Politik | Neue Grenzen

"Weder am Brenner noch sonst wo"

Kunst- und Kulturschaffende aus Österreich und Südtirol richten sich mit einem Aufruf an die Politik und gegen Grenzen. Während die Zivilgesellschaft weiter mobilisiert.

Die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, auch an den Grenzübergängen zu Italien Kontrollen vorzubereiten und einzuführen, lässt die Wogen weiter hoch gehen. Neben Kritik von Politik und Medien ist seit der offiziellen Kundmachung von Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auch die Zivilgesellschaft tätig geworden. In Trient blockierten am Dienstag Abend einige Demonstranten die Zuggleise. Mit einem Transparent standen sie auf den Schienen, um einen Zug der ÖBB an der Weiterreise zu hindern. “Chiudono le frontiere? Blocchiamo tutto!”, stand auf dem Transparent. Am Dienstag Morgen wurden dann Flugblätter am Trientner Bahnhof verteilt. “La cosiddetta ‘Europa unita’ per le merci si chiude e si militarizza contro una merce in eccesso: gli esseri umani che fuggono dalle guerre e dalla miseria”, war unter anderem darauf zu lesen. Ebenfalls aus dem Trentino kommt der Appell, am Samstag, 20. Februar, zum Brenner zu fahren. Es ist der Trentiner PD, der mit Unterstützung auch aus Südtirol – darunter die Gewerkschafter Alfred Ebner (CGIL-AGB) und Toni Serafini (UIL-SGK) sowie Sergio Bonagura (ARCI Bolzano) – ein Zeichen setzen will: eine Menschenkette, “für einen Brennerpass der Vereinigung und Verbindung”:

Wenn in dieser Weise die Grenze ein Ort wird, an dem man “Entscheidungen treffen muss” - Entscheidungen darüber, wer ein Migrant ist und wer Einheimischer, wer ein Staatsbürger ist und wer nicht, wer Rechte hat und wer sich darauf beschränken muss, einen Antrag auf Rechte zu stellen – dann werden wir uns am kommenden Samstag, 20. Februar um 11 Uhr am Brennerpass treffen um uns die Hände zu reichen, diesseits und jenseits der Grenze, um zu verhindern dass diese zu einer Schranke für die Inanspruchnahme von Menschenrechten wird.

Aber auch nördlich von Trient gibt es mittlerweile Initiativen, um dem Unverständnis über die bevorstehenden Grenzkontrollen Luft zu machen. Nach dem Vorbild des Refugees Welcome Day Mitte November in Bozen wollen die Organisatoren eine ähnliche Veranstaltung am Brenner veranstalten. Aufgerufen, daran teilzunehmen, sind auch Künstler, Musiker und die Bevölkerung aus Tirol. Das Networking und die Organisation soll auch für diese Veranstaltung über die sozialen Netzwerke stattfinden. Ebenfalls in den sozialen Netzwerken, genauer gesagt auf Facebook, hat die Seite “Kein Zaun am Brenner” sechs Tage nach ihrem Entstehen bereits knapp 3.200 “Gefällt mir”. Die Petition, die die Tiroler Betreiber der Facebook-Seite lanciert haben (und die mittlerweile ins Italienische und ins Englische übersetzt wurde) hat inzwischen die 2.800-Unterschriften-Marke überschritten. “Kein Zaun am Brenner – No alle barriere al Brennero – No fences at Brenner”, die Forderung der Petition.

Ähnlich ein Aufruf, der am Mittwoch Nachmittag aus der Kunst- und Kulturwelt kommt: “Keine neue Brennergrenze!”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung österreichischer und Südtiroler Kunst- und Kultureinrichtungen und -verbände. Gleichzeitig, so teilen die Präsidentin der Südtiroler Autorenvereinigung Maxi Obexer und der Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren Gerhard Ruiss mit, wird anlässlich des EU-Flüchtlingsgipfels am 18. und 19. Februar gestartet: “Dieser Aufruf soll und kann von möglichst vielen noch folgenden Mitunterzeichnenden mitgetragen werden, die aus allen Anrainerstaaten und Ländern Europas willkommen sind”, schreiben Obexer und Ruiss in einer Aussendung. Auch bei der Leipziger Buchmesse vom 17. bis 20. März wird der Aufruf aufliegen. Zusätzlich findet dort am 18. März eine Lesung von sechs Autorinnen und Autoren aus deutschen, österreichischen und Schweizer Grenzgebieten statt, unter dem Titel “Die Zäune an den Grenzen – die Grenzen in den Köpfen”. Im folgenden der Aufruf, der bereits von zahlreichen Kunst- und Kulturschaffenden unterzeichnet wurde:

Keine neue Brennergrenze!
Gemeinsame Erklärung österreichischer und Südtiroler Kunst- und Kultur-Einrichtungen und -Verbände zur beabsichtigen Wiederrichtung der Grenze am Brenner, am Reschenpass und bei Sillian

Wir sind entsetzt, dass die Brennergrenze wieder geschlossen werden soll.
Wir sind entsetzt, dass sich die Tiroler Landes- und der Österreichischen Bundesregierung über die besondere Bedeutung dieser Grenze hinwegsetzen will.
Wir sind entsetzt, wie Österreich an seinen gemeinsamen Grenzen mit Italien auf die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg reagiert.
Wir greifen den ungehörten Appell an das Treffen des Österreichischen Bundeskanzlers mit dem italienischen Premierminister am 12.2.2016 auf, keine neue Brennergrenze zu errichten.

Der offene Brennerpass ist ein Symbol für ein befriedetes und gemeinsames Europa, ein Symbol für den Abbau der Nationalitäten, für den Schutz der Minderheiten und für die Einhaltung der Menschenrechte. Er ist der Seismograph für die Werte, für die Europa steht, und für die Richtung, die es einschlägt: Werden die Grenzen wieder hochgezogen, ist das der erste Schritt zur Auflösung der Europäischen Union.

Wir fordern die Österreichische Bundesregierung und die Tiroler Landesregierung auf, die besondere historische Dimension dieser offenen Grenze zu respektieren.

Wir fordern die Österreichischen Bundesregierung auf, eine klare Haltung für die humanitären Werte und für die Menschenrechte zu zeigen. Dies schließt den Schutz der Geflüchteten und Asylsuchenden ein.

Wir fordern den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann und den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi dazu auf, klar und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass an keine neue Errichtung von Grenzbefestigungen zwischen Italien und Österreich zu denken ist, weder am Brenner, noch am Reschenpass bei Nauders, noch in Osttirol bei Sillian noch sonst wo an der gemeinsamen Grenzen Österreichs und Italiens.

Wir fordern darüber hinaus die Österreichische Bundesregierung dazu auf, ihre besondere Verantwortung gegenüber Südtirol wahrzunehmen. Wir fordern die Tiroler Landesregierung dazu auf, nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die kulturellen Entwicklungen und Beziehungen Südtirols dauerhaft zu beschädigen.

Wir fordern ein klares Bekenntnis der Tiroler Landesregierung sowie der Regierungen Österreichs und Italiens zu den Zielen der Europäischen Union und zu einem gemeinsamen Europa.

Aufruf von:

Maxi Obexer, Autorin, Vorsitzende, Südtiroler Autorenvereinigung, Berlin/D
Gerhard Ruiss, Autor, Geschäftsführer IG Autorinnen Autoren, Wien/A
Helmuth A. Niederle, Autor, Präsident PEN Club Österreich, Wien/A
Angelika Burschter, Lungomare Design, Österreich, Bozen, Turin/I
Daniele Lupo, Lungomare Design, Deutschland, Bozen/I
Petra Ganglbauer, Autorin, Präsidentin Grazer Autorinnen Autorenversammlung, Lehrgangsleiterin BOeS, Wien/A
Bernd Schuchter, Autor, Verleger LImbus Verlag, Regionaldelegierter GAV Tirol, Innsbruck/A
Magdalena Knapp-Menzel, Autorin, Geschäftsführung Grazer Autorinnen Autorenversammlung, Wien/A
Sylvia Tschörner, Autorin, Literaturwissenschaftlerin, Dramaturgin, Schauspielerin, Präsidentin Tiroler PEN-Club, Innsbruck/A
Erika Wimmer, Autorin, Wiss. Mitarbeiterin des Brenner-Archivs, Stellvertretende Institutsleiterin, Universität Innsbruck/A
Lina Hofstädter, Autorin, AHS Lehrerin Erwachsenenbildung, Anglistin, Germanistin, Co-Organisatorin von Bildhauer- und Musiksymposien im Tiroler Pitztal, Tirol/A

Südtiroler Autorenvereinigung, Bozen/I
IG Autorinnen Autoren, Wien/A
PEN Club Österreich, Wien/A
Lugomare Design, Bozen/I
BOeS – Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen, Wien/A
Grazer Autorinnen Autorenversammlung, Wien/A
GAV Tirol, Innsbruck/A
Tiroler PEN, Innsbruck/A

Wien/Bozen/Berlin am 17.2.2016