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Gepresste Pflanzen

Über umfangreiche Forschungsunterfangen und erstaunliche Erkenntnisse sprach Franziska Luther mit Elisabeth und Oswald Peer vom Brixner Pharmaziemuseum.
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Foto: Quelle: Museumsverband

Zu den großen Schätzen in der Sammlung des Pharmaziemuseums Brixen gehört ein Herbarium aus dem Jahr 1653. Dank finanzieller Unterstützung und großem Engagement ist es dem Museumsverein recipe! bereits vor einigen Jahren gelungen, das umfangreiche Werk fachgerecht restaurieren und digitalisieren zu lassen. Seit einigen Monaten ist das Herbar von neuem in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem knapp 950 Pflanzenarten umfassenden Werk erfolgt unter den Augen der Professorin Elsa Cappelletti an der Universität Padua.

Herbarien haben dazu gedient, die Pflanzen kennenzulernen, indem man diese in der Natur sammelte, presste und schließlich beschriftete. 

Noch für das Frühjahr 2018 ist in Brixen die Präsentation einer Publikation, welche die Forschungsergebnisse dokumentiert, im Rahmen einer Veranstaltung der Freunde der Universität Padua – Brixen“ geplant.

salto.bz: Was genau ist eigentlich ein Herbarium und welcher Nutzen wurde daraus in einer Apotheke gezogen?
Elisabeth Peer: Ein Herbarium ist eine Sammlung gepresster Pflanzen. Herbarien haben dazu gedient, die Pflanzen kennenzulernen, indem man diese in der Natur sammelte, presste und schließlich beschriftete. Ziel war es natürlich, sich die Pflanzen mit ihrem speziellen Erscheinungsbild einzuprägen. Im Fall unseres Herbars sind es nicht allgemeine Pflanzen, sondern Arzneipflanzen, die alle aus dem botanischen Garten von Padua stammen.
Der Garten von Padua ist einer der ersten botanischen Gärten der Welt. Über Venedig kamen viele Pflanzenarten nach Italien. Das in der Nähe gelegene Padua fungierte damals wie eine Prüfstation für die eingeschifften Arzneipflanzen. Die angelieferte Ware wurde dort hinsichtlich Echtheit und Qualität überprüft und verglichen. Eine weitere Nutzung erfuhr der Arzneipflanzengarten durch die Studenten der Medizin, die natürlich die verschiedenen Pflanzen kennenlernen sollten. Anhand unseres Herbars kann heute nachvollzogen werden, wie sich diese Studenten zu jener Zeit ihr Heilpflanzenwissen aneigneten: Vom verantwortlichen Gärtner, heute würden wir diesen eher als Botaniker bezeichnen, erhielten die Medizinstudenten ein Herbarium, allerdings ohne Beschriftungen. Ihre Aufgabe war es dann, die gepressten Pflanzen des Herbars anhand derer im botanischen Garten genau zu bestimmen und zu beschriften.
Dass dies wirklich so gewesen ist, konnte erst durch unser Herbarium sicher belegt werden. Der Student, ein gewisser Angermann von Innsbruck, hat beim Ausfüllen Fehler gemacht, die einem Botaniker-Gärtner niemals unterlaufen wären. Vergleiche der unterschiedlichen Handschriften stützen diese Annahme.

Wie ist das Herbar nach Brixen in den Familienbesitz der Apotheke Peer gelangt?
Oswald Peer: Wie das Werk nach Brixen gekommen ist, kann man leider nicht nachvollziehen. Einen Hinweis gibt das Exlibris des Herbars, welches eben Angermann von Innsbruck nennt, der Student in Padua war und auch dort promoviert hat. Seine Inskription hat man auch tatsächlich in der Natio Germanica der Universität gefunden, sodass man mit Sicherheit seinen Aufenthalt in der Universitätsstadt belegen kann. Angermann hat später seinen Medizinberuf in Innsbruck ausgeübt. Das zweite Exlibris gehört zu einem gewissen Franckh, der seinerseits Hofapotheker war und das Herbarium vermutlich von Angermann erworben hat. Für einen Zeitraum befand sich diese Hofapotheke im Besitz der Familie Peer, sodass es nicht verwunderlich ist, dass einige Objekte, und unter anderem auch das Herbar, in die Stadtapotheke Peer gelangten. Es wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Dass es ein wertvolles Objekt ist, ist damals schon bekannt gewesen. Mein Onkel hat mir berichtet, dass er das Herbarium nur einmal sehen und kurz darin blättern durfte. Interessant in Bezug auf die Provenienzgeschichte ist noch, dass es bereits 1850 in der Auflistung verschiedener Herbarien eines gewissen Kreuzer beschrieben und als in Besitz der Familie Peer befindlich genannt wird.

Vor einigen Jahren wurde das umfassende Werk in München restauriert. Bei einem Alter von über 300 Jahren und mehr als 900 enthaltenen Pflanzenarten sicher kein leichtes Unterfangen.
Elisabeth Peer: Ja das war schwierig, wir hatten aber trotzdem Glück. Die Medizinhistorikerin und Apothekerin Professorin Christa Habrich, inzwischen leider verstorben, hat dieses Herbar gesehen und sich für die Restaurierung und Digitalisierung eingesetzt. Große finanzielle Unterstützung konnten wir dank ihrer Vermittlung über den Verein „Freunde Südtiroler Museen und Sammlungen e.V. München“, dessen Mitglieder das Herbarium auch persönlich angeschaut haben, erhalten. Dann wurde die Bayerische Staatsbibliothek eingeschaltet, deren Verantwortliche wiederum eine geeignete Firma für die Durchführung der Restaurierungsarbeiten ausfindig machen konnte. Dies war nicht so einfach, da die Arbeiten eine Spezialisierung auf Pflanzen sowie die Nutzung spezieller Klebstoffe erforderten.
Die Restaurierung selbst dauerte natürlich eine Weile, auch aufgrund der Tatsache, dass das Buch komplett auseinandergenommen werden musste. Normalerweise sind Herbarien lose Blattsammlungen. In unserem Fall ist es ein in Leder gebundenes Buch, welches aber gar nicht für die große Anzahl an Pflanzen und deren Dicke ausgerichtet war. Der Buchrücken ist zu schmal, sodass sich das Buch wölbte. Einmal auseinandergenommen konnte jede Seite im flachen Zustand von einem Fotografen aufgenommen werden. Die detailreichen digitalen Bilder sind heute Grundlage für die Forschung, sodass das Herbar selbst geschont werden kann.

Ausständig war bisher die wissenschaftliche Aufarbeitung des Herbars. Wo und wie ist diese nun erfolgt?
Elisabeth Peer: Die Restaurierung erfolgte im Jahr 2011. Schon damals haben wir uns bemüht, die wissenschaftliche Aufarbeitung voranzutreiben. Zunächst haben wir uns an die Universität Innsbruck gewandt, weil dort ein uns bekannter und hochqualifizierter Botaniker lehrte. Leider konnte von ihm nur ein kleiner Teil bearbeitet werden.
Ein Paderborner Botanik-Professor konnte die umfangreiche Aufgabe nicht annehmen, da alle Pflanzen des Herbariums so beschriftet sind, wie es heute nicht mehr üblich ist. Knapp hundert Jahre nach der Entstehung unseres Herbars hatte der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) die Grundlage für die heute noch gebräuchlichen botanischen und zoologischen Namen gelegt. Alle Beschriftungen in unserem Werk sind aus der Zeit vorher, sodass man für jede Pflanze genau nachschauen muss, welche Art diese nun eigentlich ist.
Dann erst haben wir die Experten der Universität Padua kontaktiert, was natürlich hieß, dass wir alle Korrespondenz in italienischer Sprache erledigen mussten. Die Professorin Elsa Mariela Cappelletti zeigte sich sofort interessiert, da sich in der Sammlung der Universität kein Herbarium aus dieser Zeit befindet. Das Forschungsinteresse war also schnell geweckt und die Universität erklärte sich bereit, alles aufzuarbeiten.

Können die Forschungsergebnisse Ihren Wissensdurst löschen?
Oswald Peer (lacht): Die erste Arbeit war zunächst die alten Schriften zu entziffern. Hier hat meine Frau Elisabeth großartige Arbeit geleistet. Die Universität konnte anhand von alten Inventarlisten des botanischen Gartens die lateinischen Bezeichnungen identifizieren. Die altdeutschen Namen jedoch hat Elisabeth entziffert. Die Namen wurden dann mit den modernen Bezeichnungen ergänzt, sodass wir heute eine Liste aller 947 enthaltenen Pflanzen mit sowohl dem lateinischem wissenschaftlichen Namen und Familiennamen, als auch der deutschen und italienischen Bezeichnung haben.

Gab es unerwartete Entdeckungen?
Oswald Peer (lacht): Ja, der Schweden-Krimi.
Elisabeth Peer (lacht): Ja eine lustige Geschichte, die nennen wir den Schweden-Krimi. An der Universität Padua hat sich auch eine Professorin Mariani mit einem bestimmten Teil des Herbars beschäftigt. Während die andere Professorin Cappelletti ihrerseits an unserer Pflanzensammlung arbeitete, kam von ersterer Dame ein Schreiben. Sie war der Überzeugung, dass die einstmaligen Besitzer des Herbariums, Angermann und Franckh, Schweden seien und man dieser Spur unbedingt nachgehen müsse. Für ihre These hatte sie zwei Anhaltspunkte: Angermann ist bis heute ein geläufiger Name in Schweden und ein gewisser Franckh war ein Professor für Botanik an der Universität von Uppsala. Ein weiterer Anhaltspunkt war in der bereits erwähnten Beschreibung von Kreuzer zu finden, der zu einer Pflanze in unserem Herbarium, zumindest kann es eine Lesart sein, den Hinweis vermerkt hatte: siehe schwedische Pharmakopöe.
Oswald Peer: Es gab sogar noch eine vierte Spur. In der um 1850 erschienenen schwedischen Zeitschrift Botaniska Notiser hat ein gewisser H. W. Arnell das Herbar beschrieben, als Werk der Schweden Angermann und Franckh.
Elisabeth Peer: Jetzt standen wir nun da und haben überlegt, wie das Herbarium dann nach Brixen gekommen sein soll. Auf diese Indizien hin meinte Professorin Cappelletti von Anfang an, dass ein Bezug zu Schweden unwahrscheinlich sei, da der Angermann aus Innsbruck ja in der Natio Germanica an der Universität Padua eingeschrieben war und auch dort die Prüfung abgelegt habe. Um Gewissheit zu erlangen haben wir schließlich den emeritierten Professor Oreland der Universität Uppsala angeschrieben und um seine Hilfe gebeten. Nach Recherchen ist schließlich herausgekommen, dass der Professor Franckh aus Uppsala zwar zu jener Zeit noch an der Universität tätig, jedoch so schwer erkrankt war, dass ihm die Betreuung eines Herbars oder gar Reisen nicht möglich waren. Unser kleiner Schweden-Krimi hatte sich somit gelöst.

Die Besucherinnen und Besucher des Pharmaziemuseum können dank eines Touchscreens im virtuellen Herbar blättern und sich von den vielen Details beeindrucken lassen. Werden dort auch die neuen Erkenntnisse einfließen?
Elisabeth Peer: Zusammen mit einer Firma sind wir gerade dabei die Präsentation zu überarbeiten und alle neuen Erkenntnisse einfließen zu lassen. Die ganzen Namen werden ergänzt, sodass man nicht mehr nur durch das Herbarium blättern, sondern auch zielgerichtet anhand eines Index einzelne Pflanzen aufrufen kann. Zu jeder Pflanze gibt es den wissenschaftlichen, italienischen und deutschen Namen. In wenigen Monaten wird dies komplett sein. Etwas länger brauchen wir, um die einzelnen Pflanzen mit kurzen Informationen und einem aktuellen Bild zu versehen. Gerade Letzteres wird ein großes Unterfangen sein, da wir nicht über das Bildmaterial zu 947 Pflanzenarten verfügen und somit auf kollegiale Hilfe aus anderen Museen oder Institutionen angewiesen sind. Ach ja, natürlich werden die Museumsbesucher auch den Schweden-Krimi lesen können.

Salto in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband Südtirol