Gesellschaft | Lebenslagen

Sensibler Schutz

Wenn Kinder in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht werden (müssen), stehen die Sozialdienste nicht selten in der Kritik. Wie auch vor kurzem geschehen.

“Es ist wichtig, mit diesem Thema sehr vorsichtig und sensibel umzugehen”, sagt Petra Frei. Sie ist die Direktorin des Landesamtes für Kinder- und Jugendschutz und Inklusion und bezieht Stellung in einer Sache, die auch Soziallandesrätin Martha Stocker als “nicht einfach” bezeichnet. Es geht um die Fremdunterbringung von Kindern. Vor kurzem hatte sich ein verzweifelter Großvater, dessen Enkel seit über einem Jahr in einem Heim untergebracht ist, an die gesamte Landesregierung gewandt. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen das System und Südtirols Sozialassistenten, die “absolute Narrenfreiheit” genössen. In dem konkreten Fall, der den Mann und seine nächsten Verwandten betrifft, hätten “Sozialassistenten und die lokale Jugendanwaltschaft ein bis zum staatlichen Eingriff fröhliches Kind und somit das Glück einer jungen Südtiroler Familie” zerstört. Er spricht von “staatlich organisiertem Raub” und Methoden, die “sozialfaschistischen, stalinistischen Diktaturen” zuzuordnen seien.

“Die zuständigen Sozialdienste können aus Datenschutzgründen nicht auf konkrete Fälle eingehen und zu einzelnen Situationen Stellung nehmen, um das Wohl der Kinder nicht zu gefährden”, wird von offizieller Seite mitgeteilt. Doch man versichert: Der Kinder- und Jugendschutz sei stets bemüht, durch geeignete unterstützende Maßnahmen dafür zu sorgen, dass ein Kind in der eigenen Familie aufwachsen könne. “Die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie oder in einer Einrichtung ist dabei die letzte Möglichkeit, einem Kind Schutz zu bieten und den Eltern die notwendige Zeit zu geben, um die schwierige Situation in der Familie zu bewältigen”, erklärt Landesrätin Stocker. Denn erst wenn Eltern dem Auftrag, ihren Kindern das Aufwachsen in einem geschützten Umfeld zu garantieren, nicht nachkommen, springen die Behörden ein.

Von den 101.097 Minderjährigen in Südtirol werden 3854 von den Sozialdiensten begleitet. Nur in 6,9 Prozent der begleiteten Situationen wird das Kind zeitweilig in einer Pflegefamilie oder in einer Einrichtung untergebracht (Stand zum 31.12.2014).

Gründe für eine solche Situation gebe es viele, wie von offizieller Seite zu erfahren ist: eine schwierige Kindheit der Eltern, Abhängigkeitserkrankungen, Arbeitslosigkeit, Trennung, psychische Erkrankungen, Beziehungsprobleme. Und auch wenn es Angebote für eine regelmäßige Begleitung und Beratung der Familie gebe, seien diese nicht immer ausreichend. In einigen Fällen werde die gebotene Unterstützung auch abgelehnt oder nicht in Anspruch genommen, so Petra Frei: “Kommt es zu Risikosituationen, die das Wohl des Kindes unmittelbar gefährden, kann eine Entscheidung des Jugendgerichtes zur zeitweiligen Unterbringung außerhalb der Familie daher die letzte Möglichkeit sein, um den Schutz des Kindes zu gewährleisten.” Vielmehr als die letzte Möglichkeit sieht der aufgebrachte Großvater “Willkür” hinter dem Eingreifen der Sozialassistenten, die häufig “unkontrolliert ohne jegliche Kriterien und Konsequenzen für sich Berichte an die Jugendstaatsanwaltschaft verfassen” und “regelrecht normale Situationen und Familienumstände kriminalisieren”. Stocker und Frei zeigen Verständnis, dass die Sozialdienste in ihrem Handeln stets der Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt seien, falsch zu handeln: “Wenn sie einschreiten, aber auch wenn sie nicht tätig werden und sich eine Situation später als kritisch herausstellt.” Die verschiedenen Behörden und Stellen, Fachdienste und Fachkräfte die sich mit der “schwerwiegenden Entscheidung” einer Fremdunterbringung auseinandersetzen seien sich ihrer Verantwortung allerdings durchaus bewusst, will Frei klar gestellt wissen.

Den Großvater dürften sie damit nicht zufrieden gestellt haben. Er hat bereits angekündigt, dass gegen die im Falle seines Enkels verantwortlichen Personen bei den betreffenden öffentlichen Ämtern “mehrfach Klage und Strafanzeige eingereicht werden wird”. Darüber hinaus sei auch eine Eingabe beim europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Vorbereitung, wie er der Landesregierung in seinem persönlichen Schreiben mitteilt. Und er fordert die Politik “dringlichst” auf, eine Reform der Sozialassistenten in Angriff zu nehmen und “endlich Kriterien zu erarbeiten, die die Grund- und Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Kindern und ihren Familien respektieren”. Aus diesem Grund hätten sich in den vergangenen Monaten bereits mehrmals betroffene Südtiroler und Südtirolerinnen getroffen und beschlossen, im Jänner eine Hilfsorganisation ins Leben zu rufen. Der Name: “Robin Hood”.