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Der erlogene Alltag

Eine mystisch-mysteriöse Atmosphäre verbirgt sich hinter den Alltagsszenen des im Mart ausgestellten Magischen Realismus.


Antonio Donghi, donna al caffe, 1931
Foto: Foto: Mart

Gabriella Belli, erste Direktorin des Mart und derzeitige Direktorin der Fondazione Musei Civici di Venezia, kehrt anlässlich des 15. Geburtstags des Museums zurück ins Trentino, um dort gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Valerio Terraroli die Ausstellung Realismo Magico - L’incanto nella pittura italiana degli anni venti e trenta zu kuratieren. Mit der Ausstellung setzt das Mart seinen diesjährigen Fokus auf die Kunst der italienischen Zwischenkriegszeit fort.

Die Ausstellung widmet sich einem besonderen Kunstphänomen, das nicht selten vergessen und vernachlässigt wird, da es gleichzeitig mit jenen Avantgarden auftritt die die Geschichte des Modernismus schrieben. Doch die Magischen Realisten wenden sich bewusst gegen die abstrakte und dekonstruierende Bildersprache der Avantgarde, insbesondere der Futuristen. Die Realität soll nicht mehr interpretiert oder gar verschönert werden, sondern so abgebildet, wie sie gelebt wird. Die Bilder des Magischen Realismus kehren zu traditionellen, realistischeren Darstellungsmethoden zurück und zeigen keine Helden oder Vorreiter ihrer Zeit, sondern einfache Kinder, Frauen und Männer, eingebettet in den Szenen ihres Alltags. Doch hinter der Einfachheit des Magischen Realismus versteckt sich eine zweite, weitaus komplexere Ebene.

Wer als Besucher durch die Hallen des Mart schlendert, bemerkt schnell: Die Bilder strahlen etwas Unheimliches und Beängstigendes aus: eine Atmosphäre, die spürbar, jedoch nicht leicht verortbar ist. Die Starre der Körper, die verlorenen Blicke und die surreale Komposition lassen das Gesamtbild trotz seiner Realität magisch erscheinen. Es ist dieser Aspekt, der dem Kunstphänomen seinen Namen verleiht.  

"Precisione realistica di contorni, solidità di materia ben poggiata sul suolo; e intorno come un’atmosfera di magia che faccia sentire, traverso un’inquietudine intensa, quasi un’altra dimensione in cui la vita nostra si proietta..." Massimo Bontempelli

Hinter der magischen Atmosphäre versteckt sich eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist der 20er und 30er Jahre. Die Schrecken des ersten Weltkriegs haben die Gesellschaft erschüttert. Wie kann nach den Grausamkeiten, der Gewalt und der Angst ein normales Leben weitergeführt werden? Eine Frage, die sich durch viele Bilder des Magischen Realismus zieht und zum Teil erklärt, warum die dargestellten Szenen trotz ihrer Alltäglichkeit so surreal wirken. In einem der zentralen Werke der Ausstellung, Gli scolari von Felice Casorati, wird dies besonders deutlich. Sechs Schüler stehen hinter einem Tisch. Bücher, ein Globus und die Tafel im Hintergrund deuten den schulischen Kontext an. Die Blicke der Kinder wirken hilflos. Was soll man ihnen beibringen und erzählen, nachdem man erkannt hat wie schrecklich das menschliche Dasein doch sein kann? Der Alltag wird hier zu einem Instrument der Täuschung: er wirkt erzwungen und erlogen; Die Scheinheiligkeit des Lebens ist verloren.

Auch in Werken von Antonio Donghi, einem der herausragendsten Vertreter des Magischen Realismus, schwebt diese Ebene trotz der frohen Farben und heiteren Szenen mit. Il giocoliere, der Jongleur, steht gelassen im Raum und balanciert seinen Hut auf der im Mund gehaltenen Zigarre. Doch Bewegung findet sich im Bild keine. Eine Starre, fast so als müsste man schon beim Betrachten des Bildes den Atem anhalten, verfestigt sich. Es ist eines der vielen Werke, in denen der Künstler Akrobaten abbildet: Gestalten, die mit aller Kraft versuchen unterhaltsam zu wirken, wohl wissend, dass es sich hierbei um eine inszenierte Performance handelt.  

Die Starre der Körper und die geometrischen Raumkompositionen des Magischen Realismus spielen auf den Wunsch nach „Ritorno all’ordine“, der Rückkehr zur Normalität, an. In dieser Hinsicht überschneidet sich der Magische Realismus, der nie eine Künstlerbewegung - viel eher eine Strömung war, mit der Künstlergruppe Novecento, die sich und Rund um die Figur Margherita Sarfattis bildete. Sarfatti, bekannt nicht nur als Kunstkritikerin, sondern auch als Liebhaberin Mussolinis, forderte die Rückkehr zu den Traditionen der Italienischen Kunst, vor allem in Anbetracht eines wachsenden Nationalismus. Und obwohl einige Vertreter der Novecento-Gruppe, wie Ubaldo Oppi und Achille Funi auch dem Magischen Realismus zugeordnet werden können, ist dieser in seiner Grundform jedoch immer unpolitisch geblieben.

Die Lebensrealitäten der Menschen blieben stets im Vordergrund des Magischen Realismus, der es schafft die Ängste, Zweifel und Probleme des menschlichen Daseins nach dem Krieg in Bildern zu verewigen.