Gesellschaft | Sanität

„Wir brauchen mehr Zusammenarbeit“

Lange Wartezeiten, überlastete Ärzte: Was tun angesichts der chronischen Probleme der Südtiroler Sanität? Anpo-Chef Guido Mazzoleni* hat zumindest einige Antworten.
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Foto: Foto: Privat

salto.bz: Herr Mazzoleni, warum haben Sie und Südtirols Ärzteschaft am gestrigen Dienstag nicht mit ihren Kollegen in ganz Italien gestreikt? 
Guido Mazzoleni:
Wir sind gerade dabei, unseren neuen Kollektivvertrag abzuschließen und ein Streik in dieser Situation wäre nicht gut für das Verhandlungsklima gewesen. Wir sind diesbezüglich schon einige Schritte weiter als das restliche Italien.

Grund zu streiken gäbe wohl  dennoch – wenn man beispielsweise den Aufstand des Personals in der Meraner Notaufnahme vergangene  Woche hernimmt. Oder auch den Hilferuf, den die Leiterin des Bozner Zentrums für Psychotherapie und Psychosomatik Christine Staffler am Dienstag auf RAI Südtirol machte: Wir müssen doppelt so viele PatientInnen wie vor acht Jahren behandeln, aber haben das gleiche Personal wie damals, sagt sie. Der Personalnotstand sei in verschiedenen Diensten sei nicht mehr tragbar. Sehen Sie das auch so?
Ich habe keinen konkreten Einblick in diesen spezifischen Fall, aber ich habe den notwendigen Überblick,  um zu sagen, dass die generelle Situation dramatisch ist.

So dramatisch, dass manche ÄrztInnen gratis arbeiten, um Menschen in dringenden Fällen dennoch zu behandeln wie es Christine Staffler für das Zentrum für Psychotherapie und Psychosomatik beschrieb?
Ob Leute wirklich umsonst arbeiten, weiß ich nicht. Aber es ist sicherlich wahr, dass viele von uns mehr arbeiten als sie sollten und müssten und dafür nicht gezahlt werden. Wir machen das nicht, weil wir gute Samariter sind.  Das ist mehr ein persönlicher Ehrgeiz, den bis auf die üblichen schwarzen Schafe, die es in jedem Beruf gibt, wohl die meisten ÄrztInnen und PflegerInnen haben. Wir wollen unsere Arbeit gut machen und sie zu Ende bringen.

Und dafür braucht es angesichts des akuten Ärztemangels und Wartezeiten für Visiten, die in Bozen im Schnitt bei mehr als 80 Tagen liegen, eben mehr Einsatz als es der Vertrag vorsehen würde. Trägt daran der europaweite Ärztemangel  Schuld oder ist das vor allem ein hausgemachtes Problem?
Es gibt ohne Zweifel auch einen hausgemachten Anteil. Denn es ist sicher, dass  in der Bozner Zentrale des Sanitätsbetriebes seit Jahren die clinical governacne fehlt......

Also die klinische Führung bzw. das Krankenhausmanagement....
Wir hatten lange einen Sanitätsdirektor, der seiner Rolle nicht gerecht wurde, auch wenn er ein hervorragender Arzt war, aber eben aus verschiedenen Gründen kein guter Sanitätsdirektor.

Sie meinen den ehemaligen Sanitätsdirektor Oswald Mayr?
Vergessen wir die Namen. Tatsache ist, dass es in der vorigen Direktion Versäumnisse gab. Und nun haben wir Generaldirektor Thomas Schael, der sicherlich ein sehr guter Verwalter ist, der weiß, was er will und wie er es erreichen will. Doch jetzt sind wir nach zweieinhalb Jahren in der Mitte seines Mandats angelangt und er hat noch immer keine Mannschaft. Und das hat einfach Auswirkungen.

Wir haben aber doch ein Trio unter der Generaldirektion?
Unter der Generaldirektion gibt es nur eine Pflegedirektorin, also Marianne Siller. Eine sehr fähige Frau, aber auch die einzige Pflegedirektorin in ganz Italien ist, die direkt unter der Generaldirektion angesiedelt ist – während diese Funktion sonst mit gutem Grund unter der Kontrolle der Sanitätsdirektion steht. Doch sowohl die Sanitätsdirektion als auch die Verwaltungsdirektion sind immer noch nicht besetzt.

Zumindest nicht definitiv, denn Thomas Lanthaler und Umberto Tait besetzen sie geschäftsführend....
Tait ist eigentlich Bezirksdirektor und nur nach den Problemen mit der Berufung von Enrico Wegher eingesprungen. Und Thomas Lanthaler wurde von der Wahlkommission bekanntlich als ungeeignet befunden. Das heißt aber, dass die Probleme des Betriebes nie wirklich angegriffen werden können, denn ohne Mannschaft kann man keine Firma führen.

Es gibt aber auch immer wieder Stimmen unter den ÄrztInnen, die ein großes Problem an der Spitze selbst sehen, also bei Generaldirektor Thomas Schael.
Es gibt auch den umgekehrten Vorwurf, dass wir ÄrztInnen die Führung nicht genügend unterstützen. Doch ich würde sagen, dass der Generaldirektor in dieser Zusammenarbeit das größte Problem hat, er ist gegenüber den Ärzten oft auch zu stur.  Man muss seine Mannschaft eben dazu bringen, dass sie mitmacht, dass sie die eigenen Ziele teilt. Und diese Überzeugungsarbeit ist Schael bisher noch nicht gelungen.

Dabei würden es seine Ziele verdienen, geteilt zu werden?
Viele von uns hatten große Hoffnungen in Schael und jetzt sind wir ein bisschen enttäuschst. Denn mehr als zwei Jahre sind vergangen und wir sehen nicht wirklich Verbesserungen. Doch ich würde immer noch sagen, dass der Generaldirektor sicher Visionen hat, die sich in weiten Teilen auch mit denen der Gesundheitslandesrätin decken, und die in die richtige Richtung  gehen. Nur fehlt vor allem in der Politik immer noch der Mut, um die Dinge tatsächlich zu ändern.

Was würden Sie mutig finden?
Zum Beispiel die Neuorganisation der Peripherie. Das soll nicht bedeuten, dass Krankenhäuser zugemacht werden müssen, aber sie sollten eben wirklich anders organisiert werden. Auch die Reform der Verwaltung mit der Generaldirektion als Kopf ist richtig. Aber es braucht eben nicht nur gute Ideen, sind müssen auch gut umgesetzt werden. Und das hängt immer von den Menschen ab.

Trauen Sie es den Menschen im Sanitätsbetrieb nicht zu?
Ich kann sicher sagen, dass wir dafür gute Leute unter der Ärzteschaft hätten und wahrscheinlich auch beim Pflegepersonal. Doch bei der Verwaltung bin ich mir da nicht so sicher....

Warum nicht?
Die Verwaltung ist sicherlich ein schwacher Punkt des Betriebs. Da scheint oft kein Unterschied gemacht zu werden, ob eine Lemayr-Filiale geführt wird oder die Personalabteilung vom Krankenhaus. Und vor allem wird vielfach nicht gut verwaltet.

Woran machen Sie das fest?
Schauen wir uns nur die Informatik an, wo wir nach so vielen Jahren wieder am Nullpunkt angelangt sind. Oder auch die Problematik mit den Arbeitsverträgen, die ist hausgemacht. Da hat man selbst gesetzlich nicht gesicherte Arbeitsverträge abgeschlossen und am Ende konnten sie keine mehr machen.

Es ist aber bekanntermaßen auch nicht leicht, in Italien zu verwalten...
Natürlich ist es das nicht, die Gesetze hier sind furchtbar, die Leute werden bei Fehlern persönlich haftbar gemacht.  Dennoch: Ein guter Verwalter ist jemand, der unter diesen schlechten Umständen gute  Lösungen findet. Die müssen auch wie ÄrtzInnen und PflegerInnen täglich finden. Doch in der Verwaltung geht mir oft ab, dass man ansieht, wo das Problem liegt und wie man es konkret lösen kann.  Tatsache ist jedenfalls, dass wir im Sanitätsbetrieb mit Problemen umgehen müssen, nicht mit Regeln.

Sie haben auch in Bologna, in Deutschland und Kanada gearbeitet. Wie würden Sie den Zustand in Südtirols Sanität im Vergleich beurteilen?
Südtirols Sanität gehört immer noch zu den guten, wenn nicht zu den besten Systemen. Unser System kann ein wenig mit Kanada oder England verglichen werden, während in Deutschland, Österreich und der Schweiz leistungsbezogen gearbeitet wird. Dort werden sehr viele Leistungen angeboten, doch es wird auch vieles gemacht, das nicht notwendig wäre. Bei uns dagegen verdienen man nicht daran, wie viel gemacht wird, und deshalb machen wir nur das, was notwendig ist. Und so kostet die Sanität in Süditrol pro Einwohner rund 2200 Euro, während sie zum Beispiel bei ähnlichen Ergebnissen in Deutschland 4000 Euro kostet.  

Für Sie als Arzt ist der Qualitätsstandard in Südtirols Krankenhäuser also immer noch befriedigend?
Ich glaube, wir haben einen sehr guten Standard. Natürlich gibt es dieses Problem der Wartezeiten, doch die könnte man so schnell abbauen wie sie anwachsen. Genau dafür brauchen wir aber ein besseres Krankenhausmanagement, wo klar gesagt wird, wer macht was und wo. Und dafür werden wir um eine bessere Zusammenarbeit der Ärzteschaft mit der Generaldirektion nicht herumkommen. In den vergangenen Jahren war das Gefühl stärker, dass wir die Dinge nicht dank, sondern trotz der Direktion geschafft haben. Das ist natürlich sehr schlecht – und ich würde es in meiner zweijährigen Amtszeit wirklich gerne schaffen, das endlich zu ändern.