Wirtschaft | Christkindlmarkt

Was wäre grob fahrlässig?

An der Frage, ob es heuer Weihnachtsmärkte geben soll, scheiden sich die Geister. Handels- und Tourismusvertreter sind dafür, ein Gewerkschafter warnt eindringlich.
mercatino Natale
Foto: Azienda soggiorno

“Grob fahrlässig”. Diese beiden Worte nehmen sowohl Philipp Moser als auch Tony Tschenett in den Mund, wenn sie nach den Christkindlmärkten im heurigen Winter gefragt werden. Doch während der eine deren Absage für “grob fahrlässig” hält, ist es für den anderen deren Abhaltung.

 

“Corona als Chance für Christkindlmärkte”

 

Seit Monaten steht für die Wirtschaftstreibenden fest: Den Weihnachtsmarkt soll es auch 2020 geben. So wie in Städten wie Wien und Innsbruck auch. Trotz Corona. “Gerade aufgrund dieser besonderen Phase, die wir miterleben, haben wir die einmalige Gelegenheit, dieses Markenzeichen Südtirols neu aufzustellen und dafür neue Konzepte und Inhalte vorzusehen. Einfach absagen und nein sagen, ohne neu zu denken und auszurichten, ist eine kurzsichtige Sichtweise, die niemandem hilft”, ist hds-Präsident Philipp Moser überzeugt.

 

Die Vorbereitungsarbeiten für die Märkte sind in vollem Gange. Und geht es nach den politischen Entscheidungsträgern, sollen sie – Stand heute – auch stattfinden. Ohne Ausschank am Tresen, mit Maskenpflicht, weniger Ständen, Sicherheitspersonal, dem Einsatz von Hunden, die Corona-Infizierte erschnüffeln sollen und möglichen Beschränkungen bei den Besucherzahlen. Soweit die Überlegungen in der Landesregierung. Bereits am Dienstag hatte Landeshauptmann Arno Kompatscher gemeint: “Es werden keine Weihnachtsmärkte wie immer sein.”

Zuspruch kommt auch von den Tourismusvertretern in den eigenen Reihen. Der SVP-Landtagsabgeordnete Helmut Tauber meint: “Es ist mir bewusst, dass die kältere Jahreszeit ein höheres Risiko für die Ausbreitung der Pandemie darstellt. Dennoch ist es möglich die Märkte mit einem gut durchdachten Sicherheits- und Hygienekonzept zu öffnen. Dieses Konzept wird gerade erarbeitet. Es ist dann Aufgabe der Betreiber dieses auch konsequent umzusetzen.” Es wäre “unverantwortlich” die Weihnachtsmärkte kurzerhand abzusagen, so Tauber, “nachdem der Tourismus bereits im Frühjahr und Frühsommer stark unter der Corona-Pandemie und dem Lockdown gelitten hat. Die Märkte sind nicht nur enorm wichtig für das Dezembergeschäft, sondern auch für die Sichtbarkeit Südtirols am Beginn der Wintersaison”.

 

“Sanitätspersonal schafft kein zweites Frühjahr”

 

Vollkommen anders sieht es Tony Tschenett. Der Vorsitzende des ASGB spricht sich gegen “die Abhaltung jeglicher öffentlicher Veranstaltungen” aus. “Es scheint so, als hätten die Entscheidungsträger nichts aus dem Frühjahr gelernt”, schreibt der Gewerkschafter am Donnerstag Vormittag in einer Aussendung. Kurz zuvor hat der Sanitätsbetrieb die neuesten Corona-Zahlen veröffentlicht: 98 Neuinfektionen bei 898 Getesteten hat es in den vergangenen 24 Stunden gegeben. Die Anzahl der Patienten auf den Normalstationen in den Krankenhäusern (60) sowie jene der Intensivpatienten (3) bleibt stabil.

Angesichts der steigenden Neuinfektionen sei es ihm “unerklärlich, dass die politisch Verantwortlichen die Durchführung von Veranstaltungen wie das Meran Weinfestival oder Weihnachtsmärkte – in welcher Form auch immer – erlauben”, meint Tschenett. Es scheine, als würden wirtschaftliche Partikularinteressen einiger Handelstreibender prioritär behandelt und die Gesundheit der Bürger sei zweitrangig. Nein zu Weihnachtsmärkten & Co. helfe sehr wohl jemandem: “Fakt ist, dass das Personal im Südtiroler Sanitätsbetrieb im Frühjahr an der Grenze des Machbaren stand. Viele Bedienstete würden diesen Arbeitsaufwand körperlich und psychisch nicht mehr schaffen. Deshalb muss es vordergründig das Ziel der Politik sein, Infektionen so gering wie möglich zu halten und keine Risiken einzugehen, um die Gesundheitsversorgung der Bürger nicht zu gefährden.”

 

“Wie will man der restlichen Wirtschaft einen erneuten Lockdown erklären, falls sich weitere Herde wie in Sexten herausbilden? Wie will man von den Pflegern und Ärzten einen erhöhten Arbeitsaufwand erklären, wenn das Problem teilweise hausgemacht ist? Wie will man den Arbeitern und Angestellten die erneute Überstellung in die Lohnausgleichskasse erklären – verbunden mit wahrscheinlich wieder monatelangem Warten auf den Lohnausgleich – weil man vor einigen Wenigen in die Knie gegangen ist? Wie erklärt man Erkrankten, dass ihre Behandlungen verschoben werden müssen, weil das öffentliche Gesundheitssystem am Kollabieren ist?”, fragt sich der ASGB-Chef – und fordert: “Die Landesregierung soll sich schleunigst Antworten auf diese Fragen überlegen, denn wenn sie keinen Rückzieher bei der Genehmigung öffentlicher Veranstaltungen macht, wird sie bald mit diesen Fragen konfrontiert sein.”

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Herta Abram Do., 15.10.2020 - 15:25

Wenn wir „eine Gesellschaft für alle“ ins Auge fassen, wäre der untenstehende Ansatz, doch eine mögliche Diskussionsgrundlage, oder?
„Für den (..) eingeräumten Ermessensspielraum steht der Schutz der Gesundheit der in den jeweiligen Gebieten aufhältigen Personen im Vordergrund, doch darf durch unangemessene Maßnahmen nicht unvertretbarer wirtschaftlicher Schaden angerichtet werden.
Vorbeugender Gesundheitsschutz kann allerdings nicht mit wirtschaftlichen Vor- oder Nachteilen aufgewogen werden. Fehlt es an entsprechenden Erfahrungswerten, um die Wirksamkeit zu ergreifender Maßnahmen abzuschätzen, ist dem Schutz der Gesundheit jedenfalls Vorrang zu geben“.(entnommen:Bericht der unabhängigen Expertenkommission Management Covid-19- Pandemie Tirol)

Do., 15.10.2020 - 15:25 Permalink
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Martin Aufderklamm Fr., 16.10.2020 - 03:56

Zur Gewährleistung und Finanzierung des Sanitätsdienstes sollte von allen Beteiligten an risikobehafteten Grossveranstaltungen eine Risiko-Corona-Abgabe verlangt werden: bei Organisatoren und Wirtschaftstreibenden prozentuell zum Umsatz, bei Besucher ein Fixbetrag.
Dann kann jeder selbst entscheiden, an diesem Wahnsinn teilzunehmen oder nicht.
Einnahmen sind für Sanität zweckgebunden und nicht für 600-Euro-Anfragen von Nichtbedürftigen.

Fr., 16.10.2020 - 03:56 Permalink
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Klemens Riegler Sa., 17.10.2020 - 18:46

Es geht in dieser Diskussion vielleicht auch nicht nur um die Weihnachtsmärkte selbst, sondern eher um das Drum-Herum; Volle Reisebusse und Züge, Engstellen in den Stadtgassen, überfüllte Lokale, Gedränge "vor" den gutgemeinten Kontrollstellen usw. Hygiene- und Sicherheitskonzepte dürften auf den Märkten durchführbar sein. Für die Zeit davor und danach wird es schwieriger. So wie übrigens auch bei allen anderen Events, wo während der Veranstaltung alle Bestimmungen eingehalten werden, aber davor und danach wohl das größere Risiko herrscht.
Abgesehen davon wird kaum jemand die Märkte besuchen, wenn die Corona-Zahlen entsprechend sind. Die Öffentliche Hand wird jedenfalls dann keine Verlustbeiträge ausschütten können.

Sa., 17.10.2020 - 18:46 Permalink