Politik | Regierungsbildung

Der Volkstribun

Matteo Salvini gibt sich gerne jugendlich. Doch er ist länger in der Politik als Silvio Berlusconi. Gearbeitet hat er nie.
Matteo Salvini
Foto: Facebook/Matteo Salvini

Er gibt sich gerne salopp: aufgeknöpftes Hemd, Jeans, die Jacke lässig über die Schulter geworfen. Ein Selfie verweigert Matteo Salvini niemandem. Sein Stil ist auf betont  jugendliche Wirkung bedacht. Die Realität sieht freilich anders aus: der Lega-Chef ist länger in der Politik als Silvio Berlusconi. Mit 17 trat er der Partei bei. 1993, als Berlusconi sein Fininvest-Imperium aus der Taufe hob, sass der 20-jährige bereits im Mailänder Gemeinderat. Gearbeitet hat Salvini nie. Der Corriere-Journalist Davide Vecchi hatte ihn mit diesem Vorwurf zu einer Anzeige provoziert. Doch der Richter wies die Klage ab: "Salvini non ha potuto dimostrare di aver fatto qualcosa al di fuori della Lega." 

Wann hätte Matteo Salvini denn auch arbeiten sollen? Über Jahre war er Dauerkandidat für politische Ämter. Über 20 Mal stand er auf den Kandidatenlisten von Gemeinderat, Kammer, Senat, Regionalrat und Europaparlament. Ein Vierteljahrhundert hat der 45-Jährige bereits in der Politik verbracht – jetzt setzt er endlich zum grossen Sprung in den römischen Chigi-Palast an. Seine Slogans könnten aus Trumps Wahlkampf stammen: "Prima gli italiani", "Legittima difesa sempre", "Stop invasione", "Fornero va fan culo"
20 Jahre lang führte er den Kampf der Lega Nord gegen di meridionali an.  Auf dem traditionellen Fest der Lega in Pontida zog er mit gehässigen Spottgesängen gegen die Süditaliener zu Feld : "Napoli merda, Napoli colera, sei la vergogna dell'Italia nera" oder "Senti che puzza, scappano anche i cani, stanno arrivando i napoletani."
Dann, vor zwei Jahren, vollzog der zum Parteichef aufgestiegene Salvini zur Entrüstung der alten Garde um Bossi und Calderoli den historischen Schwenk: "Amici del sud, siete miei fratelli". 
Coerenza da sempre
 lautete Salvinis Sogan bei der jüngsten Wahl vor 70 Tagen.
Denkwürdig sein Auftritt bei einer Wahlkundgebung auf dem Mailänder Domplatz , auf der Salvini einen Eid auf das Evangelium ablegte – den Rosenkranz in der einen, die Bibel in der anderen Hand. Dass einer, der zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen hat und mit einer dritten zusammenlebt, auf das Evangelium schwört, veranlasste den Mailänder Erzbischof zu einer irritierten Stellungnahme.
 
Salvini zeigte sich stets als Pragmatiker. Seiner ersten Frau verschaffte er nach der Trennung einen Job in der vom Rechtsbündnis regierten Gemeinde, der zweiten eine Anstellung in der von seinem Parteifreund Maroni regierten Region Lombardei. Seine jüngste Lebensgefährtin, die TV-Moderatorin Elisa Isoardi, postet auf Facebook gerne Fotos, die sie beim Bügeln seiner Hemden zeigt. Heile, patriarchalische Lega-Welt.
 
"Nelle nostre liste non troverete riciclati", hatte sich Salvini gerühmt. Doch unter den Kandidaten schien auch der Lega-Gründer Umberto Bossi auf – wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder ebenso rechtskräftig verurteilt wie der Schatzmeister Francesco Belsito und die beiden Bossi-Söhne Renzo und Riccardo.  31 Jahre nach Beginn seiner Laufbahn konnte der vom Schlaganfall gezeichnete Senatur erneut in den Senat zurückkehren. Dass die Richter zwei Millionen Euro beschlagnahmten, die die Lega unrechtmässig vom Staats kassierte hatte, wertete Salvini als attacco alla democrazia: "Si vuol mettere il bavaglio alla democrazia." Kein Wort verlor er darüber, dass die von ihm geleitete und 2015 mit der Entlassung der Journalisten geschlossene Parteizeitung La Padania in den 17 Jahren ihres Bestehens 61 Millionen Euro vom Staat kassiert hat.
 
Als Regierungsmitlied hat der hemmungslose Populist nun endlich Gelegenheit, die Vielzahl  seine Wahlversprechen in die Tat umzusetzen:  die Abschiebung von 600.000 illegalen Immigranten, eine Zulage von 400 Euro für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr, den kostenlosen Kindergarten für alle Familien mit Einkommen unter 60.000 Euro, die Abschaffung des verhassten Fornero-Rentengesetzes... 
 
Interessant mutet vor allem die Verwirklichung von zwei Vorhaben an: der Programmpunkt Ci riprenderemo la sovranità bleibt ohne Details. Und das Bekenntnis Difenderemo la cristianità  ist mit harscher Kritik am Papst verbunden, "perchè Francesco chiede accoglienza e solidarietà, valori opposti a quelli portati avanti dalla Lega".
Seinen eigenen Aufstieg hat der selbstgefällige Akteur, dem sein Parteifreund Roberto Maroni "metodi stalinisti" vorwirft, in einem autobiografischen Buch nachgezeichnet. Titel: Secondo Matteo – follia e coraggio per cambiare il paese.
Nun, da die Regierungsbildung mit der Fünfsterne-Bewegung mangels Einigung zu scheitern droht, könnte Salvini Zeit finden für einen zweiten Band. Vorschlag für den Titel: Molto rumore per nulla.
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alfred frei Di., 15.05.2018 - 11:20

Jetzt fehlen noch der gesegnete Lebenslauf von Silvio Berlusconi, die Auflösung des Parlaments, Wahlen in der Badehose und die Übernahme der Macht des sogenannten Rechtslagers. Mit einer blockfreien SVP, den Schützenbeistand und einer doppelten Staatsbürgerschaft kommen wir in Südtirol über die Runden, oder nicht ?

Di., 15.05.2018 - 11:20 Permalink
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Karl Trojer Di., 15.05.2018 - 11:26

Diese Biographie haut einen um... Was steht uns da mit einem Salvini, x-volte-riciclato, noch bevor ? Zu dumm die PD-ler, die ihm den Vortritt ließen und nun auf der Rutsch sitzen... Italien mag ein Paradies für Kreativität sein, wenn diese aber nach weit rechts ausufert und das nun zur Zähmung fähig erscheinende Chaos die Balance halten soll, dann muss sich Europa warm anziehen...

Di., 15.05.2018 - 11:26 Permalink
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Alex MBenga Di., 15.05.2018 - 13:55

Antwort auf von Karl Trojer

Naja, Gott sei Dank, haben wir es nicht mit der PD zu tun. Was sicherlich nicht heisst, das Lega und M5S besser sind, obwohl, schlimmer als die PD, na da müssten sich die Herren Salvini und DiMaio schon sehr anstrengen. Was die PD und ihre Konsorten alles auf dem Kerbholz haben, diese muntere Schar an Ex-DC-lern, möchtegern Kommunisten und sonstigen Politikwaisen, allen vorran ihr sauberer Herr Renzi, man will es nicht wissen. Im Sumpf der italienischen Politik, sind diese "Saubermänner" ohnehin alle gleich schlimm. Warum also nicht mal das Ruder einem anderen überlassen, lange wird diese Regierung, sollte sie denn überhaupt zu Stande kommen, ohnehin nicht dauern.
Und Europa muss sich nicht erst wegen Italien warm anziehen: GB, Katalonien, Frankreich, Ungarn, Polen, etc. Es krieselt und brodelt überall, ganz einfach weil die Menschen und die Politiker sich entfremdet haben. Man lebt in Parallelwelten und solange die Politik nicht auf den Boden der Tatsachen zurürckkehrt, solange wird es auch weiter gären.

Di., 15.05.2018 - 13:55 Permalink
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Ludwig Thoma Di., 15.05.2018 - 15:47

"Sobald ein Politiker mehr Steuern eingesackt hat, als er ins System einzahlt, sollte eine Mandatsbeschränkung greifen."
Tolles System, dann könnte Berlusconi endlich in saecula saeculorum regieren.

Di., 15.05.2018 - 15:47 Permalink
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19 amet Di., 15.05.2018 - 17:16

Als was hat denn der Führer der rechten Kameraden gearbeitet ? Man kann ihm doch nicht mit Ihrer Mandatsbegrenzung das Brot wegnehmen, Herr Oliver, oder ?

Di., 15.05.2018 - 17:16 Permalink
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Christoph Moar Di., 15.05.2018 - 17:50

Antwort auf von Sepp.Bacher

Als Webmaster, Steward im Stadium San Paolo di Napoli und eine «breve esperienza come assistente regista», aus dem CV des Jahres 2013, frischer Kandidat fürs Parlament. Im CV des Jahres 2018 sind diese kleinen Jobs lieber entfernt, man spricht lieber etwas vage vom "Anstoßen" eines web-marketing-Projektes und dass der "mit-produzierte" Film in den Kinos erschien. Als Jobs werden nur mehr die politischen Ämter genannt. In seiner Heimatstadt haben 2010 ganze 59 Vorzugsstimmen nicht für einen Platz im Gemeinderat gereicht. Mit 189 Vorzugsstimmen bei Grillo online reichte es 2013 für die Abgeordnetenkammer.

Di., 15.05.2018 - 17:50 Permalink
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Sepp.Bacher Di., 15.05.2018 - 17:35

Achammer und Mair haben ihr Studium unterbrochen um jeweils bei ihrer Partei zu arbeiten - sogar als Generalsekretäre. Das heißt, sie hatten ein reguläres Arbeitsverhältnis und wurden dafür bezahlt. Laut Porträt des Südtiroler Landtages hat "Ulli Mair zusätzlich "..Politikwissenschaften, Zeitgeschichte und Kommunikationswissenschaften (studiert - ohne Abschluss). Nach mehreren Sommerjobs, auch im Ausland, war sie von 1995 bis 2000 zunächst im Gastgewerbe und dann für einige Medien tätig (Rundfunk und Tageszeitungen)." Ist schon mehr, als Salvini und Di Maio vorzuweisen haben. Vielleicht hatten auch sie bezahlte Jobs bei ihren Parteien - aber sicher nicht als Generalsekretäre!

Di., 15.05.2018 - 17:35 Permalink
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Manfred Klotz Mi., 16.05.2018 - 19:09

Nein Oliver, hier geht es nicht einfach ums Prinzip, sondern um die Machtfülle die ein, sagen wir mal "zu wenig Gebildeter" einnimmt, bzw. einnehmen könnte. Mit anderen Worten: Der Schaden, den Achammer anrichten könnte ist wesentlich geringer als der den Salvini anrichten könnte.

Mi., 16.05.2018 - 19:09 Permalink