Gesellschaft | Bombenjahre

Versöhnung in Telfs

Ein neuer Film bringt den Südtirol-Attentäter Siegfried Steger und Dina Tiralongo, die Tochter des Mühlwald erschossenen Carabinieri Vittorio Tiralongo erstmals zusammen.
Tiralongo 2
Foto: Oberhofer
Es war eine bewegende und beeindruckende Szene, die ich so schnell nicht vergessen werde“, sagt Artur Oberhofer. Der Chefredakteur der Neuen Südtiroler Tageszeitung und Filmemacher hat zwei Welten, die kaum gegensätzlicher sein könnten und bisher aufeinanderprallten, für einen Dokumentarfilm erstmal zusammenzuführen.
Im vergangenen Juni trafen sich in Telfs vor laufender Kamera Dina Tiralongo und Siegfried Steger erstmals. „Anfänglich war bei beiden großes Misstrauen da“, beschreibt Oberhofer die Begegnung, „doch am Ende hat das Menschliche gesiegt“.
Um die historische Tragweite dieser Begegnung zu verstehen, bedarf es einer kurzen Beschreibung der beiden Personen.
Dina Tiralongo ist die Tochter, des am 3. September 1964 in Mühlwald erschossenen Carabinieri Vittorio Tiralongo. Tiralongo war von Unbekannten auf dem Balkon der Kaserne hinterrücks erschossen worden. Dina Tiralongo hatte wenige Tage vor dem feigen Mord in Mühlwald ihren ersten Geburtstag gefeiert.
Siegfried Steger, Südtirol-Attentäter, einer der vier Pusterer Buam, seit 1961 in Deutschland und Österreich ansässig und in Italien rechtskräftig zu zwei Mal Lebenslänglich verurteilt, gilt für die italienische Justiz vom Tattag an als einer der Hauptverdächtigen dieses Mordes.
In Telfs standen sich nicht nur diese beiden Menschen gegenüber, sondern mit Dina Tiralongo war auch ihre Mutter Franca Cornella gekommen. „Siegfried Steger war sehr in der Defensive, unsicher und es hat fast eine halbe Stunde gedauert, bis er das Eingangsgitter geöffnet hat, dann aber ist das Eis gebrochen“, beschreibt Oberhofer die Szene.
 
 
Dass die Begegnung fast 60 Jahre nach dem feigen Mordanschlag geglückt ist, liegt an drei Hauptpersonen. Dina Tiralongo war jahrelang im Gefolge von Alleanza Nazionale und Alessandro Urzí aufgetreten und von der italienischen Rechten als lebende Anklage gegen die Begnadigung der noch lebenden Südtirol-Attentäter verkauft worden. Der Autor dieser Zeilen hat Dina Tiralongo bereits vor einigen Jahren getroffen. Die Frau ist in Wirklichkeit eine politisch absolut gemäßigte Person, die ihre eigene Lebensgeschichte aufarbeiten will und weder Revanche- noch Hassgefühle hegt.
Siegfried Steger ist seiner Linie treu geblieben. Er ist aber einer, der sich der Verantwortung stellt. In zwei autobiographischen Büchern erzählt der heute 81jährige Steger seine Geschichte und übernimmt auch für Anschläge die Verantwortung, bei denen es Tote gab. „Man war im Krieg, wir waren Soldaten“ lautet seine Botschaft „und es tut mir um die Opfer auf beiden Seiten leid.“ Steger wünscht sich, dass man auch den Opfern auf italienischer Seite ein Denkmal in Südtirol setzen würde, wo die Angehörigen ein Vaterunser beten könnten.
Diese Gangart widerspricht der Linie mancher politischer Kreise, die alle Mordanschläge dem italienischen Geheimdienst in die Schuhe stecken wollen und sie hat Steger in manchen Kreisen der Patrioten zur persona non grata gemacht.
Auch im Oberhofer-Film kommt diese Haltung zum Ausdruck. Siegfried Steger erklärt, das was er seit 60 Jahre sagt: Wir Pusterer Buam waren das nicht. Dennoch aber übernimmt er indirekt auch die Verantwortung für diesen Mord. „Es war unser Freiheitskampf und dieser Carabinieri ist dabei umgekommen“, meint er nachdenklich.
Aber auch Dina Tiralongo sagt im Film, dass sie die Mörder ihres Vaters und die Terroristen von damals auch als Opfer sehe, weil es junge Burschen waren, die von der Politik manipuliert worden seien.

„Ich will ihm in die Augen sehen – Die Tochter und der Attentäter“ von Artur Oberhofer, Manfred Unterpertinger und Hendrik van den Driesch wird am Montag, 15. März, um 20.20 Uhr erstmals auf Rai Südtirol ausgestrahlt.
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Profil für Benutzer Michael Keim
Michael Keim Mi., 17.03.2021 - 23:27

Abgesehen davon, dass die beiden Italienerinnen anscheinend wenig Ahnung von der Geschichte Südtirols haben, finde ich die "Doku" sehr schwach. Keine geschichtlichen Hintergründe? Kein Historiker? Keine Übersetzungen während des Interviews? Der gelockte Begleiter scheint wohl nur die Personenanzahl aufzurunden. Aufklärung/Erläuterung der Kommentare auf beiden Seiten? Keine Erklärung zum Tathergang (obwohl am Tatort anwesend)? Am Ende Fotos anschauen - Disneydoku-HappyEnd? Neue Erkenntnisse bzgl. DNA, Carabiniere-Zeitzeuge, Ballistik? Sinnloses, sich ständig wiederholendes Hass/Nicht-Hass/Schuld/Vorwürfe Gelaber auf beiden Seiten, ohne Gehalt. Wobei Herr Steger leider auch nicht die doch sehr fragwürdigen Unterstellungen sachlich dementiert. Sehr schade, die Idee der Doku hätte mich gleich überzeugt.

Mi., 17.03.2021 - 23:27 Permalink