Politik | Putins Männer

Südtirols Netzwerke po-russki

Wie ein einfacher faz-Artikel in einer Recherche über Moskauer Netzwerke mündete, und was Südtirol damit zu tun hat.
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Es war am letzten Sonntag, als ich den Tag langsam und gemächlich beginnen wollte. Schließlich war Wochenende. Ein kleiner Abstecher ins Internet, um die neuesten Infos zu erhalten, musste aber doch sein. Und siehe da: Putin zündet Kerzen an, aber wieso? Waren es doch mehr russische Soldaten, die ihren "Urlaub" am Asowschen Meer verbrachten?

Mein morgendlicher Zynismus konnte falscher nicht liegen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz) veröffentlichte auf ihrem Internetportal einen Bericht über einen Moskauer Kongress. Gegenstand mehrtägiger Diskussionen war das "moderne" Familienbild, die "Bekämpfung" der Homosexualität sowie die Dekadenz der west- und mitteleuropäischen Gesellschaften. Allerlei Stoff, der derzeit anscheinend in Moskau diskutiert wird und nebenbei aufzeigt, wie eng die russische Regierung und die Russisch-Orthodoxe Kirche miteinander verbunden sind. Da schickte Putin schon mal Eröffnungsworte, in denen er die Organisation des Kongresses lobte und gleichzeitig die "Erosion moralischer Werte" beklagte. Verlesen wurden diese Worte in historischem und institutionellem Rahmen: im staatlichen Kreml-Palast. Danach fanden Veranstaltungen und Diskussionen u.a. im Patriarchensaal der Christi-Erlöser-Kathedrale statt, dem zentralen Gotteshaus, sozusagen der "Petersdom" der Russisch-Orthodoxen Kirche.

An diesem Kongress gab es dann auch die Möglichkeit, allerlei Vorträge zu besuchen. Ein orthodoxer Priester interpretierte den "Bürgerkrieg" in der Ostukraine als Reaktion auf die neuen Machthaber in Kiew, die "die religiösen Werte des Landes verraten und ein Gay-Pride-Parade erlaubt" hätten. Der Herr Jakunin (zu ihm später mehr) sprach von "Russlands Abschied vom westlichen Entwicklungsmodell, das weder zu materiellem noch zu geistigem Wohlbefinden führt". Ein 50-Jähriger meinte, er habe "viel Zeit verloren", denn er habe "nur" fünf(!) Kinder gezeugt. Zudem erklärte er, dass "ein echter Christ" bereit sei "sein Leben für andere zu opfern". Der Satz fiel in Zusammenhang mit einem Bericht über einen russischen Veteranen des Zweiten Tschetschenienkrieges (AdV: Tschetschenien ist ein hauptsächlich muslimisch-sunnitisches Land, während die Russische Föderation hauptsächlich christlich-orthodox geprägt ist), in welchem dieser seinen rechten Arm verloren und trotzdem mehrere Stunden weitergekämpft habe. Hollywood hätte diese Heldengeschichte nicht besser geschrieben.

Das Netzwerk um Konstantin Malofeew

Zum Kongress eingeladen hatten zwei Männer: Konstantin Malofeew und Wladimir Jakunin. Ersterer ist ein bekannter russischer Investmentbanker und Betreiber zweier Vergnügungsparks in Moskau und in Jalta (Krim), die historischen Kriegen gewidmet sind. Er ist Gründer mehrerer Stiftungen, die orthodoxe Kirchen, Krankenhäuser und Schulen unterstützen. 

Über seine Verbindungen zu den Separatisten in der Ost-Ukraine wird viel spekuliert. Malofeew und Alexander Borodaj, ein aus Moskau stammender russischer Staatsbürger, ehemaliger Mitarbeiter von Malofeew und bis 7. August 2014 "Ministerpräsident" der "Volksrepublik Donezk", haben einen "Vertrag der Zusammenarbeit" geschlossen, über dessen Inhalt wenig bekannt ist. Auch deshalb ist Malofeew auf der Sanktionsliste der EU, Norwegens und der Schweiz. Er ist mit Einreisesperren belegt, seine Konten sind eingefroren. Als offizielle Begründung der Sanktionen gilt ein Strafverfahren, das die ukrainische Justiz gegen Malofeew angestrengt hat, wegen angeblicher Finanzierung illegaler militärischer Gruppen in der Ostukraine.

Ein anderer Grund mag Malofeews ideologische Nähe zu Alexander Dugin sein. Letzterer ist Pate der imperialistischen und orthodoxen "Eurasischen Bewegung". Er trifft sich gern mit den rechtspopulistischen Parteien Europas, die er als die "prorussische fünfte Kolonne" bezeichnet. Zudem meint Dugin stets zu verlautbaren, "Europa soll auf friedlichem Wege zu einem russischen Protektorat werden und sich so vor gleichgeschlechtlichen Ehen und allgemein vor Liberalismus schützen". Dugin war Mitbegründer der "Nationalbolschewistischen Partei Russlands", die 2005 vom Obersten Gerichtshof Russlands verboten wurde. Ihr Parteisymbol besteht aus der Fahne der NSDAP, in welchem das Hakenkreuz durch das Symbol des Hammers und der Sichel ersetzt wurde. Dementsprechend bezeichnete sich die Partei selbst als "neofaschistisch". Über Dugins Nähe zu Putin wird viel diskutiert und geschrieben. Manche Journalisten bezeichnen ihn sogar als Putins "Chef-Ideologen".

Ihre ideologische Nähe bezeugten die beiden Herren als in Wien – zeitgleich zum Life-Ball 2014 – ein Kongress zur Erinnerung an die "Heilige Allianz", die vor 200 Jahren im Wiener Kongress entstanden sein soll, stattfand. Neben Dugin nahmen auch VertreterInnen zahlreicher rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien (FPÖ, Front National, die bulgarische rechtsextreme "Ataka", etc.), sowie andere reaktionäre Persönlichkeiten teil (etwa der italienische Historiker Roberto de Mattei, der das Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami, der den japanischen Reaktor in Fukushima zerstörte, als Strafe Gottes bezeichnete). Den Kongress organisiert hatte Konstantin Malofeew.

Außerdem erschien kürzlich auf der Internetplattform youtube ein Video, das ein Treffen zwischen Malofeew und Alexander Dugin dokumentiert. Das Treffen soll sich am 28. August 2014 zugetragen haben. Auch Igor Girkin, genannt "Strelkow" (auf deutsch "Schütze"), soll dabei gewesen sein. Girkin ist russischer Staatsbürger und stammt aus Moskau. Er kämpfte bereits in Transnistrien und im Bosnisch-Serbischen Krieg. Auch in Tschetschenien soll er aktiv gewesen sein. Weltweit bekannt wurde Girkin aber als "Verteidigungsminister" der "Volksrepublik Donezk". Nachdem im Juli 2014 die ukrainische Armee die Stadt Slowjansk zurückerobert hatte, fanden Journalisten im Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes, das von den Separatisten als Hauptquartier benutzt worden war, mehrere Todesbefehle, die von Girkin handschriftlich signiert waren. Girkin, alias "Strelkow", wird mehrerer Kriegsverbrechen beschuldigt, die er in den 1990er Jahren begangen haben soll. Er steht auf der Sanktionsliste der EU, in der er als russischer Militärangehöriger und Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes Russlands GRU genannt ist. Somit ist Girkin mit einer Reisesperre und einer Kontosperre belegt.

Wladimir Jakunin und Südtirol

Dem zweiten Veranstalter des Moskauer Kongresses gilt eine größere Aufmerksamkeit. Wladimir Jakunin ist Chef der staatlichen russischen Eisenbahngesellschaft und enger Vertrauter Putins. So weiß die faz zu berichten, dass – laut russischer Anti-Korruptionsbehörde – sein bereits immenses Vermögen durch die Olympischen Spiele in Sotschi noch immenser geworden sein soll. Auch Jakunin ist mit Sanktionen belegt. Sein Name befindet sich auf US-amerikanischen und australischen Sanktionslisten, inklusive Einreiseverbot und Kontosperren. Er leitet Stiftungen und Organisationen, die sich mit dem "historischen Schicksal Russlands" beschäftigen, sowie mit der Bewahrung des russisch-orthodoxen Glaubens. 

Aber v.a. den SüdtirolerInnen sollte Jakunin ein Begriff sein. Er war einer jener mächtigen Männer, mit denen sich Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder zu gern ablichten lies. Jakunin war dabei, als der neue Zug St. Petersburg-Nizza eingerichtet wurde und sich Herr und Frau Südtirol fragten, weshalb ein solcher Zug, der mehrere Tage für seine Reise braucht, genau in Bozen Halt macht. Zu guter Letzt ist dieser Mann auch der Vorsitzende des Vereins "Borodina" mit Sitz in Meran, in dessen Verwaltungsrat auch der jetzige Landeshauptmann Arno Kompatscher sitzt. Borodina, das kennt man doch: Zarenbrunn in Meran und die fehlenden Unterkünfte für SeniorInnen. Dieser Mann kennt sich in Südtirol also bestens aus. 

Aber was hat dieses Netzwerk an Männern denn mit Südtirol zu tun? Lange Rede, kurzer Sinn: Die Antwort so simpel wie erschreckend. Gegen Ende des faz- Artikels schreibt der Autor, dass an genanntem Moskauer Kongress eine "Vertreterin der Markgemeinde Schlanders in Südtirol" - "in Tracht" - teilgenommen habe. Diese berichtete, sie hätte gern "die Initiativen ihrer Heimat vorgestellt" (Wer ist Heimat? Bin das auch ich?). Genannt wurden die "Kleiderkammer für arme Familien", das "garantierte Existenzminimum", die Betreuung, die Kindertagesstätten und das Ehrenamt. Sie sei am "besten Hotel am Platz" untergebracht und mit "Diplomatenbussen und Polizeieskorte" herumgefahren worden. Bezahlt wurde alles von den Organisatoren. Ihren Vortrag habe sie dennoch nicht halten dürfen.
 

Eine Frage bleibt offen: Wer ist diese "Vertreterin" und wen hat sie vertreten? Hat Borodina an der Organisation des Kongresses – direkt oder indirekt – mitgewirkt?

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Stephan Kerschbaumer Di., 16.09.2014 - 11:19

Antworten auf die verbliebenen Fragen kann vielleicht das heutige RAI- Mittagsmagazin Spezial. Dieses berichtet vom Moskauer Kongress.

Di., 16.09.2014 - 11:19 Permalink