Gesellschaft | Obdachlosigkeit

Gegen den Winter

Der private Verein "housing first bozen eo" stellt über die Wintermonate ein permanentes Nachtquartier für 25 obdachlose Menschen bereit.
Dormizil
Foto: Salto.bz

Mindestens 130 Menschen verbringen die Winternächte auf den Straßen von Bozen. Jedes Jahr und ohne Aussicht auf Veränderung. Um einen ersten Schritt in Richtung Veränderung zu setzen, haben sich einige Privatpersonen zum Verein housing first bozen EO zusammengeschlossen. Diesen Winter stellen sie ein Nachtquartier für 25 obdachlose Menschen bereit. Menschen, die auf der Straße leben, sollen so mittelfristig in der kleinen Struktur Unterschlupf finden. Gleichzeitig sollen die Politik und die Zivilgesellschaft aufgerüttelt und zu einem Umdenken gezwungen werden.

 

“Wir brauchen keine Notlösungen, in denen 100 Menschen in einem Raum schlafen müssen”, erklärt das Gründungsmitglied des Vereins Paul Tschigg, “vor allem nicht in einer so reichen Stadt wie Bozen. Was wir brauchen, sind kleine Strukturen, die den Menschen einen Startpunkt bieten können.” Genau so einen Startpunkt soll das dormizil in der Rittnerstraße in Bozen schaffen. Vom 10. November bis zum 22. März wird dort 25 Personen ein Nachtquartier geboten. Dabei sind sowohl Frauen als auch Männer willkommen, Jugendliche, ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Nach dem Winter soll das dreistöckige Gebäude, das von der Haselsteiner Familien-Privatstiftung kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, in ein Wohnhaus mit 12 kleinen Wohnungen umgebaut werden, um den Bewohnern – nach dem Prinzip “housing first” – eine würdige und autonome Lebensgrundlage bieten zu können.

 

Für die Wintermonate wurde das Gebäude über den Sommer von freiwilligen Helfern und Vereinsmitgliedern vorbereitet. Man hat geputzt, geweißelt, Zimmer eingerichtet und Betten gemacht. Noch gibt es einige lose Enden und fehlende Glühbirnen, aber schon in einem Monat sollen Obdachlose hier Unterschlupf finden. Geführt wird das Ganze von Freiwilligen, die die Personen abends aufnehmen und ihnen morgens ein Frühstück bereitstellen. Auch an Tee, Keksen und einem offenen Ohr soll es nicht fehlen. Tagsüber bleibt das Gebäude geschlossen; die Öffnung wäre allein mit freiwilligen Helfern kaum zu stemmen.

 

Wir möchten alle dazu einladen, mindestens einmal einen Nachtdienst oder Frühstücksdienst zu übernehmen. Nur so können wir verstehen, worum es geht.

 

Einerseits soll so zumindest einigen Personen ein warmes Bett und ein Frühstück geboten werden. Andererseits möchte man aber auch die Bevölkerung für das Thema und die Menschen sensibilisieren. “Wir möchten alle dazu einladen, mindestens einmal einen Nachtdienst oder Frühstücksdienst zu übernehmen”, so Martina Schullian, “nur so können wir verstehen, worum es geht”. Auch Paul Tschigg hebt den Aspekt des direkten Kontakts mit den obdachlosen Menschen hervor: “Wir müssen uns den Menschen gegenüberstellen, uns mit ihnen konfrontieren. Sonst verlieren wir nicht nur jene, die bereits jetzt am Rande der Gesellschaft leben, sondern die gesamte Gesellschaft.”

 

Dabei ist diese Konfrontation nicht immer einfach. “Vor allem dann nicht, wenn ich abends bei minus 10 Grad einen Menschen an der Tür zurückweisen muss, weil es keinen Platz mehr gibt”, erklärt Vereinsmitglied. Auch diese Erfahrungen gehören dazu. Trotzdem sind die Mitglieder von ihrer Arbeit und dem Projekt überzeugt. Ein kleiner Schritt, um aufzuzeigen, dass das, worum sich die Politik nicht kümmert, möglich ist.

Nun hofft der Verein auf Unterstützung: Geldspenden, Sachspenden, aber auch Freiwillige, die einen Dienst übernehmen können. Und man hofft darauf, dass noch weitere Initiativen entstehen, die obdachlosen Menschen einen Unterschlupf bieten und die Politik zu ihrer die Verantwortung zwingen.