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Der globale Speiseplan

Gesunde und nachhaltige Ernährung für die gesamte Weltbevölkerung? Ein Gastbeitrag aus der Zeitschrift Kulturelemente #160. Zum Welternährungstag.
Kulturelemente
Foto: Kulturelemente

Im Januar 2019 kam es zu einer aufsehenerregenden Publikation, die unter dem Namen Planetary Health Diet einen globalen Speiseplan für eine gesunde und nachhaltige Ernährung der gesamten Weltbevölkerung vorstellte. Der Report der EAT-Lancet-Kommission fand große Beachtung, wurde gepriesen und ebenso stark kritisiert. Ungeachtet der Kritik steht die Initiative stellvertretend für neue wissenschaftliche Disziplinen wie die Klimafolgenforschung. Richtungsweisend ist auch die Einführung internationaler Institutionen, darunter in erster Linie der  zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen der UNO.

Die internationale EAT-Lancet-Kommission für Gesundheit und Nachhaltigkeit – bestehend aus weltweit führenden Wissenschaftler*innen – wurde gegründet, um zu erforschen, wie sich in einer zukünftigen Welt rund 10 Milliarden Menschen ernähren lassen. Folgerichtig wurde ein globaler Ernährungsplan erarbeitet, der sowohl der Gesundheit als auch dem Klima, insbesondere dem CO2-Ausstoß, und den zukünftigen Anbaumöglichkeiten Rechnung tragen sollte. Schließlich geht es darum, das große Ganze im Blick zu behalten. Es gilt, umweltschonend zu produzieren, dabei jedoch Nahrungsmittelknappheit sowie Mangel- oder Fehlernährung zu vermeiden.  Schmecken sollte es auch noch. Dieser Aspekt wurde am ehesten vernachlässigt, wie Kritiker*innen, unter anderem Vertreter*innen von Slow Food, anmerken, denn ein globaler Speiseplan kann per definitionem nicht auf regionale Eigenheiten eingehen. Dies aber ist fundamental für Organisationen wie Slow Food, die sich fragen, wie es ökologisch zugehen soll, wenn täglich 75-100 g Hülsenfrüchte verzehrt werden sollen in Ländern, in denen so gut wie keine Hülsenfrüchte angebaut werden? Allein Deutschland müsste rund 8.000 Tonnen pro Tag einführen.  

Global statt regional  

Für Aufsehen sorgte jedoch weniger die Empfehlung an sich, sondern dass renommierte Wissenschaftler bei einem hochsensiblen Thema wie Ernährung einen konkreten Plan vorlegen und ihn der WHO als Maßstab anempfehlen. Lobbyisten, Befürworter und Kritiker*innen meldeten sich zu Wort. Slow Food stellte sich zwar hinter das Vorhaben einer global nachhaltigen Produktion, forderte aber mehr Rücksichtnahme auf lokale Kreisläufe und kulinarische Traditionen. Die ständige Vertretung des Italienischen Außenministeriums bei den internationalen Organisationen in Genf riet der WHO gar zur Vorsicht bei der Unterstützung solcher Pläne. Italiens Vertretung kritisierte die „versuchte Globalisierung“ der Essgewohnheiten als Schlüssel zur Produktion „ungesunder“ Lebensmittel und Zerstörung traditioneller Ernährungsweisen, die Teil des kulturellen Erbe seien. Sie kritisierte ebenso die Zusammensetzung („übermäßige Kalorienzufuhr”) als auch die Unausgewogenheit des Speiseplans („übermäßiger Konsum von Cerealien“). Auch das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) interpretierte als Kompetenz- und Kommunikationszentrum für Ernährungsfragen in Deutschland die Schlussfolgerungen der Kritiker als Skepsis an der empfohlenen Kalorienzufuhr und dem Ausblenden regionaler Essgewohnheiten:
„Der Speiseplan legt eine tägliche Kalorienzufuhr von 2.500 Kalorien zugrunde. Für Schwerstarbeiter wäre dies bei Weitem zu wenig Energie, für Menschen mit überwiegend sitzender Tätigkeit zu viel. Den Menschen in vielen Ländern dieser  Erde stehen außerdem bedeutend weniger Kalorien pro Tag zur Verfügung. [...] Die weltweite Halbierung des Verzehrs von rotem Fleisch würde zum Beispiel für Nordamerika bedeuten, dass nur noch etwa ein Siebtel der heute üblichen Menge verzehrt werden dürfe. Und in afrikanischen Ländern wird heute ein Siebenfaches der empfohlenen Menge an stärkereichen Pflanzen konsumiert.“  
Befürworter warfen ein, dass die Planetary Health Diet von EAT-Lancet keine starren Vorschriften formuliere, sondern vielmehr einen flexiblen Referenzrahmen, der an individuelle Vorlieben und kulturelle Traditionen angepasst werden könne. Ausgerechnet Lancet-Chefredakteur Richard Horton sieht das jedoch weniger flexibel und fordert die Politik und Wirtschaft zum entschlossenen Handeln auf allen Ebenen auf, damit sich rasch etwas bewege.  

... ans Eingemachte  

Doch was empfiehlt nun die Planetary Health Diet konkret? Als Ernährungsziel mit einer Kalorienzufuhr von 2.500 kcal/Tag wird eine täglich kombinierte Aufnahme von Proteinen, Kohlehydraten, Fetten und Zucker empfohlen, allerdings in einer veränderten Gewichtung. Rund 230 g Vollkorngetreide am Tag stehen 0–14 g rotes Fleisch gegenüber. Das entspräche einem großen Steak im Monat, hinzu käme ein Hühnerschnitzel und ein Fischfilet in der Woche. Stärkehaltiges Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte werden aufgewertet, Zucker stark reduziert. Allerdings gilt dies – wie schon erwähnt – nur für die Ernährungsgewohnheiten in unseren Breitengraden.  Umweltorganisationen wie WWF weisen immer wieder auf die Importe landwirtschaftlicher Erzeugnisse hin, deren Anbau als umweltschädlich gilt, allen voran Soja als Futtermittel für die Fleischerzeugung. Es gilt als bewiesen, dass Gemüse, Obst und Nüsse, aber auch Getreide und Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen oder Kichererbsen einen kleineren ökologischen Fußabdruck hinterlassen als tierische Produkte.


​​​​​​​Der Wissenschaft stehen für diese Behauptung genügend Daten zu den wichtigsten Nahrungsmitteln zur Verfügung. So veröffentlichte etwa das Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) kürzlich eine Studie über „Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland“, aus der hervorgeht, dass ein Apfel einen ökologischen Fußabdruck von rund 0,3 kg CO2-Äquivalent (pro kg Lebensmittel) verursacht, eine Ananas 0,6 und eine Flug-Ananas bereits 15,1, also das 25-fache. Am obersten Ende der Skala rangiert Rindfleisch. Interessanterweise schneidet Bio-Rind in dieser Studie noch schlechter ab als herkömmliche Tierhaltung. Weltweit entstehen Initiativen, die praktische Antworten zu finden versuchen. In Italien versucht etwa die Organisation carnisostenibili für nachhaltige Fleischproduktion, den Ruf der Branche zu retten und der neuen Entwicklung Rechnung zu tragen, damit die Menschen nicht auf den Fleischverzehr verzichten müssen. Dennoch kritisierte die Organisation den Lancet-Vorstoß als fatale Fehlentwicklung. Viel Lob erhielt der globale Speiseplan hingegen von der privaten BCFN-Stiftung für Nachhaltigkeit des Teigwarenfabrikanten Barilla, welche die Studie als wissenschaftliche Grundlage zur Transformation der globalen Ernährungsweise bezeichnete; und die gegen den vermehrten Verzehr von Getreideprodukten natürlich nichts einzuwenden hat.  

Klimafolgen  

Dem Ausschuss für Klimaänderungen zufolge verursacht die Nahrungsmittelproduktion rund ein Drittel der weltweiten Treibhausgase. Wissenschaftliche Publikation weisen darauf hin, dass ohne eine ökonomische Wende und Neuausrichtung der Nahrungsmittelproduktion die Pariser Klimaziele eventuell nicht erreicht werden könnten. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass ein geringerer Fleischverzehr den eigenen ökologischen Fußabdruck senkt und zugleich die eigene physische und psychische Gesundheit stärkt. Im Vergleich zu anderen Faktoren wie Industrieproduktion, fossile Brennstoffe, Langstreckenflüge, Schiffsreisen fällt dieser Verzicht zwar nicht ins Gewicht. Von Bedeutung scheint die Reduktion des Fleischkonsums jedoch für die zukünftige Ernährung der Welt zu sein: „Es wird unmöglich sein – schreibt etwa das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung auf seiner Website –, eine wachsende Bevölkerung von 10 Milliarden Menschen bis 2050 mit einer gesunden und nachhaltigen Ernährung zu versorgen, ohne die Essgewohnheiten zu ändern.“