Kultur | Salto Afternoon

Durchlöchertes Glashaus

Das Carambolage Bozen zeigt in seiner aktuellen Eigenproduktion „Wer ohne Sünde ist…“ ein zweisprachiges Stück, das unserer bunten Gesellschaft gewidmet ist.
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Foto: Foto: Carambolage

Wer im Glashaus sitz, der sollte nicht mit Steinen werfen. Diesen Rat hat der 10-jährige Mohamed Ibrahim nicht befolgt, als er einen Pflasterstein durch das Fenster der Schule geworfen hat. Der Schuldirektor (Günther Götsch) kann sich das Ganze nicht erklären. Statt zu randalieren, hätte sich der Junge lieber über seine Rolle im Weihnachtsspiel der Schule freuen sollen. Frei nach dem Motto: „Tausend Gesichter, tausend Farben“. Ja, die Gotthold-Ephraim-Lessing-Grundschule ist in dieser Hinsicht betont weltoffen. Aber Mohamed Ibrahim schmeißt sich lieber seinen Frust von der Seele. Zu allem Unglück traf der Stein nicht nur das Fenster, sondern auch fast den Kopf des Schuldieners (Thomas Hochkofler), der mit verbundenem Schädel sein Leid klagt.

Das Ergebnis sind Integrationsversuche, die durch Gleichschaltung alle Unterschiede aus der Welt schaffen möchten, anstatt den Reichtum der Multikulturalität zu fördern.

Man trifft sich im Lehrerzimmer: Direktor, Schuldiener, Italienischlehrerin Giordano (Flora Sarrubbo) und die Mutter des Jungen (Karin Verdorfer). Letztere trägt einen Hidschab, aber das macht den Anwesenden nichts aus, man ist ja, wie gesagt, aufgeschlossen. Und so ist es auch nicht weiter schlimm, wenn die Italienischlehrerin den Namen der Mutter nur kauderwelscht oder wenn sie Arabien mit Indien verwechselt, schließlich haben doch alle Länder und Kulturen den gleichen Stellenwert. 

Die Tat wird besprochen und man nimmt die Entschuldigung der Mutter an. Versöhnend reicht man sich die Hände und Lehrerin Giordano ergeht sich in ein beseeltes „siate radiosi“. Nur, wer bezahlt eigentlich das kaputte Fenster? Die Situation gerät rasch ins Kippen und die Kehrseite der toleranten Medaille kommt zum Vorschein. Wer ist nun wirklich schuld daran, dass der Junge während der Unterrichtszeit auf dem Schulhof war? Ein hysterisches „siate radiosi“ begleitet das Zerbröckeln der weltoffenen Fassade.

Das zweisprachige Stück aus der Feder von Brigitte Knapp und Regisseur Christian Mair blickt auf humoristische Weise einer Tatsache ins Auge: allzu affektierte Toleranzbekundungen kaschieren meistens nur tief verwurzelte Vorurteile. Das Ergebnis sind Integrationsversuche, die durch Gleichschaltung alle Unterschiede aus der Welt schaffen möchten, anstatt den Reichtum der Multikulturalität zu fördern.

Die Truppe Sarrubbo-Verdorfer-Götsch-Hochkofler gibt ihr Bestes, das Publikum dankt mit ausverkauften Aufführungen. Götsch passt mit seiner ansteckenden Gelassenheit perfekt in die Rolle des Schuldirektors, Hochkofler schmeißt aufbrausend mit Tischen um sich, als gäbe es kein Morgen. Verdorfer verkörpert astrein die Rolle der schüchternen und dennoch resoluten Mutter, während Sarrubbos Figur vor gekünstelter (Schein)Heiligkeit nur so sprüht. Fazit: sehenswert.