtlichen Übergriff eines Taxifahrers auf eine in Bozen ansässige Kenianerin. Was tun, wenn sich Rassismus mit Frauenhass paart?
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Foto: flickr

Der Bozner Stadtrat wartet noch die Zusammenkunft einer Fachkommission am Mittwoch dieser Woche ab, um über die Konsequenzen des nächtlichen Übergriffs eines Taxifahrers auf eine aus Kenia stammende Biologin zu entscheiden. Für Südtiroler Frauenorganisationen ist dagegen jetzt schon klar: Ein so gravierender Vorfall darf nicht ohne Folgen bleiben. „In dem Fall muss dem Fahrer die Lizenz entzogen werden“, fordert beispielsweise die Präsidentin des Landesbeirates für Chancengleichheit Ulrike Oberhammer. „Denn es kann einfach nicht sein, dass Frauen nachts nicht einmal mehr die Sicherheit haben, im Taxi unbeschadet nach Hause zu kommen.“

Anlass dies in Frage zu stellen, gibt die Taxifahrt einer seit 12 Jahren in Bozen lebenden Kenianerin, die am Wochenende von der Tageszeitung Alto Adige aufgegriffen wurde. Die 33-jährige Biologin, die mit einem Bozner verheiratet und Mutter einer 12-jährigen Tochter ist, hatte Anfang Dezember nach einem Essen mit Freunden im Pfarrhofweg spät nachts ein Taxi gerufen, um in ihre Wohnung in der Palermostraße zu kommen. Als der Taxifahrer offenbar bewusst einen Umweg macht, um das Ziel zu erreichen, bittet sie ihn, die kürzeste Route zu nehmen. Und das scheint Grund genug für den Mann gewesen zu sein, um auszurasten. Laut Medienberichten begann er die Frau zu beschimpfen und zu bedrohen, um das Auto schließlich mitten auf der Palermobrücke anzuhalten und sie aus dem Wagen zu zerren und zu schlagen. Teile der Szene sind auf einem Mitschnitt festgehalten, den die Frau auf ihrem Handy aufgenommen hat. Das warf der Taxifahrer im Zuge des Übergriffs über die Palermobrücke; es wurde erst einige Tage später vom Ehemann der Kenianerin dank einer Ortungsapplikation wieder gefunden.

„Anhand der vorliegenden Unterlagen plädiere ich persönlich dafür, dass der mutmaßliche Täter die Konsequenzen für sein Handeln tragen soll", sprach sich Bozens Bürgermeister Renzo Caramaschi bereits vor dem Zusammentreffen der Kommission für Taxilizenzen für einen Entzug der Berufsbefähigung aus. Von Kommissionsvorsitzender und Mobilitätsstadträtin Maria Laura Lorenzini ist kaum ein anderer Kurs zu erwarten. Auch Gemeinderat Tobe Planer, seit kurzem ebenfalls Mitglied der Bozner Taxikommission, machte am Montag auf Facebook keinen Hehl aus seiner Meinung zu dem Übergriff:

„Dieses erschreckend frauenfeindliche, aggressive und rassistische Verhalten eines Anbieters einer öffentlichen Dienstleistung gehört sofort geahndet und eine Suspendierung bzw. ein Lizenzentzug muss die Folge sein!

Spiegelbild für soziales Klima? 

Doch auch außerhalb der Bozner Gemeindeverwaltung hat der Vorfall für Betroffenheit gesorgt. „Inakzeptabel“, „erschreckend“, „ein Paradebeispiel für den anhaltenden Sexismus in unserer Gesellschaft“ lautet die einhellige Meinung von Vertreterinnen diverser Frauenorganisationen. In der Pressestelle der Bozner Quästur will man dabei der Hautfarbe des Opfers nicht zu viel Bedeutung zuschreiben. „Wir beobachten, dass das so genannte schwache Geschlecht generell häufiger Opfer von Gewalt und Übergriffen wird“, erklärte Sprecherin Maria Chiara Bacca. „Das betrifft keineswegs nur Frauen anderer Hautfarbe, sondern genauso Touristinnen wie Einheimische.“

„Wenn du eine Frau bist, sinkt die Gewaltschwelle. Wenn du eine schwarze Frau bist, sinkt sie noch ein gutes Stück mehr, das ist sicher“, meint dagegen Marina Bruccoleri von der Vereinigung „La Strada- Der Weg“. Derselben Überzeugung ist Marina Della Rocca von der Vereinigung GEA. „Wir sprechen so viel von Sicherheit und wir diskutieren über  Gewalt gegen Frauen in anderen Kulturen“, sagt sie. „Doch ich glaube, wir sollten uns in der öffentlichen Diskussion noch viel stärker dem Rassismus unserer lokalen Kultur widmen, der in diesem Fall mit der anhaltenden Diskriminierung von Frauen zusammentrifft.“

Schließlich zeigt der Übergriff auf die Kenianerin einmal mehr, wie männliche Gewalt und Aggression allein dadurch ausgelöst werden kann, dass eine Frau einem Mann widerspricht. Ob der Taxifahrer eine einheimische Frau genauso behandelt hätte, mag im Bereich der Spekulation liegen. Bei der Vereinigung GEA hat man in der langjährigen Arbeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt jedoch viele Anhaltspunkte, davon auszugehen. „Wir sehen nicht nur, dass Migrantinnen, die aus Gewaltsituationen aussteigen, aufgrund des sozialen Klimas eine Hürde mehr auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt zu überwinden haben“, sagt Marina Della Rocca. „Auch in gewalttätigen Beziehungen zwischen Migrantinnen und einheimischen Männern spielt Rassismus oft eine Rolle – als eines der Mittel des Mannes, um seine Macht gegenüber der Frau auszuspielen.“

Gewaltakte melden und dokumentieren

Unabhängig von der Hautfarbe von Opfer oder Täter ist es laut der Präsidentin des Beirates für Chancengleichheit extrem wichtig, Gewaltakte zu melden und wie in dem Fall möglichst gut zu dokumentieren. Hätte die Kenianerin nicht die Geistesgegenwart besessen, den Übergriff aufzunehmen, wäre ihren Aussagen voraussichtlich weit weniger Glaubwürdigkeit geschenkt worden, meint Ulrike Oberhammer. Sie erinnert in dem Zusammenhang auch an die speziell für Mädchen und junge Frauen entwickelte Gitschn-App des Beirates, mit der im Fall von Übergriffen nicht zuletzt durch eine direkte Wahltaste zu Carabinieri oder Polizei sofort Alarm geschlagen werden kann und die Ordnungskräfte auch schon vor ihrem Eintreffen via Handy zu Zeugen der Situation gemacht werden können.

Die Kenianerin, die seit 12 Jahren in der Landeshauptstadt lebt, hat von ihrer nächtlichen Horror-Taxifahrt neben den psychologischen Folgen mehrere Prellungen und einen leichten Nasenbruch davongetragen. Der Taxifahrer muss sich nun mit einer polizeilichen Anzeige wegen Raubüberfalls auch mit gerichtlichen Folgen seines Verhaltens auseinandersetzen. Gesellschaftlich sollte der Vorfall laut Marina Bruccoleri dagegen zum Nachdenken darüber anregen, wie viel Hass und Aggressivität es auch hierzulande immer noch gegenüber Frauen gibt. „Und das gilt umso mehr, wenn eine Frau eine andere Hautfarbe hat.“

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Martin B. Di., 13.12.2016 - 22:24

Vorwort: das unakzeptable Verhalten gehört geahndet und ist untolerierbar. Zum Phänomen solches Verhalten gesellschaftlich zu generalisieren bzw. als weitverbreitet dahinzustellen halte ich genausowenig, wie alle Ausländer über einen Kamm zu scheren. Dieses Generalisieren bzw. Genderisieren (z.B. das allpräsente schlimme Patriarchat in der westlichen Welt) vernebelt die Sicht bzw. verhärtet die Fronten: diskutierende politisch-gesellschaftlich Interessierte bleiben theoretisch und die Ursachen die Problempersonen zu diesen Verhaltensweisen bringen, bleiben verborgen. Wer konkret diskutieren will brauch Fakten auch in diesem Fall: wo ist dieser Mann aufgewachsen (Eltern, Schule, usw.) und wieso hat er diese Einstellung mit nahezu unempathischem Zorn verinnerlicht.

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Martin B. Fr., 16.12.2016 - 19:04

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Nun, erste Fakten relativieren die einseitige Schuld des Taxifahrers, der scheinbar von der betrunkenen Kundin auch tätlich angegriffen wurde und sowohl die Diskussion um den Fahrtumweg, der "Geld-Raub" als auch die Handybeschädigung erscheinen im neuen Licht. Es bleibt also riskant sich bei Presseberichten allein auf die Aussage einer Partei/Person zu stützen. http://www.tageszeitung.it/2016/12/16/die-version-des-taxlers/

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Michi Hitthaler Sa., 17.12.2016 - 09:03

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Nun, hat Sie ihn angegriffen oder sich nur verteidigt? Laut Tonmittschnitt ist er der Täter. Anzi der Wiederholungstäter (laut Rai ST von heute)
Wieso wird immer behauptet die Kundin sei betrunken gewesen? (laut Tonmittschnitt lallte sie NICHT!) Und selbst wenn, deshalb nimmt man ja ein Taxi, um nicht betrunken mit dem Auto fahren zu müssen! Taxifahrer sind Profis und müssen mit Betrunkenen umgehen können sonst sollen sich einen anderen Job suchen. Aber die kurzer-Rock-selber-schuld Mentalität ist bei uns leider noch lange nicht ausgerottet!

Sa., 17.12.2016 - 09:03 Permalink
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Martin B. Sa., 17.12.2016 - 11:42

Antwort auf von Michi Hitthaler

"Aus dem Polizeibericht geht jedenfalls hervor, dass die Frau, die gegen 1.30 Uhr nachts am Pfarrhof zustieg, „betrunken“ war." Dem Polizeibericht glaube ich mehr als den Aussagen der beiden Betroffenen, ist oft ähnlich wie bei Verkehrsunfällen, wo bei Uneinigekeit bzw. bis zum Veröffentlichen des Polizeiprotokolls zuerst 50% Teilschuld von den Versicherungen angenommen wird. ................
Anderswo wurde korrekt angemerkt, das per GPS-Protokoll der Verlauf der Fahrt rekonstruierbar sein müsste. ................
Inwieweit der Audiomitschnitt als Beweis für den Erstangriff dient weiss ich nicht; hab ihn nicht angehört. ................ Die anderen Punkte werden ohne Zeugenaussagen wohl nicht rekonstruiert werden können. ................ Ich bin der Meinung die Justiz und nicht die Öffentlichkeit per mediale Häppchen sollte in diesem Fall urteilen.

Sa., 17.12.2016 - 11:42 Permalink
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gorgias Mi., 14.12.2016 - 10:40

Das Verhalten des Taxifahrers ist genauso inakzeptabel wie erstaunlich, doch mit dieser Aussage "ein Paradebeispiel für den anhaltenden Sexismus in unserer Gesellschaft“ hat die Feministinnenfraktion wieder einmal eine volle Breitseite abgelassen. Dieser Fall ist kein Paradebeispiel, sondern außergewöhnlich.
Dass die Frau so geistesgegenwärtig reagiert hat, kann auch mit ihrer Sozialisierung in Kenia zu tun haben, wo Frauen eher Selbstbewusstsein und Wehrhaftigkeit lernen, als bei unseren westlichen Feministinnen, die aus der bürgerlichen Gesellschaft stammen und in ihrer ziemenden Art die Frau als Opfer stilisierten, das vom ominösen Patriarchat unterdrückt wird.
Auf diesen Zusammenhang, wurde ich durch die dissidente Feministin Camille Paglia aufmerksam, die die Frauen aus ihrer Großelterngeneration in Süditalien mit denen im heutigen Amerika verglich.

Ulrike Oberhammer sollte stattdessen ihre Position zur Abtreibung mit ihrer katholischen Moral überdenken, die sie gerne zwischen die Zeilen durchblicken lässt, anstatt Frauen "helfen" zu wollen.

Mi., 14.12.2016 - 10:40 Permalink
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Martin B. Sa., 17.12.2016 - 12:13

Antwort auf von Michi Hitthaler

Oh je, ein Südtiroler Social Justice Warrior. Ihre verbal ausgedrückte moralische Überlegenheit und Indignation gegenüber anderen Meinungen ausgedrückt in einem persönlichen Angriff von Giorgias löst meiner Meinung nach das aus was in Amerika (bzw. auch schon anderswo) passiert und auch Trump geholfen hat: eine totale Überdrüssigkeit und auch harsche Opposition gegenüber den Auswüchsen von "Third-Wave-Feminism" sowie eingeforderter "political correctness" bzw. die scheinbar unumstossbare Einnahme der einzigen "richtigen" Position (= moralische Überlegenheit), welche konstruktive Diskussionen zum Thema verhindert. In anderen Worten SJW-Aktivitäten erreichen das Gegenteil vom Angestrebten. An Interessierte: mal nach folgenden Schlagworten und Videos suchen: Rudy "Hugh Mungus" Pantoja, Zarna Joshi, Secular Talk with Sargon of Akkad, usw. .................... Zusammenfassend: auch in diesem Fall scheint es mir kontraproduktiv ohne Fakten andere Personen, Kommissionen, Polizei, usw. moralisch zu verurteilen bzw. anzugreifen. Bös gesagt: postfaktisches Verhalten.

Sa., 17.12.2016 - 12:13 Permalink
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gorgias So., 18.12.2016 - 11:14

Antwort auf von Michi Hitthaler

@Martin B.
Das habe ich mir auch gedacht. Die SJW schwappen nun von den Staaten zu uns her. "Check your privileges", heißt es dann immer. Persönlicher Angriff anstatt sachliche Diskussion.

@Michael Hitthaler
Michael Hitthaler warst du schon mal eine Frau? Ja? Nein? Meinst du man hat dich für eine Frau gehalten, als du dich als aufgedunsener Marylin Manson für Arme verkleidet hast? Aber bevor du davon redest als Frau oder in Vertretung von Frauen welche Privilegien ich als Mann haben soll, solltest du man die Privilegien der Frauen checken:

1. Für das Recht auf körperliche Unversehrtheit Minderjährige wird bei Buben eine Ausnahme gemacht und die Beschneidung toleriert bzw. ausdrücklich erlaubt (Deutschland)
2. Die Wehrpflicht ist falls vorhanden in fast allen Staaten der Welt nur auf Männer beschränkt.
3. Es gibt Staaten in denen man als Frau nicht für Vergewaltigung angezeigt werden kann (z.B. Schweiz, Indien, Israel)
4. Frauen können in vielen Staaten früher in Pension gehen obwohl sie dazu auch noch eine längere Lebenserwartung haben
5. Frauen werden bevorzugt in Bereichen eingestellt die sie weniger interessieren um eine "Quote" zu erfüllen
6. Frauen werden weniger streng für Gewaltverbrechen verurteilt.
7. Frauen werden als Gewaltopfer ernster genommen
8. Frauen erhalten in den meisten Fällen die Kinder zugesprochen. Der Mann muss die gemeinsame Wohnung verlassen und den Unterhalt zahlen.
9. Männer und ihre Sexualität werden dämonisiert
10. Es gibt verschiedene Form spezieller Frauenförderung und dafür spezielle Ämter und Organisationen. Für Männer gilt das höchstens im Ansatz.

So., 18.12.2016 - 11:14 Permalink