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Superman braucht kein Flugzeug

Der 15. Mai ist Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerer. Grund genug, an den berühmtesten zu erinnern.
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Foto: DVA

Der Boxweltmeister aller Klassen war für seine Schlagfertigkeit auch außerhalb des Rings bekannt. Einmal aber fand The Greatest doch seinen Meister, oder besser gesagt: seine Meisterin. Es war auf einem Transatlantikflug, als die Stewardess nach mehrmaligem vergeblichen Auffordern partout darauf beharrte, dass Muhammad Ali sich anschnallte. Der manchmal zur Überheblichkeit neigende Ali wies das Ansinnen schließlich mit der Bemerkung zurück: "Superman braucht keinen Sicherheitsgurt". Die Stewardess konterte ungerührt: "Superman braucht auch kein Flugzeug". Ali musste lachen und legte brav den Gurt an.
Die namenlose Stewardess blieb eine der wenigen, von denen sich Ali etwas sagen ließ. Seine Renitenz begann eigentlich schon mit der Geburt. Bei dieser Gelegenheit bekam er den Namen Cassius Clay verpasst – seinen Sklavennamen, wie er später nie müde wurde zu betonen. Wer ihn dennoch so nannte, bekam dies mitunter sehr schmerzhaft zu spüren. Ernie Terrell etwa, Alis ebenfalls schwarzer Herausforderer um die Boxweltmeisterkrone. Im Vorfeld der Veranstaltung nannte er den Champion bewusst provokativ Cassius Clay, obwohl dieser gerade den Sklavennamen abgelegt hatte und seitdem Muhammad Ali hieß. Im Kampf revanchierte sich Ali: Jedesmal, wenn er einen Treffer setzte, fragte er Terrell: „Was ist mein Name?“ Um unmittelbar ein „Muhammad Ali“ hinterherzuschieben – und das 15 Runden lang. „Brutal!“ „Eklig!“ Gemein!“, zeterten weiße Journalisten in den Sportredaktionen von New York bis Los Angeles. Sie wollten in Alis aufgestauter Wut sowohl barbarische Zurschaustellung als auch berechnende Grausamkeit erkennen.“ Schwarze Boxfans sahen das ein wenig anders. Lag in den eindimensionalen und sich wenig voneinander unterscheidenden Kommentatoren nicht vor allem eine gehörige Portion Scheinheiligkeit?

 

Durch sein Vertrauen in die eigene boxerische Stärke, bisweilen gepaart mit überbordendem Selbstbewusstsein, wurde Ali zum Vorbild Millionen Schwarzer. Manche hatten sich in Bürgerrechtsbewegungen engagiert, fast alle waren sie auf der Suche nach einer Identität fernab von Klischees in den von Rassismus und Diskriminierungen geprägten USA. Ihnen sprach Ali aus dem Herzen und aus der Seele, als er seine 1960 bei der Olympiade in Rom gewonnene Goldmedaille aus Wut in den Ohio warf: Minuten zuvor hatte er miterleben müssen, dass ein Schwarzer in einem Imbiss nicht bedient wurde. 
Sehr viel politischer geriet ein weiterer Verweigerungsakt. Weil er nichts gegen Vietnamesen und auch kein Hühnchen mit dem Vietcong zu rupfen hatte, (“I ain't got no quarrel with them Vietcong“), sah Ali nicht ein, mitten in einem postimperialistischen Krieg unterm Sternenbanner Wehrdienst zu leisten und auf ihm unbekannte Gleichaltrige zu schießen. Die Folge solch widerspenstiger Gesinnung und unpatriotischen Handelns war die Aberkennung des Weltmeistertitels, gepaart mit drei Jahren Berufsverbot. Ali hatte keine Möglichkeit mehr, diese Entscheidung im Boxring zu korrigieren. Er hätte sogar in den Knast müssen, blieb jedoch gegen Kaution auf freiem Fuß. Allerdings wurde sein Reisepass eingezogen. Da er nicht arbeiten durfte und nach wie vor Rechnungen und Mitarbeiter bezahlen musste, geriet er an den Rand des Bankrotts. Immerhin durfte er noch öffentlich auftreten. Die Vorträge waren seine Rettung: Ali in Kinosälen, Ali auf Theaterbühnen, Ali auf Volksfesten, Ali vor Messepublikum, Ali in Sporthallen, Ali vor Stadiontribünen, Ali in Colleges, Hochschulen und Universitäten. Ali überall. Willkommener Nebeneffekt: Ali wurde immer populärer, auch bei Weißen.   
Als die drei Jahre endlich vorbei waren, feierte Ali ein umjubeltes Comeback gegen seinen weißen Landsmann Jerry Quarry. Auch den Argentinier Oscar Bonavena besiegte er. Anschließend trat er gegen den amtierenden Champion an, doch der Kampf  gegen Joe Frazier ging verloren. Am 30. Oktober 1974 stieg Ali gegen den hohen Favoriten George Foreman, der zwischenzeitlich den Weltmeistergürtel von Frazier erobert hatte, in den Ring. Sieben Runden sah es nicht gut aus für Ali, in der achten Runde schlug er Foreman k.o. Der Kampf fand im Kongo statt, weltweit eine Milliarde Zuschauer sahen ihn im TV. Ali enttäuschte auch seine schwarzen Anhänger daheim nicht und spendete die Hälfte der Gage der Bürgerrechtsorganisation Black Muslims. Längst war er zur Ikone schwarzen Selbstbewusstseins aufgestiegen. 
Unvergessen bleiben die Jahre zwischen 1967 und 1970. Welcher westliche Star konnte von sich behaupten,  ähnliche Mühen wie Ali auf sich genommen zu haben, den Ruin zu riskieren, um einem Herrschaftssystem zu trotzen, dass sich aus der Sicht der meisten Schwarzen kaum von einem faschistischen Regime unterschied: Die Mehrheit drückte einer Minderheit ihren Willen auf, unbarmherzig und unnachgiebig.
Wenn heute über eine Rückkehr zur Wehrpflicht diskutiert wird und mit Matteo Salvini argumentiert wird, der Militärdienst erinnere Italiens Kinder daran, dass neben Rechten auch Pflichten existierten, sollte man solchen Untertanengeist mit den Worten Muhammed Alis kontern, mit denen er seine eigene Kriegsdienstverweigerung gerechtfertigt hatte: „Ich werde meiner Religion, meinem Volk oder mir selbst keine Schande machen, indem ich ein Werkzeug werde, um diejenigen zu versklaven, die für ihre eigene Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit kämpfen.“ Die USA waren damals im Krieg, ließe sich kontern, Europa lebt im Frieden. Doch der endet schon an Italiens Außengrenzen, im Mittelmeer, wo Flüchtlingsboote auf Kriegsschiffe treffen. 
Wer noch einmal einen Einblick in Alis Prozessakten und die durchaus reflektierte damalige Berichterstattung in Medien abseits des Mainstream nehmen möchte, kann dies auf dieser Seite tun. Ali selber wird in der exzellenten Biografie von Jonathan Eig, Ali. Ein Leben. DVA, München 2018, ISBN 978-3-421-04689-5, adäquat gewürdigt. Eigs Buch ist eine packende Geschichte des anderen Amerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; auch für Nicht-Boxfans sehr empfehlenswert!