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Traumfallen

Barbara Zelger nimmt sich Zeit, um Gedanken, Erlebtes, Gehörtes zu vermischen, weiterzuspinnen, zu verfremden. Dabei tappt sie auch in "Traumfallen".
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Foto: Foto: SKI

Am vergangenen Freitag stellte die Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV) im Rahmen des Leseabends SAAV DreiPunktNull die neuen Mitglieder vor.
SALTO bringt sie online, mit Fragebogen und Textauszug. Teil 4: Barbara Zelger

Wenn du dir drei Räume aussuchen kannst, in denen du dich verorten möchtest: Wie schauen sie aus?
Ich sehe mich im produktiven Zwischenraum:

  • zwischen Prosa und Lyrik;
  • zwischen der Gegenwart und der Erinnerung;
  • zwischen dem Hier und dem Dort: dem vielschichtigen Daheim und dem weitläufigen Anderswo; dem Norden und dem Süden; zwischen Mittel- und Osteuropa.

Ich fiel als Kind, als andere mich schubsten und anstießen und lachten dabei. Ich fiel, als ich vom Felsen in das Meerwasser sprang. Fiel und lachte, fiel und weinte, fiel und lernte.

Ein selbst geschaffener Neologismus?
Kürzlich habe ich einen Text „Traumfallen“ genannt, oder auch „Traumerwachen“ – noch bin ich zwischen den möglichen Titeln her- und hingerissen. Ist einer der beiden Titel ein Neologismus? Gibt es diese Worte als solche noch nicht? Ich weiß es nicht, doch scheinen beide auf den Text zu passen.

Warum schreiben?
Ich erzähle gerne und lese viel, nehme mir Zeit, um Gedanken, Erlebtes, Gehörtes zu vermischen, weiterzuspinnen, zu verfremden, mögliche Entwicklungen zu entwerfen und im geschriebenen Wort umzusetzen. Wenn ich dann noch die Möglichkeit habe, vor Menschen zu lesen und sie damit vielleicht sogar anzuregen, sich mit Literatur oder mit eigenen Erinnerungen zu beschäftigen, macht mich das Schreiben einfach glücklich.

Welche Motive tauchen in deinem Schreiben immer wieder auf?
Raum und Traum; Wahl und Qual; Liebe und Freundschaft; Aufbruch und Ausbruch.

Welche Frage möchtest du dir selbst gerne stellen?
Auch wenn die Frage vielleicht oft ähnlich gestellt wird, so finde ich doch die unterschiedlichen Antworten verschiedener Autoren und Autorinnen darauf immer wieder spannend: Was kann Literatur im gesellschaftlichen Leben bewirken?

 

Textauszug:

Traumfallen

Ich fiel. Als Kind fiel ich oft hin.
Ich fiel. Als Kind fiel ich oft hin. Beim Laufen, Radeln oder Raufen. Beim Durch-den-Garten-Rollen, beim Miteinander-Rumtollen. Fallen ist lernen.
Ich fiel als Kind vom Fahrrad. Ich fiel als Kind, als andere mich schubsten und anstießen und lachten dabei. Ich fiel, als ich vom Felsen in das Meerwasser sprang. Fiel und lachte, fiel und weinte, fiel und lernte.
Ich fiel auch, während ich träumte. Das Bett war fort, jeder Ort war fort, nur Leere, in die ich fallen konnte. Fallen ins Leere, bis ich erwachte und einen Moment brauchte, in dem Moment noch dachte, dass die Leere mich bald umfangen, bald auffangen… kann Leere jemanden, kann Leere etwas fangen? Bis dieser Moment vorbei, in dem ich dachte, … bis ich nicht mehr dachte, sondern spürte, dass ein weiches Bett mich sicher umschloss. Doch dieser Moment, der Moment vor dem der Erleichterung, dass da ein Bett, ein weiches Bett, keine Leere, kein harter Boden, kein Asphalt, kein tiefes Loch, auf mich nur wartete. Dieser Moment, auch wenn vage, doch war er da, auch wenn vage, dennoch da.
Einen anderen Traum, einen anderen Immer-wieder-Traum  hatte ich. Einen Traum, der mich jahrelang überkam. Ich ein kleines Kind, im weißen Kleid, mit goldig blonden Löckchen fein. Ich saß im Gras, im grünen Gras, im blumenbunten hohen Gras. Ich und der Sonnenschein, auch ich musste ein Sonnenschein gewesen sein, wenn man mich dort so dasitzen sah. Doch niemand, den ich kannte, der einem Kind wie mir Geborgenheit schenken konnte, sah mich sitzen dort im hohen blumenbunten Gras. Im Gras, in dem ich mir einen Blumenkranz flocht und, so wie ich das öfters tat, sobald ich mich alleine wähnte, einige Kinderverse vor mich hin sang… Wie schön dass du geboren bist, wir freuen uns ja sehr ja se.. oder tschu tschu tschu der Zug ist da tschu tschu tschu aus… Eine Frau nur war da, plötzlich da, vom Waldrand  hatte ich sie nicht kommen sehen. Sie kam jäh auf mich zu. Das Wort richtete sie an mich, an mich, den kleinen Sonnenschein im hohen grünen blumenbunten Gras. Sie sagte zu mir, von oben herab: Du sitzt hier und spielst vor dich hin und singst ein paar Kinderlieder, während wir anderen alle da draußen… ja, was?
Immer wieder ängstigte ich mich, was all die anderen da draußen, während ich da spielte und sang… Doch immer, immer endete da der Traum und ließ mich erwachen, aufschrecken, als wäre ich gerade in das tiefe Loch gefallen, da draußen, und immer, immer war der Schrecken des Erwachens nach einem Moment der Erleichterung gewichen, die mich ein weiches Bett spüren ließ, ein kleines bisschen Geborgenheit in einer immer größer scheinenden Welt, die ich nicht verstand.
Ich fiel. Als Kind fiel ich oft hin.
Ich fiel. Als Kind fiel ich oft hin. Beim Laufen, Radeln oder Raufen. Beim Durch-den-Garten-Rollen, beim Miteinander-Rumtollen.
Ich falle, manchmal. Hinfallen, fallen lassen, fallen sehen, dahingehen, wo man sich fallen lassen kann.

 

SALTO in Kooperation mit: Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV)