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Aus Brixen, verweht

Ein Gastbeitrag über Reflexionskraft, Pointensicherheit, Dialektik und "Tengisur". Als persönliche Erinnerung an den Dichter Gerhard Kofler.
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Foto: ZeLT

Zunächst: Ein Dank an Zelt, an Alma Vallazza, Maria Piok, Erika Wimmer Mazohl, Hannelore Kofler Bugnolo und an alle Beteiligten, zumal den Gestalter Peter Karlhuber, für das Ermöglichen der Ausstellung und den Abend zur Erinnerung an Gerhard Kofler - ein Geschenk an Brixen und die neue Bibliothek. Deren Namenspatronin Kathi Trojer (1930-2015) war eine Stadträtin, die Kultur und Literatur brennend interessierten. Sie hätte an dem Abend gewiss teilgenommen und das homecoming von Gerhard Kofler auch offiziell begrüßt. 
 

Da ich manchen Unbekannten, die am Haus vorbei defilierten, Namen zu geben pflegte, nannte ich den jungen Mann klammheimlich „Tengisur“ und belegte ihn so mit einem östlichen Phantasienamen, ganz so, als wäre er ein Abgesandter aus dem fernen Aserbeidschan oder Kirgisien.


Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick, ein Flashback auf meine Kofler-Wahrnehmung in Brixen und auf das, was er dieser Stadt bedeuten könnte, was er mir bedeutet. Selbst habe ich Gerhard Kofler nicht persönlich gekannt, da ich nach der Volksschulzeit Mittel-, Oberschule und Studium auswärts verbracht habe, sodass ich in Brixen und im heimischen Mikrokosmos des „Elephanten“ lange ohne Bekanntschaften war. War ich in den Ferien zuhause, so blickte ich bis zum 28. Lebensjahr, bis um 1980, distanziert, skeptisch, oft angewidert auf eine Stadt, deren angegraute Provinzialität und Bigotterie ob der „verrosteten ethnischen Gitterstäbe“ (GK) und anderer Maßstäbe, die nicht die meinen waren, als Zumutung erschienen. Da ich kaum jemanden kannte, blickte ich mit 17, 18, so um 1970, oft aus dem Fenster des „Elephanten“ in die Weißlahnstraße, um zu beobachten, wer da vorbeiging. Da fiel mir regelmäßig ein Jugendlicher kleinerer Statur auf, mit auffallend langem Haar, der mit festem Schritt, stets geradeaus blickend, das Haus passierte und dann gegen Westen strebte. Da ich manchen Unbekannten, die am Haus vorbei defilierten, Namen zu geben pflegte, nannte ich den jungen Mann klammheimlich „Tengisur“ und belegte ihn so mit einem östlichen Phantasienamen, ganz so, als wäre er ein Abgesandter aus dem fernen Aserbeidschan oder Kirgisien. Allmählich erst erfuhr ich, Tengisur sei der Sohn des Radiofachmanns und -technikers Kofler in der nahen Altenmarktgasse, wo ich erste Transistorradio und Kassettenrecorder erwarb. Freilich nicht die ersehnten Beatles-LP’s wie Revolver und Sgt. Pepper, für die man die Bozner Electronia aufzusuchen hatte, wo sie trotz unkundigen Personals von unfassbarer Pop-Ignoranz um 3.000 Lire käuflich zu erwerben waren.
 


Da Gerhard Kofler bald auswärts studierte und nur mehr sporadisch in Brixen weilte, ergab sich keine Gelegenheit zu persönlichem Kennenlernen, obwohl mir der Vater, die Mutter, Schwester Monika und ihr Mann Peppi wohl bekannt waren, ab 1981 auch in Sichtweite, als Nachbarn der Kachleraustraße, wo ich mit meiner Familie lebe.
Ein erstaunliches Manko, denn als Kulturreferent der Innsbrucker SH 1975/76 waren mir Südtiroler Autoren früh vertraut. So hatte ich früh Joseph Zoderer kennen gelernt, bereits damals von porentiefem Selbstgefühl, auch N. C. Kaser, der im „Elephanten“ vorbei schaute, begleitet von Johannes Trojer, und dann – dort eingeladen zu Fisch und Neustifter Sylvaner – uns das Gedicht „Forelle des Hauses“ widmete, wie er dies wohl auch in anderen Gaststätten zu tun pflegte. An Literatur und Lyrik interessiert, waren mir Gerhard Koflers „Südtiroler Extravaganzen“, 1981 erschienen, zeitlich platziert zwischen Kasers „Eingeklemmt“ und Zoderers „Walsche“, wahre Augenöffner in zweifachem Sinn. 
Zum einen dank ihrer präzisen Lakonie, in der jedes Wort saß, keines zuviel war. Ihre Reflexionskraft, Pointensicherheit und Dialektik trafen das, was mir in Südtirol fehlte, wo Kitsch, volkstümliche Schwurbelei und sprachlose Ohnmacht den Alltag prägten. Koflers Extratouren erinnerten in ihrer scheinbaren Kargheit und existenziellen Haltung an Blueszeilen von Sam Lightning Hopkins oder Otis Rush, die mir damals Lebenselixier waren. Auch eignete ihnen jene Schärfe und Genauigkeit, die ein fast gleichaltriger DDR-Dissident wie Jürgen Fuchs aufbot. 
 


Und zweitens entdeckte ich die „Extravaganzen“ als ein Tableau, um das mir fremde, so befremdende Brixen neu zu lesen. Die Stadt schien plötzlich erträglicher, wenn ich sie im Gedicht „Eisack“, „Friseure“ und „Nino Bar“ de- und rekonstruiert sah. Im Blick Koflers wurden der Schraubstock und die Einheitsmelasse von Kirche, Mehrheit und Konformität, oft noch mit bräunlichem Überzug, plötzlich erträglicher. Und die Personenporträts von Anna Maria Sieff und der Bibliothekarin Mirca Lusignani, Bibliothekarin an der Niederlassung der Universität Padua, legten Schneisen in die andere Sprachgruppe. Auch die Anklänge an einen Vater-Sohn-Konflikt, die der Autor zu erkennen gab, waren mir nicht unvertraut, ebenso wenig wie die „Toten in der Familie“.
 

Die stille Intensität, die ihn und sein Werk umgeben, wird andauern.


So verdanke ich es wesentlich Gerhard Koflers Gedichten, die mir ab 1980 ein anderes Brixner Lebensgefühl erschlossen, dass die Beengung sich weitete, soziale Atemnot sich milderte, bald auch durch eigenes Zutun. 
Heute, im Alter, wo die Beengung neuerlich spürbar wird, in anderer Form wiederkehrend, ausgelöst durch das neoliberale Redesign der Stadt, das Brixen nicht heller macht, wohl aber greller, bietet Kofler wieder Rückhalt. Dass dieser Stadt ein großer Dichter entsprungen ist, der, ohne Getöse und Selbstüberhöhung, zudem in einer gewerkschaftlichen Mentorenfunktion, ein immenses Ouevre realisiert hat, buchstäblich bis zum letzten Tag, anschlussfähig an Weltliteratur, ist ein großer Trost. Die stille Intensität, die ihn und sein Werk umgeben, wird andauern. Auguroni, lieber Gerhard Kofler, auch aus der Heimat Brixen/Bressanone/Persenon. 
 


 

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△rtim post Mi., 15.02.2023 - 14:50

Eines war Kofler jedenfalls bestimmt nicht. Larmoyant.
Als kleines Trostgedicht für Heiss: "Ich war jung und dachte das Alter sei furchtbar.
Ich wurde alt und erkannte: Ich hatte Recht" (Gabriele Böhning)

(*1948), Autorin und Lyrikerin

Mi., 15.02.2023 - 14:50 Permalink
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Lollo Rosso Mi., 15.02.2023 - 22:28

Berührende Worte für einen Großen, den man hier immer noch zu wenig kennt. Mögen sie den einen oder anderen dazu anregen, sich seine Gedichte zu Gemüt zu führen. Danke dafür!

Mi., 15.02.2023 - 22:28 Permalink