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Unterland United: Streaming Rotterdam

Sechs Techno-Kollektive aus dem Unterland nehmen morgen an einem Streaming-Event des niederländischen Labels PRSPCT Rec. teil. Stefan Gabalin meldet sich aus Rotterdam.
Das Partyvolk im Unterland bevor Corona die Szene lahm legte: Sechs Kollektive präsentieren sich in einem gemeinsamen Stream, darunter auch Culture Assault.
Foto: Sebastian Andreaus
Rudi Ratte
Bietet der einheimischen Techno-Szene mit dem Stream über PRSPCT Radio eine weltweite Plattform: Der aus Auer stammende Stefan Gabalin, der als Rudi Ratte selbst elektronische Musik macht. Foto: PRSPCT Records

 

salto.music: Stefan, du bist schon seit einer Weile Teil des Labels PRSPCT Recordings. Was machst du da genau?

Stefan Gabalin: PRSPCT Recordings ist nicht nur eine Plattenfirma sondern auch eine Agentur für die Vermittlung für MusikerInnen, Radio Station und Event Organisation. Was ich genau mache ist vielleicht ein bisschen zu umfangreich zu erklären, da ich in so gut wie alle Bereiche involviert bin. Jedoch liegen meine Aufgaben generell im Bereich Vorbereitungsprozesse von Veröffentlichungen auf Schallplatte oder Digital und der Event Organisation. Etwas weniger Zeit investiere ich in die Agentur. Da es aber seit fast zwei Jahren fast keine Events mehr gibt, habe ich mir die Entwicklung, Planung und Verwaltung der PRSPCT Radio Station / App zur Hauptaufgabe gemacht.

salto.music: Und wie geht es deinem musikalischen Alter Ego Rudi Ratte?

Stefan Gabalin: Den Umständen entsprechend eigentlich ziemlich gut. Rudi Ratte ist immer noch auf Spur, um mit seinen DJ-Sets zu beeindrucken, neue noch nicht so bekannte Musiklandschaften zu erkunden und Vertrautes so klingen zu lassen, wie es vielleicht noch niemand gehört hat. 

Auch wenn es seit fast zwei Jahren leider beinahe keine Live-Auftritte mit Publikum gab, gab es dafür aber unzählige Live-Streams, und das ist für meine Art von DJ-Sets eigentlich förderlich, da sie nicht immer nur allein aus Dancefloor-Hits bestehen. Jedoch fehlt mir die unvergleichbare Energie eines Live-Gigs mit Tanzvolk und vor allem die Musik und die Licht-Anlagen, die einen Auftritt meist noch extra speziell machen.

 

Steigt für das Bozner Scum Collective in den „Streaming-Ring”: Der junge Techno-Producer DJ Lint, hier bei einer Techno-Party auf der Haderburg bei Salurn im Sommer 2021.
Steigt für das Bozner Scum Collective in den „Streaming-Ring”: Der junge Techno-Producer DJ Lint, hier bei einer Techno-Party auf der Haderburg bei Salurn im Sommer 2021.Foto: rhd

 

salto.music: Du bereitest für morgen – Samstag, 22. Jänner 2022 – einen Stream für PRSPCT Radio vor, an dem ausschließlich Kollektive aus dem Unterland teilnehmen. Was ist PRSPCT Radio konkret? Ein YouTube-Kanal über den gestreamt wird oder ist es doch mehr als das?

Stefan Gabalin: PRSPCT Radio ist nicht nur ein YouTube-Kanal, sondern auch eine Smartphone-App. Schon vor Corona gab es mindestens einmal im Monat eine PRSPCT Radio Live-Sendung über YouTube von einem Caffè in Rotterdam aus. Aber als die Pandemie begann und wir alle zuhause saßen, waren wir so zuversichtlich und sagten, dass wir jeden Tag ein DJ Set live streamen werden bis wir wieder zum normalen Leben zurückkehren können. Wir dachten nicht, dass das noch so lange dauern würde... 

Nach zwei Monaten meinte ein Kollege von uns dann, dass er Radio-Apps entwickeln würde und ob wir denn nicht Interesse daran hätten. Somit war auch die App geboren. Mittlerweile haben wir deshalb noch fast jeden Tag eine Live-Stream. Die App hat auch schon fast 10.000 Downloads und beinhaltet auch ein Archiv mit einem diversen Angebot von Talk- und Music-Shows von Künstlern aus der ganzen Welt. Im Jahr 2021 hat die App sogar den Rotterdam Music Award für die beste Corona-Initiative gewonnen.

Rotterdam und die Niederlande können hier sicherlich Vorbild sein, diese Art von Kultur genießt hier einen hohen Stellenwert und wird ausreichend gefördert, vor allem aber nicht ausgebremst.

salto.music: Welche Kollektive werden zu hören sein? Was sollten wir wissen, wenn wir den Stream mitverfolgen wollen?

Stefan Gabalin: Einige Kollektive aus dem Unterland vereinen sich hier, um gemeinsam ein paar Stunden guten Sound-Content zu generieren. Man kann dies auch als eine Art Schulterschluss sehen, gemeinsam für mehr Awareness für den Sound des Undergrounds in Südtirol zu werben und das Thema Subkultur und Clubkultur aktiv anzuschieben. Rotterdam und die Niederlande können hier sicherlich Vorbild sein, diese Art von Kultur genießt hier einen hohen Stellenwert und wird ausreichend gefördert, vor allem aber nicht ausgebremst. Außerdem stärken wir mit dieser Aktion die Achse Rotterdam-Südtirol, ermöglichen Kulturaustausch und exportieren damit auch einheimische Künstler ins europäische Ausland – eine Maßnahme, welche Labels wie Culture Assault ja schon jahrelang betreiben. Ein Import-Export-Geschäft also.

Am Samstag werden die Kollektive HOSPIZ (Toni Telefoni), MIK (Marian), Culture Assault (Moira), SCUM (DJ Lint), RAUM (DJ Fedl) und RITUAL TEKNO (BongoBass) mit einem jeweiligen Vertreter zu hören sein. Der Stream beginnt um 19:00 Uhr und ist über dem PRSPCT YouTube Channel, der PRSPCT Website und natürlich der PRSPCT Radio-App mit verfolgbar. Die App kann man kostenlos im Apple App Store oder Google Play Store downloaden.

 

Raum ist eines der sechs Kollektive, die an dem „PRSPCT Radio Stream” teilnehmen: DJ Fedl – ein Trudner – vertritt Raum, eine Gruppe, die die elektronische Musik als Teil von etwas Größerem sieht und inszeniert.
Raum ist eines der sechs Kollektive, die an dem „PRSPCT Radio Stream” teilnehmen: DJ Fedl – ein Trudner – vertritt Raum, eine Gruppe, die die elektronische Musik als Teil von etwas Größerem sieht und inszeniert. Foto: Lukas Larcher

 

Dafür fehlen die passenden Clubs und Locations, es gibt zu wenig Fördermaßnahmen seitens der Provinz und die frühe Sperrstunde ist auch nicht gerade ideal.

salto.music: Wenn du all diese neuen Aktivitäten der hiesigen Techno-Kollektive siehst, zieht es dich nicht wieder in Unterland … bzw. wie bewertest du diesen scheinbaren Frühling in der alpinen Technoszene aus der Ferne?

Stefan Gabalin: Ich komme gern und oft ins Unterland zurück, und nicht nur um fantastisch zu essen und guten Wein zu trinken, aber definitiv auch um die dortige Kultur-Szene zu genießen. Aufstrebende Kollektive wie SCUM zu sehen, die sich Mühe geben was Cooles auf die Beine zu stellen, freuen mich dann auch immer umso mehr, da es in Südtirol einem leider noch immer nicht besonders leicht gemacht wird, Musik Events auf internationalem Standard zu organisieren. 

Dafür fehlen die passenden Clubs und Locations, es gibt zu wenig Fördermaßnahmen seitens der Provinz und die frühe Sperrstunde ist auch nicht gerade ideal. Vor allem die hiesige Mentalität könnte ein Update vertragen. Jedoch werde ich immer wieder überrascht was für tolle Events im Rahmen des Möglichen stattfinden.

salto.music: PRSPCT Records agiert von Rotterdam, den Niederlanden aus. Hat Techno aus einem kleinen Land im Süden der Alpen überhaupt eine Relevanz für ein Land, in dem Techno und Hardcore seit vielen Jahren quasi zu Hause ist? Ist das nicht eine etwas ungleiche Beziehung – trotz Internet etc.?

Stefan Gabalin: Südtiroler MusikerInnen haben nicht nur eine Relevanz in den Niederlanden, sondern generell in der gesamten Welt der elektronischen Tanzmusik, da sich viele Südtiroler KünstlerInnen auch international einen Namen gemacht haben (allen voran natürlich schon in den Achtziger Jahren mit Giorgio Moroder).

Aber auch heutzutage haben wir von Techno bis Hardcore mehrere Aushängeschilder.

In Südtirol werden Kreativ- und Musikwirtschaft noch immer unterschätzt, wir setzen zu viel auf Tourismus und Landwirtschaft. (...) Das ist hier in den Niederlanden ganz anders.

Das könnte damit zusammenhängen, dass junge Menschen hier in Südtirol oft schon in jungen Jahren die Möglichkeit haben kulturell und kreativ tätig zu sein, z.B. als DJ oder als aktiver Teil eines Labels oder eines Kollektivs. Darüber hinaus gibt es immer wieder Punkte zum Andocken, wie z.B. den Jungle Music Incubator, die junge Menschen bei ihrem künstlerischen Werdegang nachhaltig unterstützen. Dass dann aber trotzdem viele ins Ausland auswandern, hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass in Südtirol Kreativ- und Musikwirtschaft noch immer unterschätzt werden, wir setzen zu viel auf Tourismus und Landwirtschaft. Statt zu schauen, junge kreative Menschen nachhaltig nach Südtirol zu holen, schauen wir gerne zu, wie uns viele gute Köpfe abhauen. Das ist hier in den Niederlanden ganz anders, hier versammelt sich seit Jahren eine kreative Elite aus ganz Europa. Diese Menschen haben eine freie Denkweise, liefern andere Problemlösungen und die lokale Gesellschaft und Wirtschaft profitiert enorm. Ich wünsche mir, dass die lokalen EntscheidungsträgerInnen in Südtirol mehr Mut für wirkliche Veränderung aufbringen könnten, nicht nur kosmetische Alibiaktionen. Hierzu müssen sie sich auch trauen, einen Raum zu öffnen, die Basis einzubeziehen. Die Veränderung muss von unten kommen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die BASIS Vinschgau. Bitte mehr davon!

 

Sechs der aktiven Techno-Kollektive aus dem Unterland: Hospiz, Culture Assault, MIK (Minimal isch kriminal), Raum, Scum Collective und Ritual Tekno.
Sechs der aktiven Techno-Kollektive aus dem Unterland: Hospiz, Culture Assault, MIK (Minimal isch kriminal), Raum, Scum Collective und Ritual Tekno. Grafik: PRSPCT Radio

 

Die Szene muss sich speziell in dieser Zeit einig werden und gemeinsam proaktiv nach vorne schauen.

salto.music: Ist dieser Stream ein einmaliger Event oder denkt ihr weiter?

Stefan Gabalin: Dieser Stream wird kein Einzelfall bleiben. Wir planen alle Hospiz-Live-Events, die meist im Jugend- und Kulturzentrum Point in Neumarkt stattfinden, über PRSPCT Radio zu übertragen. Geplant sind auch weitere Live Sessions mit anderen Kollektiven aus ganz Südtirol. Die Szene muss sich speziell in dieser Zeit einig werden und gemeinsam proaktiv nach vorne schauen.

salto.music: Und noch eine letzte Frage: Wir haben erfahren, dass sich das „Ghost Producing” in letzten Jahren in der elektronischen Musik zu einem negativen Phänomen ausgewachsen hat. Kannst du das bestätigen? Was denkst du darüber und wie geht euer Label damit um?

Stefan Gabalin: Ghost Producing ist sicherlich ein häufiges Phänomen, das es eigentlich in der Popmusik und in anderen Musik-Genres seit langem gang und gäbe ist. Man sollte auch unterscheiden, ob alles von jemand anderen gemacht wurde, oder ob die Musik zusammen mit einem Studio-Engineer aufgenommen wird. Letzteres war besonders in den frühen Jahren von elektronischer Tanzmusik ziemlich die Norm, da sich fast niemand das Equipment von jener Zeit leisten konnte.

Jedoch finde ich dieses Phänomen nicht so verwunderlich, da in der heutigen Zeit sowieso oft Social-Media und Bühnenshow wichtiger sind als das Talent eines Künstlers. Dies lässt sich vielleicht darauf zurückführen, dass gewisse Sparten der Szene – unter anderem auch Hardcore – kommerzieller und geldorientierter sind als andere.

Bei PRSPCT wird vor allem auf Musik der Marke Eigenbau gesetzt, und wir veröffentlichen damit viel authentisches und persönliches Material, man könnte sagen Kunsthandwerk. 

 

Wird m Samstag, 22. Jänner 2022, ab 19 Uhr, Techno aus dem Unterland streamen: Das vom in Rotterdam angesiedelten Label PRSPCT Recordings betriebene gleichnamige Radio.
Wird am Samstag, 22. Jänner 2022, ab 19 Uhr, Techno aus dem Unterland streamen: Das vom in Rotterdam angesiedelten Label PRSPCT Recordings betriebene gleichnamige Radio. Grafik: PRSPCT Recordings

 

Links:

YouTube-Link zum Stream: https://www.youtube.com/watch?v=xnWAM5iWZvo

PRSPCT Radio: https://www.prspct.nl/prspct-radio/
Rudi Ratte auf Soundcloud: https://soundcloud.com/gabbaassault
Die PSPCT-Radio-App im Apple App Store: https://apps.apple.com/gb/app/prspct-radio/id1518772391
Die PSPCT-Radio-App im Google Play Store: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.PRSPCTRADIO.app

und – als Bonus-Track – die Spotify-Playlist „Einheimisch Techno”: https://open.spotify.com/playlist/2z2HIdgWGEwD4yBEx0h19V

 

Das Partyvolk im Unterland bevor Corona die Szene lahm legte: Sechs Kollektive präsentieren sich in einem gemeinsamen Stream, darunter auch Culture Assault.
Das Partyvolk im Unterland bevor Corona die Szene lahm legte: Sechs Kollektive präsentieren sich in einem gemeinsamen Stream, darunter auch Culture Assault. Foto: Sebastian Andreaus