Kultur | Soldatenhafte Eltern

Christsein in Südtirol in der Nazizeit?

Der Selige Josef Mayr-Nusser sagte nein zu Hitler und seine damalige Entscheidung wurde zu unserer Weltanschauung. Und doch wankt oft diese tolerante Weltanschauung.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Der Nusserhof
Foto: Marco Sonna

Im Oktober jährt sich zum 99. Mal der Marsch auf Rom an dem die Ära der Totalitarismen begann. Diese Spirale der Gewalt und Menschenverachtung zog durch ganz Europa und brachte uns durch die Nationalsozialisten den 2. Weltkrieg. Toleranz gab es keine mehr. Und die wahren Christen waren in der Minderheit. Es war eine Zeit in der das Soldatenhafte lobenswert war und den Kindern beigebracht worden war.

Zwei Jahre lang war ich durch den Dokumentarfilm „Bozen + Erlangen, der Kreis des Peppi Nusser“ , der am 24. 09. um 17 Uhr seine Premiere im Filmclub hält mit diesen Themen im Kopf beschäftigt. Der Selige Josef Mayr-Nusser war kein Kriegsverweigerer, er widersetzte sich dem grausamen System der Nazis, das er gut informiert, durchschaut hatte. Und eben zwei Welten präsentierten sich ihm, das Christliche und das Heidnische. Und in diesem Sinne ist eben eine kleine Kurzgeschichte entstanden:

Tage XY

Ratten liefen, stritten sich um Brotreste. Rudolf ging froh gelaunt den Gang hinunter. Er liebte seine Arbeit. Sah er das Leid anderer, fühlte er sich besser. Das eigene Schicksal meinte es nämlich dann gut mit ihm. Besser, er konnte dieses Schicksal auch leiten. Diesmal war die Gefängniszelle 10 an der Reihe. Einer der stets betete. Die 10 Gebote wahrscheinlich, hämisch lachte Rudolf auf. Er wurde religiös erzogen, aber der Führer hatte ihn eines Besseren belehrt. Jede Religion ist Wahnsinn und nur die überlegene Rasse soll herrschen. Aber dieser Eine war stets freundlich, auch wenn er seine Suppe vor ihm wegschüttete. Er ließ sich nicht ärgern und das wurmte Rudolf. „ Du glaubst doch, was Besseres zu sein. Friss oder stirb, das sind die Regeln hier. Die Regeln der Eigeninteressen. Was betest du weiter? Du Wehrmachtzersetzer, aber das macht unsere Wehrmacht nur härter. Ach so, du glaubst an das Leid am Kreuze, das uns helfen soll, an Mitleid.“ Rudolf lachte stark auf, er hatte wieder einmal ausgeteilt.

Josef hatte noch Hoffnung, daß vor dem Untersuchungsrichter die Sache doch glimpflich enden könnte, er hatte ja Frau und Kind. Das wenige Essen, die täglichen Nörgeleien des Einen setzten im nicht zu, er fühlte sich Gott näher und betete viel für seine Hildegard, seinen Sohn Albert und dachte an die Eremiten, die in Verklärung zu Gott fanden. Das Licht verdrängt das Dunkel, das wusste er jetzt. Wind kam durch das Gefängnisfenster, streifte seine Haut, er fühlte sich plötzlich glücklich, ja frei, wie Moses am Berg Sinai. Nur der Gefängniswärter, ja eine Welt die den Menschen unterschied. Zu sehr wusste er darüber Bescheid. Wehe dem der anders dachte. Der war dem Tode geweiht. Doch diese zwei Welten, die aufeinanderprallten, parallel lebten, warteten auf eine Antwort. „Du glaubst der Stärkere zu sein. Doch Gott sieht das verlorene Schaf. Nicht deinen Kampf. Du denkst an dein Jetzt und vergisst Christus, der für alle eintrat die schwach waren, um daraus die Fundamente seiner Kirche zu bauen. Du schlägst zurück, ich nicht. Du wartest auf dein Feuer nach dem Schlagen, ich trage es schon seit langem in mir. Du siehst die längere Wahrheit ist die meine.“

Rudolf errötete leicht. Heute hatte er seinen Kampf mit Zelle 10 aufgenommen, er wollte den Einen fertigmachen, ihn demütigen. Er ging ihm nämlich auf die Nerven mit seinem Beten. Er hatte geübt und wollte ihn nun bloßstellen. Manchmal tat er das und fühlte sich als Allmächtiger über Leben und Tod. Diesmal wird er die Suppe aus Gnade nicht verschütten und lächelte stolz hierbei: „Wahr ist, daß ihr auszumerzen seid für die blutgleiche Volksgemeinschaft“ Gleich wollte er nachlegen, aber Josef antwortete: „Wahr ist, was ist; in das Andere sich hineinzudenken, es zu erkennen und Gott zu sehen. Und dafür und für das Gute lohnt es sich zu sterben!“ Rudolf fühlte sich nun in seinem Element: „In den Anderen Gott und das Gute sehen, ach so, ich sehe nur einen Wehrmachtzersetzer der unser Volksgefühl für Einheit, Überlegenheit und Fürsorge in den Dreck gezogen hat, anstatt die eigene Person selbstlos für die Sache in den Hintergrund zu stellen, für Führer, Volk und Vaterland. Dies sehe ich, dies ist wahr!“ „Wahr ist die Seele Gottes zu sehen.“ Rudolf versetzte Josef einen Schlag ins Gesicht, „Du redest, wenn ich es dir sage und freue dich auf dein Urteil!“ lachte, wie gewohnt auf, fing gemütlich an ein Lied zu pfeifen „Ich bin geboren, deutsch zu fühlen“ und die Zellentür ging wieder zu.

Josef fühlte sich von Tag zu Tag schlechter, er betete und Hoffnung seine Familie wiederzusehen nährte sein Gemüt. Die Zellentür schlug auf und die Suppe mit Brot fiel vor ihm auf den Boden. Rudolf: „Ich habe gehört du hast Frau und Kind und zersetzt die Wehrmacht aus einer Laune heraus. Du bist doch nur ein Idiot deiner eigenen Familie gegenüber!“ Josef: „Ich habe euch genug kennengelernt, mit einer Lüge zu leben, ist unvereinbar für mich. Einfach Christ sein, reicht für das hier. Meine Frau versteht mich und gibt mir Kraft.“ Rudolf grinste: „ Aaha, deine Frau unterstützt dich, hättest du Verstand, wärest du vielleicht als Mitläufer zu gebrauchen.“ Josef hustete leicht: „Ich habe immer getan, was ich dachte und solche sind keine Mitläufer. Menschen ohne Lügen könnten das Paradies auf Erden schaffen und wenn es ein Opfer dazu braucht, nur zu!“ Rudolf trat schreiend auf Josef ein:„Wir leben im Deutsche Reich und du behinderst uns nur, verrecken sollst du, du sturer Schädel, mein Schläge werden dich beugen“!

Rudolf brachte Suppe und Brot in Zelle 10, am Tag zuvor hatte er dem Einen stark zugesetzt, aber dieser sollte noch vernehmungsfähig bleiben. „Hier iss, du bist ein wenig abgemagert und dein Urteil sollst du doch bei Verstand erleben“ Josef dachte an seine freiwillige Arbeit in der Vinzenzgemeinschaft, an jene in der Katholischen Jugend und an seine Vorträge hierfür. Er mied keinen Aufwand. Er trat für die Schwachen und Armen ein, so wie es seine Religion, sein Seelsorger, die Predigt in der Andacht, sein Beten vorgaben. Und er verstand für Momente diese Welt nicht mehr. Er aß langsam, sah seinen Peiniger an und sprach endlich: „ Ich lebe für den Nächsten und glaube auch an dich, du aber hängst immer vom Sieg ab, wehe solltest du verlieren. Ich brauche dies alles nicht weder Sieg noch Niederlage.“