Gesellschaft | Die Debatte

Ein parteipolitischer Selbstmord?

Robert Rainer, Primar am Krankenhaus Schlanders, in einem persönlichen Kommentar zur Sanitätsreform und seine Überzeugung, dass es in die falsche Richtung geht.

Ich mache mir große Sorgen um die weitere Entwicklung in unserem Sanitätsbetrieb und deshalb sehe im mich auch verpflichtet einiges anzumerken.

Ich bin im Jahr 2000 von meiner Facharztausbildung in Bayern zurückgekehrt und habe im Anschluss in mehreren Krankenhäusern in Südtirol gearbeitet (Brixen, Meran, Bozen). Vor meiner Facharztausbildung habe ich sehr viel für meine Leben gelernt, ich habe Länder, Leute und Sitten auf der ganzen Welt kennen gelernt. Ich habe Angebote aus dem Ausland abgelehnt, weil ich mich meinem Land und meinem Volk verpflichtet fühlte. Mein Beruf ist zur Berufung geworden, vor allem aber auch durch sehr intensive persönlicher Erlebnisse. Ich dachte in Südtirol eine Identität zu finden.

Nun bin ich seit 2011 Primar der Gynäkologie und Geburtshilfe in Schlanders. Durch meine Facharztausbildung und die Möglichkeit, mein Wissen auch im Ausland zu vertiefen, erfreue ich mich einer beruhigenden Routine. Das heißt, dass ich mich in der täglichen Arbeit sicher fühle. Trotzdem ist mein Beruf spannend geblieben, es gibt immer wieder Neues, ich kann immer wieder was lernen.

Wir sind Kritik fähig und brauchen keinen Maulkorb.

So sind wir mittlerweile viele routinierte, engagierte und gute Ärzte im Sanitätsbetrieb. Wir sind die Leistungsträger in diesem Betrieb. Das heißt aber auch, dass wir nicht immer alles einfach so hinnehmen müssen, was uns vorgegeben wird, wir sind Kritik fähig und brauchen keinen Maulkorb.

Die letzten 14 Jahre waren durchwegs durch Uneinigkeiten und Streitereien zwischen Ärzten, Verwaltungsdirektorium, Pflegedienstleitung, Gewerkschaften (ANAO,PSK), geprägt, die Ärztekammer hat wenn überhaupt eine untergeordnete Rolle gespielt. Aus jüngeren Aussagen zur Folge scheint sie jedoch eher gegen die peripheren Krankenhäuser Stellung bezogen zu haben. Es ist an der Zeit mit Polemiken aufzuhören und im Sinne der Bevölkerung eine sinnvolle Reform zu entwickeln und  durchzuführen, um weitere Fehler zu vermeiden.

Mit Sparmaßnahmen hätte schon vor vielen Jahren begonnen werden sollen, wenn noch ausreichend Geld zur Verfügung stand. Wir sind also mit unserer Entwicklung schon wieder einmal 10-15 Jahre hinten. Vor 15 Jahren hat ganz einfach der politische Weitblick gefehlt um bestimmte Reformen einzuleiten und durchzuführen. Landesrat Richard Theiner glaubt zwar den einzigen Sanitätsbetrieb umgesetzt zu haben, die Praxis ist aber nach wie vor ganz eine andere. Meiner Meinung nach hat er sich in den 10 Jahren seiner Verantwortung für den Sanitätsbetrieb der Rettung der Volkspartei geopfert. Parteipolitisch ist ihm das groß anzurechnen, Parteipolitik hat jedoch in der Entwicklung der Sanität nichts zu suchen. Sozialleistungen wurden eingeführt, die längerfristig nicht mehr zu erbringen sind. Vor den Wahlen wurde uns viel versprochen, nach den Wahlen hat er die Verantwortung an seine Nachfolgerin abgegeben. Plötzlich war alles anders, vorher getroffene Abmachungen gelten nicht mehr, vorher geplante Projekte werden nicht mehr einmal erwähnt (Medical School). Die Landesrätin, die ich übrigens sehr symphatisch finde und auch schätze, hat sich der Reform verschworen. Ihr Vorgehen scheint aber eher zu einem parteipolitischen Selbstmord zu führen, aber wie schon erwähnt sollte Parteipolitk nichts in der Sanität zu suchen haben.

Richard Theiner hat sich in den 10 Jahren seiner Verantwortung für den Sanitätsbetrieb der Rettung der Volkspartei geopfert.

Ein wichtiger Bestandteil der Reform ist die Vernetzung der EDV. Durch ein Landesdekret wurde 2002? jedem Bezirk die Erstellung einer eigenen EDV übertragen, in meinen Augen ein großer Fehler. Wir haben deswegen immer noch riesige Probleme in unseren täglichen Arbeit. Mehrfach haben wir auf diese Missstände schon hingewiesen, aber recht viel ist noch nicht passiert. Wir haben weiterhin noch keinen Zugang zu sehr wertvollen Programmen z.B. der Fotodokumentation. Wir haben immer noch Programme, die uns in uns eher behindern  als helfen. Dies betrifft jedoch  hauptsächlich den Bezirk Meran-Schlanders, in anderen Bezirken ist es besser. Und zusätzlich haben wir noch das Problem der Privacy. Aus meiner Sicht ist unsere EDV eine riesige Ruine, deren Renovierung teurer und  zeitaufwendiger ist als ein Neubau. 280 Stunden im Jahr könnten wir allein schon in unserer Abteilung einsparen, wenn wir zügiger dokumentieren könnten. Für viele von uns ist das alles unverständlich, es erscheint uns fämiliär organisiert und undurchssichtig.

Auch die Zentralisierung der onkologischen Chirurgie sollte noch einmal überdacht werden.

Die Umwandlung von chirurgischen Abteilungen in Tageskliniken bringt keine Vorteil. Aus bereits mehrjährigen Erfahrungen führt das eher zu einer kompletten Schließung von Abteilungen.

 

 

Ich hatte die Möglichkeit vor ungefähr 10 Jahren eine längere Zeit am Universitätsspital Zürich zu verweilen. Damals war die Zeit der Zentralisierung bereits abgeschlossen, die Schweizer haben bemerkt, dass diese Zentralisierung nicht unbedingt für die Gesamtversorgung der Bevölkerung ideal war, und haben dann wieder begonnen die Peripherie aufzuwerten. Die Peripherie wurde mit Zentralkrankenhäusern vernetzt, wo es notwendig war wurden Akutkrankenhäuser belassen oder mühevoll wiederhergestellt. Ich habe in Zürich viel über Organisation und zukunftsweisende Planung gelernt. Ich habe aber auch die Schweizer kennen gelernt. Die Schweizer sind Realisten und bevorzugen einfache klare Vorgänge. Sie sind aber auch gegen aller bestehender Vorurteile sehr lustig und selbtskritisch. Wir können viel von ihnen lernen. Wir sind ihnen aber in vielem sehr ähnlich, wirtschaftlich, im Tourismus, wir sind ein Bergvolk mit vielen unterschiedlichen Ethnien und Sprachgruppen, wir haben ein wunderschönes Land. Politisch würde ich Südtirol mit einer kantonalen Regierung nicht mehr nur als eine Utopie sehen.
Ähnlich ist es auch in Deutschland mit der Reform von Seehofer gegangen, nach einer ersten Schließung von Abteilungen für die Akutversorgung, mussten aus Notwendigkeit der Grundversorgung einige wieder mit großem Aufwand geöffnet werden.

Unsere Reform, die auf einem geheimen Paper von 2004?

Es hat sich im Wesentlichen im Verlauf der Jahre nichts geändert. In den 3 peripheren Krankenhäusern sollten Abteilungen geschlossen werden z.B. Geburtshilfe und Pädiatrie, aus anderen Abteilungen wie Chirurgie und Gynäkologie sollten eine  Tagesklinik entstehen. Akutpatienten sollten an das nächst liegende Zentralkrankenhaus weitergeleitet werden, denn wir haben ja eine Hubschrauber, der in Zukunft auch in der Nacht fliegen kann. Wir müssen aus demagogischen Gründen sparen, weil wir immer älter werden. Von denen die jetzt geboren werden erreichen ungefähr die Hälfte das 100. Lebensjahr. Das wichtigste Ziel dieser Reform sind es Einsparungen zu machen und nicht die Gesamtversorgung der Bevölkerung zu garantieren. Ich schließe daraus, dass das Ziel dieser Reform falsch gewählt wurde. Diese Reform ist anachronistisch und mit jetzigen Maßstäben nicht mehr zumessen

Durch den zunehmenden Abbau der Kompetenzen in der Peripherie,  werden diese Häuser immer uninteressanter für hoch qualifiziertes Personal.

Wo bleiben da gesundheitsökonomische Überlegungen?

Unsere Bevölkerung wird immer älter, weil sie auch viel gesünder ist. Die Mehrzahl der achtzigjährigen kann sich selbst versorgen und leistet einen hohen Beitrag zum Überleben vieler Familien. In die Gesundheitsversorgung muss in Zukunft mehr investiert werden wie bisher. Vor allem aber muss die Gesundheitsversorgung vor Ort passieren. Ältere Menschen sind nicht so beweglich, dass sie weite Strecken für eine Behandlung zurücklegen können. Die Realität ist also genau das Gegenteil unserer propagierten Reform. Das Ziel der Reform sollte die optimale Versorgung der Gesamtbevölkerung sein und das auch im ländlichen und gebirgigen Bereich. Die peripheren Krankenhäuser stellen an ihrem Standort in Innichen, in Sterzing und in Schlanders einen wichtigen Betrieb dar als Arbeitsplätze für die ansässige Bevölkerung, als Lehrstelle für Jugendliche und das nicht nur für Krankenpflege, Hebammen und Ärzte sondern auch für Köche und Handwerker, aber auch als wichtiger Bestandteil für die Entwicklung von Tourismus, Landwirtschaft und Industrie. Durch den zunehmenden Abbau der Kompetenzen in der Peripherie, werden diese Häuser immer uninteressanter für hoch qualifiziertes Personal.

Ich wünsche mir, dass nach weiteren Überlegungen eine vernünftige Lösung gefunden wird. Die peripheren Krankenhäuser müssen als Akutkrankenhäuser in dieser Form erhalten bleiben, alles andere wäre aus meiner Sicht ein Fehler und müsste in Zukunft teuer wieder revidiert werden. Für mich gibt es auch kein entweder oder. Es sollte nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden. Versicherungen, erweiterte Privatisierung. Die  befürchtete Zweiklassengesellschaft besteht bereits, nur bleibt sie einer sehr begrenzten privilegierten Schicht zugänglich. Die Einbringung von privaten Gelderen kommt auch der Allgemeinheit zugute.

Die  befürchtete Zweiklassengesellschaft besteht bereits,
nur bleibt sie einer sehr begrenzten privilegierten Schicht zugänglich

Wir müssen in Zukunft mehr Wert auf die lokale Ausbildung unseres Personals legen, denn nur so bleibt es uns auch erhalten. Die Weitergabe unserer Erfahrung an unsere Nachkommenschaft ist eine unserer größten Aufgaben. Es muss aber für die lückenlose Anerkennung unserer Studientitel in Italien gesorgt werden.
Ich habe mich in letzter Zeit sehr viel mit den gesetzlichen Vorgaben und mit den organisatorischen Empfehlungen des Ministeriums in Rom beschäftigt. Die Sicherheit unserer Geburtshilfen wird nicht durch die Qualität unserer Arbeit in Frage gestellt, sondern durch die Interpretation der Empfehlungen aus Rom. Meiner Meinung nach besteht im Abkommen zwischen Staat und Regionen ausreichend Spielraum für die Regionen diese lokal umzusetzen. Für die Ausarbeitung z.B. eines aktiven 24 Stundendienstes sollten sich Gewerkschaften, Verwaltungsdirektoren, Sanitätsdirektorium und die jeweiligen Primare der betroffen Abteilungen zusammensetzen um eine vernünftige und kostengünstigere Lösung zu finden. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkrankenhäusern sollte besser koordiniert werden und zwar in beide Richtungen, nicht nur immer von der Peripherie ins Zentralkrankenhaus sondern auch umgekehrt. Eine Personalunion mit den Zentralkrankenhäusern könnte über personelle Engpässe  in der Peripherie hinweghelfen.
Periphere Krankenhäuser sind auch innovativ, die Technik der laparoskopischen Hernienoperation wurde in einem peripheren Haus entwickelt, vom Krankenhaus Sterzing aus wurden die Wassergeburten durch ganz Europa verbreitet, wir arbeiten an einer neuen opertiven Therapie einer degenerativen Hauterkrankung der Vulva, die wir im Rahmen einer Fallbeobachtungstudie versuchen zu etablieren.

Ich bin überzeugt, dass es auch einen Wandel in den Führungspositionen unseres Betriebes braucht, damit auch wieder die Verantwortung für den Betrieb übernommen werden kann.

Diese Aussagen meinerseits beruhen auf meiner Überzeugung, dass sie gut sind für unseren Betrieb, für die Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung und für die Volkswirtschaft auch für die weitere Zukunft. Ich übernehme darüber auch meine volle Verantwortung und möge primär dort gespart werden wo am meisten zu sparen ist, nicht dort wo immer schon rationalisiert und gespart wurde.

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Hans Bibera Mi., 21.01.2015 - 09:55

... irgend etwas scheine ich nicht verstanden zu haben.
Es geht doch um zukünftige rechtliche Vorschriften. Bei der Klagewut der heutigen Bürger, möchte ich wissen, wer beim geringsten Fehler nicht jeden nur möglichen "Form-Fehler" nutz um Geld heraus zu schlagen.
... und noch etwas würde mich interessieren: Wo lassen sich die Ärzte operieren?
In der Peripherie oder in der Zpezialklinik?

Mi., 21.01.2015 - 09:55 Permalink