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Gesellschaft | Bozen

Die Lunapark-Fraktion

Bei den Gemeindewahlen werden die Bürger gut beraten sein, die einzelnen Kandidaten nach ihrer Vorstellung von Stadtbelebung zu befragen. Ein Stadtstich.
Eigentlich hatte man uns Wiedergutmachung versprochen  Ein halbes Jahr nach dem Scheitern des Riesenrads im Bahnhofspark, das uns von den stets hinterhältigen Trentinern buchstäblich vor der Nase weggeschnappt wurde, sollte der Skyliner Bozens angeschlagenen Ruf als verschlafene und öde Landeshauptstadt etwas aufpolieren - durch eine großartige Idee der stets fürsorglichen Stadtväter: genau vor dem Rathaus sollte der stählerne Aussichtsturm mit Aufzug und Panorama-Kaffee einen reizvollen Blick über die Dächer der Altstadt ermöglichen. Doch urplötzlich und unerwartet hat teilte das deutsche Unternehmen mit, vom Vorhaben Abstand zu nehmen - zur Überraschung der Stadtväter, die „mit erheblichem Einsatz den bürokratischen Ablauf bescheinigt hatten.“
Wie ernüchternd diese Rückkehr in Zeiten, da man auf die Oswald- oder Guntschapromenade schwitzen oder per Seilbahn auf den Ritten, nach Jenesien oder Kohlen entschweben musste, um die Landeshauptstadt aus der Vogelperspektive zu betrachten. Eine bittere Niederlage jener Lunapark-Fraktion, deren Ziel es offenbar ist, Bozen in einen permanenten Jahrmarkt zu verwandeln. Für jene, die  den Weihnachtsmarkt bereits um acht Tage verlängert haben -mutmaßlicher Beginn einer langfristigen Strategie, die lästige Pause zwischen Weihnachts- und Osterferien zusehends zu verkürzen. „Wir hoffen, über eine halbe Million Besucher nach Bozen zu bringen“, hatte sich das Verkehrsamt gefreut.
Genau genommen hat man sie nicht nach Bozen gebracht, sondern in bestenfalls 15 Gassen und Plätze der Stadt: Lauben Obstmarkt, Museumstrasse, Rathaus- und Waltherplatz, Muster- und Streitergasse - eine sechswöchige Flutung der Altstadt. 
 
Die Altstadt müsse belebt werden, forderte der Landeshauptmann unlängst. Eine seltsame Forderung angesichts der Tatsache, dass die Landeshauptstadt viele Monate im Jahr mit Touristen so überflutet ist, dass Einheimische Lauben und Obstmarkt meiden - einen Markt, auf dem es kaum mehr Obst gibt und das Gemüse doppelt so viel kostet wie in Verona.
Die müsse belebt werden, forderte der Landeshauptmann unlängst in der Diskussion um das neue Ötzi-Museum. Eine seltsame Forderung angesichts der Tatsache, dass die Landeshauptstadt viele Monate im Jahr mit Touristen so überflutet ist, dass Einheimische Lauben und Obstmarkt meiden - einen Markt, auf dem es kaum mehr Obst gibt und das Gemüse doppelt so viel kostet wie in Verona. Bozen ist seit Jahren Schauplatz eines mordi e fuggi-Tourismus, der Busladungen von Tagestouristen im Eiltempo durch die Altstadt schleust. Qualität ist Nebensache. Bezeichnend dafür ist, dass Bozen als wohl einzige Provinzhauptstadt Italiens in dem jährlich viersprachig erscheinenden Slowfood-Führer Guida delle osterie mit keinem einzigen Lokal aufscheint. Toiletten gibt es in der Altstadt zum Unterschied von Meran fast keine. 
Belebt sind in Bozen dafür vor allem die Immobilien- und Mietpreise. Einzimmerwohnungen erreichen Preise über 200.000 Euro, die Mieten für Wohnungen in der Altstadt in vielen Fällen fast die Höhe eines Monatsgehalts. An Belebung lässt auch der Airbnb-Markt keine Wünsche offen. Eine Privatperson oder Gesellschaft kann bis zu 8 Zimmer bzw. bis zu 5 Wohnungen auf diesem Weg vermieten. Für Vizebürgermeister Christoph Baur ein Problem: „Wenn die Wohnungen in der Altstadt vermehrt an Touristen vermietet werden, fehlen sie den Einheimischen“, so Baur, der das Land auffordert, das entsprechende Gesetz zu ändern. Bei Werbeaktionen zeigen sich Stadt und Verkehrsamt nicht kleinlich: ein Jodler bietet auf den Stufen des Waltherdenkmals Heidi-Melodien zum Besten und bei den Oldtimer-Treffen in der Fußgängerzone missachtet die Stadt ihre eigenen Verbote. Die in der Altstadt zirkulierenden Strassenmusiker wiederholen seit Jahren dieselben drei Stücke. 
Dass Bozen keine gewöhnliche Stadt ist, beweist die Tatsache, dass die Kaufleute über den Standort des neuen archäologischen Landesmuseum entscheiden wollen - Ötzi, Speck, Loden e Strudel.  
 
Dass Bozen keine gewöhnliche Stadt ist, beweist die Tatsache, dass die Kaufleute über den Standort des neuen archäologischen Landesmuseum entscheiden wollen - Ötzi, Speck, Loden e Strudel.  
Als nächste Initiative empfiehlt sich ein Ideenwettbewerb zur Belebung der Altstadt. Empfehlenswert wäre etwa ein fünftägiges Frühlingsfest, ein einwöchiger Ostermarkt, ein Galoppreiten der Haflinger auf den Talferwiesen, die Ausdehnung der weihnachtlichen Pferdekutschen auf den Sommer.
Auch könnte man die 24 Lokale in der Streitergasse und am Obstmark zum Leitbild erheben für triste und verkümmerte Orte wie die Bindergasse, die mit vier Gasthäusern ein jämmerliches und fremdenfeindliches Dasein fristet. 
Fazit: bei den Gemeindewahlen im kommenden Jahr werden die Bürger gut beraten sein, die einzelnen Kandidaten nach ihrer Vorstellung von Stadtbelebung zu befragen, um festzustellen, ob sie die Initiativen der Lunapark-Fraktion zur Belebung der Altstadt teilen.

Fotos: Othmar Seehauser