Politik | Rom-Athen

Wieviel Tsipras steckt in Renzi ?

Seit einigen Monaten vertritt Italiens Ministerpräsident eine EU-kritische Anti-Austeritätspolitik. Ist das nur Drohgebärde oder Ernst?

An die Kehrtwendungen, Finten und Pirouetten der italienischen Politiker gewohnt, frage ich mich seit einiger Zeit, was von der Kritik Matteo Renzis an der Brüsseler Austeritätspolitik zu halten ist.

Schon einmal habe ich mir die Finger verbrannt, als ich - als Grünen-Kandidatin für die Europawahlen 2014 auf der Liste Tsipras - den damals frisch ernannten Florentiner Ministerpräsidenten lobte, weil er die von Berlin diktitierte EU-Sparpolitik kritisierte - wie dies eben die europäische Linke tut.  

Damals nahm Renzi seine Äußerungen sofort zurück, er eilte nach Berlin, in die Arme der deutschen Bundeskanzlerin, die er seitdem liebevoll und direkt mit 'Angela' ansprach.

So ging es mehrmals bis zur ersten, ernsthaften Auseinandersetzung zwischen Renzi und EU-Kommissionspräsident Juncker über die Austeritätspolitik vor wenigen Wochen. Der Streit war absurd: Beide Politiker stritten sich darum, wer als erster die EU-Austeritätspolitik kritisiert hatte! Dabei gehörte Juncker immer zu den schärfsten Gegnern jeder "Aufweichung der europäischen Sparpolitik".  

Der erste europäische Spitzenpolitiker, der nachweislich die EU-Sparpolitik bekämpft hat, war Griechenlands derzeitiger Ministerpräsident Alexis Tsipras. Bereits 2013 war er an der Spitze des Syriza-Linksbündnisses mit einem Anti-Austeritätsprogramm angetreten, um die Wahlen zu gewinnen. 

Er siegte bei den Europawahlen 2014 und  bei den Parlamentswahlen in Griechenland vor einem Jahr. Nun steht Tsipras knapp vor seinem Sturz: Nicht weil er seine Anti-Sparpolitik umgesetzt hat, sondern weil er das Gegenteil davon tut. Der griechische Premier hat sein Versprechen gebrochen, die Bürger vor der EU-Spar- und Kreditpolitik zu schützen.

Tatsächlich war Tsipras im vergangenen Sommer bei den Verhandlungen in Brüssel über weitere Kredite für sein schwer verschuldetes Land "eingeknickt". Er akzeptierte damals die von ihm bisher kritisierten Spar- und Reformauflagen der internationalen Kreditgeber und der EU im Tausch für einen Verbleib im Euro. Über die Druckmittel, die damals gegen Tsipras eingesetzt wurden, gibt es viele Spekulationen und Interpretationen.  

Fakt ist: Griechenland muss jetzt die damals vereinbarten Reformen durchsetzen. Schwere Unruhen überziehen seit Wochen das Land. Sie werden Tsipras über kurz oder lang den Kragen kosten . 

Umso überraschender, dass nun der italienische Ministerpräsident das Erbe von Tsipras antreten will. Es vergeht kein Tag, an dem Renzi nicht die derzeitige EU-Wirtschaftspolitik kritisiert. Höhepunkt dieser Kritik war der Brief des Regierungschefs an die Tageszeitung "La Repubblica" vor einer Woche. Der Brief kommt einem Anti-Austeritäts-Manifest gleich.  

Genau die Argumente, die ich während des Europawahlkampfes benutzt hatte, um für eine Umkehr in Brüssel zu werben, stehen jetzt schwarz auf weiß in einem Leitartikel Renzis! Ich erinnere mich an die Anfeindungen von rechts und Mitte-Links, als meine Gesprächspartner mit erhobenem Zeigefinger dozierten: Pacta sunt servanda! Was in den EU-Vereinbarungen steht, muss von allen eingehalten werden!

Niemand kam auf die Idee, dass eine Wirtschaftspolitik, die sich als falsch erweist, auch verändert bzw. verbessert werden kann. Dafür ist die Politik eigentlich zuständig, nicht für das Verharren in Fehlentwicklungen. Das hat jetzt auch Matteo Renzi verstanden.  

Deshalb, zusammengefasst, die Thesen Renzis in seinem Anti-Austeritäts-Brief :

Die USA haben einmal mehr vorgemacht, dass nur Investitionen und Innovation Wachstum bringen. Seitdem US-Präsident Obama diese Politik eingeschlagen hat, geht es der US-Wirtschaft besser. Im Gegenzug hat die Sparpolitik der EU die anhaltende Wirtschaftskrise in Europa verschärft.

England hat die von der EU vorgegeben Defizitgrenze überschritten und damit Steuererleichterungen finanziert. Auch der Wirtschaftsaufschwung in Spanien geht auf die Überschreitung des Haushaltsdefizits zurück.  

Die Brüsseler EU-Wirtschaftspolitik hat Armut und Lohndumping begünstigt, was wiederum den Populismus fördert.

Am Ende des Briefes, nach den Ausführungen über die Flüchtlings- und Migrationspolitik,  wird Matteo Renzi ein wenig pathetisch. Er schwingt sich zum Retter Europas auf und fordert, dass Italien die EU anführen soll .

Und EU-Kommissionspräsident Juncker? Der schweigt plötzlich, nachdem er - noch vor dem Brief - öffentlich im Europaparlament gefragt hatte, was denn mit der italienischen Regierung los sei?  Er kündigte einen Beschwichtigungsbesuch in Rom an, bevor Renzi nach Berlin flog, um mit 'Angela' zu diskutieren. Diese Diskussion fiel ziemlich kühl aus. 

Kurz darauf vergrößerte sich wieder der "Spread" zwischen italienischen und deutschen Staatspapieren. Ein Zufall oder die Vendetta der in Brüssel dominierenden Finanz-Lobbys ?

Bild
Profil für Benutzer Martin Daniel
Martin Daniel Do., 18.02.2016 - 19:54

Renzi fährt die Anti-Austeritäts Schiene augenscheinlich aus populistischen innenpolitischen Gründen. Das Wirtschaftswachstum und die ersehnte Inflation, die die Staatsschuld erleichtern sollen, kommen partout nicht in Gang, die Abwicklung der 4 mittelitalienischen Krisenbanken haben ihm viel Kritik eingebracht und die 5-Stelle sitzen ihm in den Umfragen im Nacken. Auf Konfrontationskurs mit Europa zu gehen und diesem die Schuld für heimische Missstände zu geben, liegt nahe. Er ist ein Taktierer, der kurzfristig auf Sicht fährt. Eben noch gegen Tsipras, um sich den deutschen Segen für unzähligen Flexibilitäts-Klauseln zum Defizit zu sichern, dann Anti-Brüssel, wenn der Wind für Salvini und Grillo bläst und es die Italiener bei der Stange zu halten gilt.
Das mit dem Spread ist schon der übliche "vizio" der Verschwörungstheorien, die leider die Linken angreifbar machen. Der Spread ist im Zuge eines "flight to quality" in allen Peripherieländern gestiegen - in Portugal und Griechenland weit mehr als in Italien, während die Gelder in Bundesanleihen, in US-Staatsanleihen und Gold verschoben wurden und die weltweiten (!) Aktienmärkte und alles irgendwie Risikobehaftete (inkl. italienischer BTP) einbrachen. Die arabischen Staatsfonds scheren sich einen Deut darum, Renzi abzustrafen. Sie brauchen ihre Mittel, um die Haushaltslöcher zu stopfen, die ihnen der Ölpreis in Bücher reißt.
Zur Austerity: Schade, dass wir nie wissen werden, wie es Griechenland ginge, wenn Samaras sein Programm hätte weiterführen können. Der Schaden, den der Vertrauensverlust der griechischen Politik der eigenen Wirtschaft zugefügt hat, war wohl ein Vielfaches dessen, was die Sparmaßen zeitigen. Und noch etwas zur Austerität: Vielleicht kann sich jemand, der Jahrzehnte ausschließlicher Hebelung des Wirtschaftswachstums durch Staatsverschuldung und Inflation erlebt hat, nicht vorstellen, dass ein de-leveraging nötig ist, um den allerorts - aber v. a. in Italien - bestehenden Schuldenberg abzutragen und dies nicht schmerzlos vonstatten gehen kann? Dass z.B. die Mathematik in ganz Europa (à la longue wohl auch in Frankreich) verbietet, dass Menschen mehr und länger Rente beziehen, als sie im Laufe ihres Lebens eingezahlt haben?
Die EZB hat über die Geldpolitik versucht, die Last der Sparpolitik zu erleichtern und wurde prompt von den Linken dafür kritisiert. Wie also lautet der Vorschlag, um eine keynesianische Konjunkturpolitik zu finanzieren, ohne diverse Staaten in den definitiven Bankrott zu reiten? Letztendlich wohl nur, dass Deutsche, Niederländer und Co. die Südländer mit dauerhaften Transferzahlungen stützen sollen. Das ist dann entweder das Ende des Euro (weil dies von den Regierenden abgelehnt wird, um nicht abgewählt zu werden) oder jenes der Wirtschaftslokomotive, dessen Erwerbstätige irgendwann ihrer Unterhaltsfunktion überdrüssig werden dürften. Und dann war's das mit der Rolle Europas in der Welt.

Do., 18.02.2016 - 19:54 Permalink