Meran
Foto: Othmar Seehauser
Gesellschaft | Fritto Misto

Ich bin (k)ein Meraner!

Wie Integration wirklich gelingt: Die SVP Meran hat zum Glück die Antwort.

Wie läuft Ihr Ferragosto-Wochenende? Meines begann ja leider mit einer Ernüchterung. Schuld daran waren nicht etwa die Staus auf der Pustertaler Straße, sondern die Einsicht, dass ich eine Hochstaplerin, ja ein Scharlatan bin bzw. gewesen war. Dazu muss ich nun ein wenig ausholen: Ich habe vor einigen Jahren einige Jahre lang im schönen Meran gelebt. Das ist jetzt nicht ironisch gemeint, Meran ist wirklich schön, auch wenn böse Zungen, vorwiegend aus anderen, mit weniger Reizen beglückten Landesteilen, das Gegenteil behaupten und hämisch N.C. Kaser zitieren mögen. Ich war stolz, in Meran zu leben: Promenade, Kurhaus, Lauben, das Klima, das Flair, etc.. Regelmäßig spazierte ich gleichmütig an sich in orgiastischer Verzückung windenden Touristen vorbei, deren Ekstase jener einer Theresa von Avila alle Ehre gemacht hätte. Die Kombi aus schneebedeckten Bergen plus Palmen plus tanzenden Grazien auf dem Kurhaus führt immer wieder dazu, dass bundesdeutsche Gäste auf der Promenade vom Stendhal-Syndrom übermannt werden - mich ließ das kalt, war ich doch tagtäglich mit Merans Schönheiten konfrontiert und daher relativ abgestumpft. Für mich ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich Eingeborenenstatus erreicht hatte: Die Besonderheit der Stadt war Alltag geworden. Nicht so alltäglich, dass ich sie nicht mehr bemerkt hätte, aber alltäglich genug, dass ich darüber nicht ausflippte, sondern nur eine wohlige, leicht überhebliche Genugtuung verspürte, hier zu leben: Tja, ihr macht hier Urlaub, ich hingegen bin das ganze Jahr da.

Mein Irrglaube, glaubhaft meranisiert zu sein, nährte sich auch daraus, dass ich der Meinung war, einer*m waschechten, nicht aus der Umgebung zugezogenen Meraner*in kaum nachzustehen, was Insiderwissen und Ortskundigkeit betraf. Fragte man mich nach dem Weg nach Trautmansdorff, konnte ich einigermaßen zufriedenstellend Auskunft geben („Na gut, wir fragen dann da vorne am Kiosk nochmal.“). Ich wusste, wo die Touristenfallen waren, von denen man sich als Einheimische*r die Augen verdrehend abwandte, und hatte all die wichtigen Infos: Wo man den besten Kaffee, das beste Eis bekam, welche Platzlen abseits von den viel begangenen sehenswert waren, ob Zinedine grad wieder im Palace logierte, was die Gemeinde jetzt schon wieder verbockt hatte, und sogar die größeren Skandale in Liebesleben oder Geschäftsgebaren der Meraner Society bekam ich mit. Machte ich eine Runde unter den Lauben, blieb ich mehrmals für einen Ratscher oder kurzen Gruß stehen, in manchen Geschäften kannte man mich, in bestimmten Cafés sowieso: Mehr Integration geht gar nicht.

 

Ich hatte mich jahrelang unrechtmäßig als Meranerin aufgeführt, ich war ein Fake gewesen, ein Wolf im Schafspelz, ein Trampel aus der Umgebung, der so tut, als hätte er die Meraner Essenz intus und dabei nicht einmal annähernd begriffen hatte, worauf es wirklich ankommt.

Ich lebe zu meinem Bedauern nicht mehr in Meran, habe aber stets damit kokettiert, einmal Meraner*in gewesen zu sein. Bis vor kurzem jedenfalls. Bis die SVP Meran in der Person Christoph Mitterhofers mir bedeutete, dass meine Kriterien für eine Selbstbezeichnung als Meraner*in allesamt null und nichtig waren. Ich hatte mich jahrelang unrechtmäßig als solche aufgeführt, ich war ein Fake gewesen, ein Wolf im Schafspelz, ein Trampel aus der Umgebung, der so tut, als hätte er die Meraner Essenz intus und dabei nicht einmal annähernd begriffen hatte, worauf es wirklich ankommt. „Typisch, so naiv die Kienzl wiedermal“, höre ich Sie abfällig murmeln, und ja, ich weiß, es ist kaum auszuhalten, weil es ja eigentlich so logisch ist. „Es gibt viele alteingesessene Familien, aber auch Menschen die neu in diese Stadt kommen und hier versuchen Wurzeln zu schlagen“ schreibt die SVP Meran in einem Facebook-Eintrag, der mir kürzlich untergekommen ist. Das mit den Wurzeln war mir offensichtlich nicht gelungen, denn: "Wir müssen unsere Wurzeln bewahren, nur so bleiben unsere Kultur und Werte für die Zukunft erhalten. Neuen wie auch 'alteingesessenen' Meraner*innen müssen wir gemeinsam erklären wieso am Herz Jesu Sonntag Feuer auf den Bergen brennen oder wieso zu Fronleichnam eine Prozession durch alle Ortsteile der Stadt gemacht werden. Und wenn sie möchten können sie auch gerne daran teilnehmen", zeigt sich Christoph Mitterhofer von diesem Weg überzeugt.

 

 

In diesem Moment wurde mir schmerzlich bewusst: „Ik bin ein Meraner“, dieser leicht abgewandelte Ausspruch von JFK, er hatte mir nie gebührt. Nicht nur waren meine Kenntnisse zum Herz-Jesu-Sonntag eher dürftig und erschöpften sich in einer diffusen patriotischen Herzenswärme, die Pawlow-mäßig beim Anblick der Lichter auf den Bergen über mich hereinbrach und von unzusammenhängenden Schlagwörtern wie Hofer, Heimat, Schwur gespeist wurde. Noch ahnungsloser war und bin ich immer noch, was dieses offenbar für echte Meraner*innen existenzbestimmende Fronleichnam ist. Gab es vielleicht einen Happy-Corpse-Day auch in anderen Ländern? Aber nein, eine kurze Recherche zeigte mir, „froh“ war da gar nichts daran, und dass es an jenem offenbar hochoffiziellen, hochobersten Feiertag aller indigenen und nicht bloß dahergelaufenen Meraner*innen eine Prozession durch alle Stadtteile gibt: Boh, ich schwöre, es war an mir vorbeigegangen. Prozessionen kannte ich bloß jene bundesdeutschen an Regentagen, vom „Siebenförcher“ bis zum Lederwarengeschäft. So sad.

Seit meiner Entlarvung fühle ich mich seltsam gedemütigt und überlege ernsthaft, um eine geführte Teilnahme an der nächsten Fronleichnamsprozession anzusuchen.

Seit meiner Entlarvung fühle ich mich seltsam gedemütigt und überlege ernsthaft, um eine geführte Teilnahme an der nächsten Fronleichnamsprozession anzusuchen. Vielleicht lässt sich mein Status als „Ex-Meranerin“ ja dann sogar im Nachhinein legitimieren. Gleichzeitig beneide ich meine ausländischen Mitbürger*innen, die sich den ganzen jahrelangen "Stadt und ihre Bevölkerung kennenlernen"-Zores sparen können und einfach nur mit dem Pfarrer mitmarschieren brauchen, um meranisiert zu werden. Hätte jemand mir das bloß schon früher einmal gesteckt. Wobei: Mit der Sprache nimmt es Herr Mitterhofer dann doch etwas genauer: So sollen Migrantenkinder nur unter der Voraussetzung die deutsche Volksschule besuchen dürfen, dass ihre Eltern einen Deutschkurs absolvieren. Wieder so ein Schnellsiederverfahren: Keine Quote in den Klassen, keine Aufstockung des Lehrpersonals, sondern einfach Mama und Papa mit einer Zwangs-Fortbildung beglücken, dann wird das schon mit dem Deutsch. Eine Bekannte hat mir mal von zwei Vinschger Gemeindebeamten erzählt, die ihre mangelhaften Italienischkenntnisse damit kaschierten, dass bei jedem „Pronto?“ am Telefon sofort aufgehängt wurde. Da hätte man die Eltern auch mal besser zu einem Italienischkurs genötigt, hätte garantiert alles geändert.

 

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Hartmuth Staffler Di., 17.08.2021 - 08:27

Man kann ohne Weiteres in Meran oder anderen Gemeinden Südtirols wohnen, ohne zu wissen, was es mit den Herz-Jesu-Feuern auf sich hat oder worum es bei der Fronleichnamprozession geht, aber man sollte seine Unwissenheit nicht so offenkundig machen. Im Notfall kann man sich ja durch einen Touristen aus Süditalien über die "processione del corpus domini" aufklären lassen. Die wissen das.

Di., 17.08.2021 - 08:27 Permalink
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Maximi Richard Di., 17.08.2021 - 12:29

Das ist schon alles richtig und in Rom wird man auch erst nach sieben Generationen Römer, aber in der deutschen Schule redet man Deutsch und die LehrerInnen sind nicht verpflichtet auf Englisch oder auf Italienisch mit den Eltern zu reden.

Di., 17.08.2021 - 12:29 Permalink