Kultur | Salto Afternoon

Wenn Gehirn-Neuronen tanzen

Transart zeigt Audio-Visual Performances über unsere Beziehung zur Natur. Digitale Sinnesspiele, die in Bann ziehen, die Wahrnehmung aber auch überfordern können.
Mutek 7
Foto: Transart

Dass Südtirol nach elektronischer Musik dürstet, zeigte sich bereits in den letzten Ausgaben von Transart. Jährlich bietet das Festival für zeitgenössische Kultur ein Tanzevent mit elektronischer Musik, das sogenannte „Clubbing“, und jährlich gehört es zu den ersten ausverkauften Events im Programm von Transart. So auch dieses Jahr. Das Event Mutek Digital war nach zwei Wochen ausverkauft. Doch machten die Abstandsregeln aufgrund von Corona das traditionelle „Clubbing“ für die Festivalausgabe 2020 unmöglich. Stattdessen präsentierte Transart mit dem „Advanced Clubbing“ Mutek Digital eine experimentelle Elektronik-show für Augen und Ohren, die statt Arme und Beine, die Neuronen im Gehirn tanzen lies.

 

Audio-Visual Performance (dt. Audio-visuelle Vorstellung) nennt sich die Kunst, die nicht mit Pinselstrichen, sondern mit Algorithmen und Computerprogrammen erzeugt wird. Die Kunstschaffenden stehen dabei vor einer Art DJ-Pult, mit dem sie ihre Kunst auf die Leinwand projizieren oder aus den Boxen dröhnen lassen. Das 3D-Schauspiel aus Mustern, ineinander zerfließenden Farben, und abstrakten Strukturen, das sich dabei auf der Leinwand abspielt, wird begleitet von elektronischen Melodien, metallischen Klängen, oder tiefen Bässen, und bietet dem Publikum eine psychedelische Erfahrung.

Drei solcher Audio-Visual-Performances zeigte das MUTEK im Rahmen von Transart am letzten Samstag (12. September) im NOI Techpark von Bozen. An manchen Stellen luden die Performances zu meditativen Bewusstseinszuständen ein, und ließen über unseren Umgang mit der Natur reflektieren, das Thema, das sich durch alle drei Vorstellungen zog; an anderen Stellen erinnerten die abstrakten Motive auch mit viel Interpretation kaum an die Thematik, und überforderten Augen und Ohren mit einer Wucht an Sinneseindrücken, die jegliche Wahrnehmungskapazitäten sprengte.

 

 

Den Aufmacher übernahm das italienische Künstler-Duo Grand River & Marco C mit ihrer Performance 0,13. Makroaufnahmen verschiedener Naturphänomene dominieren die Show, die uns unser Umfeld von einer neuen Perspektive aus erfahren lassen. Man erkennt etwa einen Baumstamm, der wie durch ein Teleskop gefilmt erscheint. Nahaufnahmen eines trockenen Steppenbodens lassen seine Furchen wie ein geplantes Muster erscheinen. Es folgt die digitale Simulation von langsam sich bewegenden Wellen, oder einer Seifenblase, in der sich Farbreflexionen des Regenbogens spiegeln. Bei manchen Projektionen erkennt man ihren analogen Ursprung, andere scheinen ganz der digitalen Welt zu entspringen. Zum Beispiel die umherwuselnden blau-rot-gelben Flecken, die an Aufnahmen der Erdoberfläche durch eine Wärmekamera mit Zeitraffer erinnern. Ein besonders erinnerungswürdiges Bild für mich: Vorbeiziehende Wolken im blauen Himmel, reflektiert auf den Splittern eines zerbrochenen Spiegels. Die Übergänge der einzelnen Projektionen begleitet dabei eine sich anpassende Elektromusik, deren Bass an den Rhythmus eines Herzschlags erinnert, vielleicht die Pulsader des Lebens? Die Performance 0,13 mag an manchen Stellen zu lange auf einem Bild verharren, wodurch sich die einstündige Show zu sehr in die Länge zieht; und auch der Klang ist nicht immer angenehm für das Ohr. Doch vermittelt die Darbietung klar die Wuchtigkeit der Natur, ihre Vielschichtigkeit, und bringt so die Message des Titels rüber: 0,13- nur so viel Prozent der gesamten Erdgeschichte hat die Menschheit gelebt. Was bleibt ist der Eindruck, Teil einer recht unbedeutend kleinen Spezies zu sein, dessen Existenz Bäume, Himmel und Wasser bei weitem übertreffen.

 

 

Gelangt die Aufnahmefähigkeit von Sinneseindrücken bei der ersten Performance manchmal knapp an ihre Grenzen, so wird diese beim zweiten Auftritt von Line Katcho und Guillaume Cliche weit darüber hinausgeschleudert. Die Gehirnneuronen fangen spätestens jetzt an zu schwitzen. Und das, obwohl die Performance Limit Brick nicht live vor Ort stattfindet, sondern aus Montreal in Kanada gestreamt wird. Kein Wunder, dass dieses Spektakel von der Idee der Grenze (engl. Limit) inspiriert wurde. Die visuellen Eindrücke erscheinen in rascher Abfolge, werden zunehmend futuristischer, und mit einer Wucht an den Zuschauer geschmissen, dass es manchmal fast im Auge weh tut. Auch die Elektromusik steigert sich in einen heftigen Dubstep à la Skream. Die Abstraktheit der Projektionen lässt kaum Bedeutungszuschreibungen zu, hinterlässt aber einen starken Nachgeschmack der Grenzsprengung, und den Eindruck, als wäre die Welt implodiert und löse sich gerade in Milliarden Teilchen auf. „Fuder“ würden junge Südtiroler diese Erfahrung beschreiben.

 

 

Ausklang findet das Mutek mit Erratic Weather, einer sanfteren Performance der beiden niederländischen Künstler Maotik und Maarten Vos. Obwohl der Titel (dt.) „sprunghaftes Wetter“, ein unschönes Phänomen mit verheerenden Konsequenzen andeutet, sind die abstrakten Simulationen von Naturkatastrophen, die sich auf der Leinwand abspielen, von einer so ebenmäßigen Schönheit und beeindruckenden Sogkraft, dass sie fast beruhigend wirken. Man verliert sich im gleichmäßigen Kreistanz der Wirbelstürme, verschmelzt mit dem stetigen Rythmus der wachsenden Tsunamiwelle. Nur die bedrohlichen Quietschgeräusche, das atmosphärische Crescendo des Cellos, die Elektromusik mit Horrorfilm-Qualität geben der Darbietung etwas Bedrohliches. Die Musik materialisiert das Gefühl, das viele Menschen in Zeiten des Klimawandels spüren: auf uns kommt etwas Unaufhaltbares und Katastrophales zu, etwas bahnt sich an, brodelt an der Oberfläche und droht, uns zu verschlucken. Genau mit dieser Stimmung entlässt die letzte Performance die Zuschauer aus dem intensiven Abend, der zwar kein wildes Tanzen zuließ, aber dennoch gelehrt hat: Audio-Visual Performances sind nichts für langweilige Samstag-Abend-Couch-Potatoes.