Kultur | Theaterkritik

Erinnern und Erzählen: Die Option im Stadttheater

Was am 15. Februar auf die große Bühne im Bozner Stadttheater gehievt wurde, war ein Stück dramaturgischer Schwerarbeit. Die Vereinigten Bühnen Bozen können stolz auf sich sein.

Die Linzerin Irene Girkinger ist ihre Intendanz vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, das Theater der Vereinigten Bühnen Bozen verstärkt an die Geschichten dieses Landes anzubinden und auch die Mehrsprachigkeit auf die Bühne zu holen. Mit dem Stück „Option, Spuren der Erinnerung“ hat sie dieses Versprechen nun ein zweites Mal, nach dem „Ballhaus“, eingelöst. Und hat dieses Mal davon abgesehen, die so tragisch empfundene Südtiroler Geschichte als Boulevard-Stück zu präsentieren wie in „der musikalischen Zeitreise durch ein Jahrhundert“, eben dem Ballhaus.

Es spielt die Osttiroler Banda Franui auf, das Orchester bespielt die rechte Seite der großen Bühne im Stadttheater, während linker Hand die Protagonisten der Geschichte sitzen: Georg Dignös, Edmund Dellago, Martha Ebner, Anna Gius, Erich Innerebner, Hermann Oberparleiter, Marieluise Oberrauch, Anton Rinner, Regina Stockner, Karl Tarfußer waren Optanten, Dableiber, Rücksiedler und Nichtrückoptanten, also solche die „draußen“ blieben. Die mittlerweile zwischen 80- und 95-Jährigen sind zwei Stunden lang live auf der Bühne und erzählen uns, dem Publikum ihre Anekdoten, Erinnerungen und Lebensgeschichten aus den Jahren um 1939. Als Südtiroler weiß man um diese Geschichten, es gibt einiges an Literatur dazu und wir kennen die „Brennende Liab“, Zoderers „Wir gingen“ oder Gottfried Solderers „Gell, hinter den Bergen ist Deutschland“ zumindest vom Hörensagen.

Unser kollektives Südtiroler Gedächtnis: "Wir haben immer so getan, als ob nie etwas gewesen wäre." (Regina Stockner)

Wir kennen „den Riss, der durch die Familien ging, die Propaganda und das Dilemma sich für oder gegen die Heimat, die Herkunft, die Sprache entscheiden zu müssen“. Es ist längst Teil unseres kollektiven Südtiroler Gedächtnisses, wie vieles, das geschichtlich einigermaßen aufgearbeitet wurde, aber persönlich doch noch schwer wiegt. Deswegen ist es anfangs mühsam, sich auf die Zeitzeugen-Erzählungen einzulassen, weil es nach bekanntem und oft gehörtem Stoff klingt, weil die Interview-Situationen zwischen Schauspielern (Günther Götsch, Christine Lasta, Lukas Lobis, Markus Oberrauch und Anna Unterberger) und alten Menschen etwas holprig geraten und weil es eben Erzähltheater ist. Kein Spiel lockert auf, nur die schräge Volksmusik der Franui bläst ihre Spottlieder und Jodler zwischen die Erzählungen.

Der Theaterabend schreitet fort und wird besser: Regisseur Alexander Kratzer zieht sämtliche Register des Erzähltheaters, blendet Videomaterial ein, mal nur gesprochen, mal im Dialog mit den Musikanten oder als Standbild – dazu treten dann die Schauspieler auf und sprechen die Texte. Ein starker Moment, wenn Anna Unterberger die Verzweiflung ums Dableiben oder Gehen schildert; hier merkt man, was theatrale Darstellung im Unterschied zu Oral History auf der Bühne bewirken kann (und vielleicht ist diese Gegenüberstellung ein wenig unfair).

Das Unmittelbare berührt mehr als das Erinnerte: "Es geht mir hier jetzt nicht gut und ich bin sehr aufgewühlt." (Martha Ebner)

Das Erinnerte kann nie so stark sein wie das unmittelbar Erlebte, den Zuschauer berührt die Zeitzeugin Martha Ebner in ihrem momentanen Aufgewühltsein wahrscheindlich mehr als Edmund Dellagos authentische Schilderung seiner Kinderjahre. Doch es ist das Verdienst von Dramaturgie (Ina Tartler, Elisabeth Thaler), Regie und dem ganzen Team der Vereinigten Bühnen Bozen, dass das Eine nicht gegen das Andere ausgespielt wird und dass das Ausmaß und der Aufwand einer solchen Produktion bedeutend und wertvoll sind. Und dass vor allem der Mut der Zeitzeugen im Mittelpunkt des Theaterabends steht.