Chronik | EU Wahlen 2014

Wahlschlacht der Pöbeleien

Tiefschläge und Verleumdungen dominieren den populistischen EU-Wahlkampf, den Beppe Grillo um jeden Preis gewinnen will.

"Renzi dev'essere eliminato come frutta avariata." Wenn in Italiens Polit-Szene gepöbelt wird, steht Beppe Grillo stets in vorderster Front. Für ihn ist der Partito Democratico "il regno schifoso della peste rossa",  Matteo Renzi "un volgare mentitore assurto a leader da povero buffone di provincia".

Auf seinen täglichen Wahlkundgebungen und in seinem Blog drischt Grillo wütend auf seine Gegner ein.  Als solche betrachtet er alle, die nicht zu seiner Bewegung gehören. Silvio Berlusconi rückt den Gründer der Fünfsterne-Bewegung in die Nähe von Hitler und Stalin. Renzi will auf keinen Fall "mit diesen beiden Vorbestraften regieren." Der Ex-Komiker lässt keine Zweifel daran, daß "wir diese Wahlen gewinnen werden." Meinungsumfragen dürfen nicht mehr veröffentlicht werden. Die letzten sahen den Partito Democratico mit 34 Prozent vor dem M5S mit 25%.  Doch der PD muß vor allem in Süditalien um den Erfolg bangen.

Sachthemen haben in diesem Wahlkampf, in dem  Lega Nord und Fünfsterne-Bewegung alle anderen Parteien mit populistischen Tönen attackieren, keine Chance. Beide fordern eine Volksabstimmung über den Euro, obwohl die Verfassung Referenden zu Finanz- und Steuerthemen verbietet. Für Grillo ist die EU-Wahl "il voto piú politico di sempre". Für ihn läutet der 25. Mai "ein neues Zeitalter in Italien ein." Seine Bewegung gehe "nicht nach Brüssel, um zu verhandeln, sondern um die Verträge zu zerreißen, die Italiens Regierungen unterschrieben haben." Daran bestehen freilich berechtigte Zweifel. Denn auch bei einem optimalen Ergebnis wird seine Bewegung in Brüssel nur rund 20 der 751 Abgeordnten stellen, die Lega Nord bestenfalls fünf.  Dass 20 unerfahrene Parlamentarier internationale Verträge zerreißen, darf bezweifelt werden. Zwei Verlierer dieser Wahl dürften bereits feststehen. Forza Italia droht ein Absturz von 35 auf 20 Prozent. Und die linke Tsipras-Liste mit ihren prominenten Intellektuellen, die zehn Prozent als realistisches Wunschziel angegeben hatte, liegt in allen Umfragen unter der Sperrklausel von vier Prozent.

Auffällig ist, daß der aggressive Wahlkampf nicht von den Parteien geführt wird, sondern von den drei großen Kontrahenten Grillo, Berlusconi und Renzi. Vor allem Forza Italia und M5S wären im Wahlkampf ohne ihre Parteigründer chancenlos: ohne Berlusconi würde seine Partei umgehend implodieren. Und kein einziger Vertreter der Fünfsterne-Bewegung könnte auch nur ein Zehntel der Massen anlocken, die zu Grillos Kundgebungen strömen. Die drei Rivalen weisen trotz offenkundiger Gegensätze etliche Gemeinsamkeiten auf: sie verfügen über ein ausgesprägtes Ego, stehen gerne alleine im Rampenlicht, neigen zu monarchischen Entscheidungen. Alle drei sind gewandte Populisten, die sich gern unters Volk mischen und  sich als Retter des Vaterlandes anpreisen. Alle drei nehmen für sich in Anspruch, mit den Ritualen der alten Politik gebrochen zu haben und attackieren im Wahlkampf die Gewerkschaften. Doch das aggressiv-hysterische Klima kommt bei einem großen Teil der Wähler nicht an. Ernüchterndes Fazit: zur Kür der 73 italienischen Parlamentarier in Brüssel am 25. Mai werden sich 20 Millionen politikverdrossene Italiener gar nicht erst in die Wahllokale bemühen.

 

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Lorenz Gallmetzer Sa., 17.05.2014 - 11:17

Es stimmt, dass auch Renzi ordentlich auf der populistischen Schiene fährt, wenn auch ohne die stil- und schamlosen Pöbeleien seiner Kontrahenten. Nur: gibt es derzeit eine halbwegs glaubwürdige Alternative zum "Experiment Renzi"?
Und vor allem: was bedeutet das Stimmverhalten der ItalienerInnen für die Zusammensetzung des EU-Parlaments und für die Bestimmung des neuen Kommissionspräsidenten? Wer die beiden TV-Debatten auf Euronews und auf den öffentlich-rechtlichen Sendern gesehen hat, muss doch sagen: Juncker, Verhofstadt und Keller sind ja alle recht ok und überzeugte EuropäerInnen. Doch der einzige der zu einer spürbaren Kurskorrektur der EU-Politik beitragen könnte, ist und bleibt der Sozialdemokrat Schulz. Also sind Stimmen für die Grünen, Tsipras & Co. eigentlich ein Geschenk an die Anti-EU-Kräfte. lg LG

Sa., 17.05.2014 - 11:17 Permalink